Das Ende des „Mohren“

Solange Menschen diskriminiert werden, kann man mit Sprache gar nicht sensibel genug umgehen. Auch in Österreich
Gert Korentschnig

Gert Korentschnig

Und wieder geht eine Woche mit erhöhter Temperatur auf dem Empörungsbarometer zu Ende.

Es wurde sich empört …

… über Schulschließungen in fünf oberösterreichischen Bezirken für eine Woche (länger hätten dort die Schulen wegen der Ferien ohnehin nicht offen gehabt).

… über politische Reaktionen aus der Türkei wegen des Vorgehens der Polizei bei den Konflikten in Favoriten (erfolgt nach politischen Reaktionen aus Österreich).

… über die für den Westbalkan verhängte Reisewarnung (während es etwa für die meisten afrikanischen Länder und auch für China keine solche gibt).

… über Vorsitze beim U-Ausschuss, Verweigerungen, Verirrungen u. v. a.

Am heftigsten zugeschlagen hat die Empörungskeule allerdings bei einem anderen Thema: bei der möglichen Umbenennung der Großen und der Kleinen Mohrengasse in Wien. Sofort fragten Menschen, wie man denn künftig Joseph Mohr, den Textdichter von „Stille Nacht, heilige Nacht“, nennen müsse. Und was nun aus Schillers Mohr von Tunis, einer Figur aus der „Verschwörung des Fiesco zu Genua“, werde. Tenor der nicht immer freundlichen Äußerungen: Haut’s euch über die Häuser mit eurer politischen Korrektheit. Ein N. bleibt ein N.

Nun haben bei dieser Debatte alle ihre Argumente, etwa dass der „Mohr“ ursprünglich von den Mauren komme, und beharren darauf – außer Donald Trump, der beharrt ohne Argumente, wenn er etwa Tweets von „WhiteLivesMatter“ weiterschickt. Aber es hat schon viel mit Ignoranz zu tun, Gefühle von Menschen derart wegzuwischen.

Selbstverständlich ist es richtig, eine Diskussion über die der Sprache inhärente Fremdenfeindlichkeit zu führen. Natürlich gibt es auch bei uns Alltagsrassismen – dafür braucht man gar keinen Fall George Floyd. Freilich ist es gut so, dass man im Supermarkt kein „Negerbrot“ mehr kaufen und im Gasthaus vielleicht schon bald keinen „Indianer mit Schlag“ bestellen kann.

Sprache ist unser wichtigstes Kommunikationsmittel (ja, trotz Smartphone). Und Sprache trennt zwischen Wir und Die, ohne dass es dafür Corona braucht.

Allerdings gibt es Grenzfälle, etwa in der Kunst: War es richtig, den „Negerkönig“ aus Astrid Lindgrens „Pippi Langstrumpf“ zu streichen? Ist Blackfacing, etwa für Otello, weltweit in allen Fällen zu unterlassen? Und wie geht man mit dem „kleinen Neger“ im „Rosenkavalier“ um? Wie auch immer die Antworten ausfallen, wie auch immer die Mohrengasse künftig heißt: Solange Diskriminierung herrscht (also immer), kann man gar nicht sensibel genug sein. Absurd nur, dass man im Jahr 2020 noch darüber diskutieren muss. Der „Mohr“ gilt seit den 60er-Jahren als problematisches Wort. Aber Österreich ist ja, was Aufarbeitung betrifft, gerne ein bissl hinten nach.

Kommentare