Das Recht und die Politik

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Die VfGH-Entscheidungen sind ein Schuss vor den Bug der Regierung, den diese für ihre künftige Arbeit ernst nehmen sollte.
Rudolf Mitlöhner

Rudolf Mitlöhner

Über die berühmten vier, drei oder fünf Gründe, die es erlauben, das Haus zu verlassen, wurde ja schon viel diskutiert (und auch gewitzelt). De facto waren es fünf Gründe – und es hat sich bestätigt, was der KURIER Ende April schrieb: „Die Ausgangssperre, die keine war“. Auch sonst wurde von Beobachtern und Experten – keineswegs nur notorischen Regierungskritikern – in den letzten Monaten vielfach moniert, dass juristisch schludrig bei den Corona-Maßnahmen vorgegangen wurde.

Nun hat der Verfassungsgerichtshof zwei auf dem Covid-19-Gesetz  basierende Verordnungen aufgehoben: die frühere Öffnung kleinerer Geschäfte (400-Quadratmeter-Regelung) und eben die Verordnung zu den Ausgangsbeschränkungen: Ein generelles Verbot des „Betretens öffentlicher Orte“ mit den erwähnten Ausnahmen ist laut VfGH nicht möglich.

Die ersten Reaktionen von Regierungsseite fielen wie erwartet aus: Man habe „alles nach bestem Wissen und Gewissen umgesetzt, es musste alles in kurzer Zeit geschehen“, verlautete Vizekanzler Kogler; es sei „richtig und notwendig“ gewesen, „dass die Bundesregierung schnelle und effektive Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus gesetzt hat“, erklärte  Verfassungsministerin Edtstadler. Gesundheitsminister Anschober will die höchstgerichtlichen Entscheidungen immerhin „sehr wohl umfassend in unserer zukünftigen Arbeit beachten“.

Man sieht hier sehr schön, dass Politik und Recht zwei unterschiedliche Ebenen sind: In einer Notsituation sind rasche Entscheidungen zu treffen. Und im Rückblick lässt sich sagen, dass die Regierung politisch unzweifelhaft sehr viel richtig gemacht hat. Das zählt für die Menschen – verständlicherweise. Und die meisten haben wohl auch die mahnenden Worte der Experten für jene „juristischen Spitzfindigkeiten“ gehalten, als die sie der Bundeskanzler qualifiziert hat.

Die Regierung täte dennoch gut daran, die Entscheidungen des VfGH als eine Art „Schuss vor den Bug“ ernst zu nehmen. Gerade in Krisenzeiten müssen die zu treffenden Maßnahmen auch rechtlich wasserdicht sein.

Das bedeutet natürlich nicht, dass der VfGH sakrosankt und Kritik an seinen Erkenntnissen unzulässig wäre. Auch Verfassungsrichter haben politische Standpunkte und weltanschauliche Überzeugungen. In dem Fall geht es freilich kaum um Ideologisches, sondern schlicht um juristische Präzision und Klarheit.

Niemand kann sagen, was noch an Corona-Maßnahmen notwendig sein wird. Oder in einer anderen, in unserer so krisenanfälligen Welt jederzeit denkbaren Ausnahmesituation. Da sollte die Regierung dann auch juristische Professionalität „umfassend beachten“.

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