Corona wird uns zwingen, alte Dogmen über Bord zu werfen

Corona wird uns zwingen, alte Dogmen über Bord zu werfen
Zuschüsse statt Kredite? Fest steht: Europa wird nach der Krise einen Ausgleich brauchen – und das nützt auch Österreich
Ingrid Steiner-Gashi

Ingrid Steiner-Gashi

Man könnte es bildhaft formulieren, wie es Andreas Schieder, Delegationsleiter der SP-Abgeordneten im EU-Parlament, tut: „Wir steuern in der Corona-Krise auf einen Eisberg der wirtschaftlichen Talfahrt zu. Und die österreichische Regierung agiert, als säße sie im Speisesaal und zählte das Silberbesteck.“

Gemeint ist: Kanzler Sebastian Kurz weist zurück, was in die Geschichte der EU als bahnbrechender Vorschlag eingehen dürfte. Mehr noch – als ein rettendes Funksignal zur Umschiffung des Eisberges.

Dieser gemeinsame Vorschlag von Deutschlands Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron sieht vor, dass die EU-Kommission erstmals in großem Umfang – die Rede ist von 500 Milliarden Euro – Schulden am Kapitalmarkt aufnehmen darf. So weit, so gut, hierbei kann auch die österreichische Regierung noch mit.

Doch bei der Frage, wie diese halbe Billion Euro verteilt werden soll, legte Merkel eine überraschende 180-Grad-Kehrtwende hin: „Es handelt sich um keine Kredite.“ Geldgeschenke also? Hart erarbeitetes Steuergeld für Projekte irgendwo in einer anderen Ecke Europas? Tatsächlich, 500 Milliarden Euro sollen als nicht rückzahlbare Zuschüsse an jene Projekte, Regionen und Staaten gehen, die von der Corona-Krise am härtesten getroffen wurden.

Das ist nicht weniger als ein gigantischer Paradigmenwechsel in der EU: Es wäre der erste massive Ressourcentransfer von den stärksten europäischen Volkswirtschaften an die finanziell instabileren Länder des Südens. Wobei das Tandem Merkel-Macron festhält: Es geht nicht um einen Schulden-Ablass alter Budgetsünden wie in Italien, sondern ausschließlich um die Rettung von wirtschaftlichen „Corona-Opfern“. So könnte etwa ein Krankenhaus in Bergamo finanziell ebenso aus der Misere geholt werden wie besonders darniederliegende Gemeinden in Südspanien.

Freilich, der deutsch-französische Vorschlag ist noch lange nicht gegessen, denn alle 27 EU-Staaten müssen zustimmen. Und Kanzler Kurz müsste erst, ebenso wie die Regierungschefs der Niederlande, Schwedens und Dänemarks, überzeugt werden, dass Zuschüsse in dieser Krise zuweilen mehr Hilfe bieten als Kredite.

Und man muss hinzufügen: auch aus Eigeninteresse.

Den österreichischen Rindfleischexporteuren, denen der wichtige Markt in Norditalien wegbrach, wird es zugutekommen, wenn sich Norditalien mit einigen Zuschüssen wieder aufrichten kann. Auch im sparsamen Wien sollte sich daher mittlerweile die Erkenntnis durchsetzen: Die Folgen der Corona-Krise sind so verheerend, dass Europa neue Rettungswege einschlagen und alte Dogmen („keine gemeinsame Verschuldung“) über Bord werfen muss – im Sinne des Zusammenhalts und auch des Eigennutzes: Was Europa nützt, nützt auch Österreich.

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