Leider hat Corona die Polarisierung der Gesellschaft noch weiter verstärkt. Die moralische Abwertung Andersdenkender und die gnadenlose Häme sind zur Seuche geworden, auch außerhalb der Politik. „Die Hölle, das sind die anderen“, heißt es in einem Stück von Jean-Paul Sartre aus dem Jahr 1944. Er beschreibt eine extreme Lockdown-Situation. Drei (Un-)Tote sind auf ewig in einem Raum eingeschlossen: die Hölle. (Twitter war damals noch nicht erfunden, das wäre in diesem Sinne wohl das Fegefeuer.) Und wie ist das jetzt mit der christlichen Weihnachtsbotschaft? Sie vermittelt Hoffnung: auf Frieden, Erlösung, Versöhnung. Ein Kind wird geboren, Symbol für den Neubeginn. Schön, dass wir einen Teil dieser christlichen Symbolik spüren können, auch wenn wir den Religionen immer skeptischer gegenüberstehen und lieber dem Individualismus und, ja, auch dem Zweifel huldigen. Das ist schon in Ordnung. Zweifel bedeutet Fortschritt. Etliche Wissenschafter früherer Epochen, die sich nicht dem Meinungsstrom ihrer Zeit unterwarfen, mussten für ihre Zweifel sogar mit dem Leben bezahlen. Der Zweifel brachte aber letztlich auch den christlichen Kirchen Aufklärung. Diesen Weg haben manche archaische Religionsauslegungen, die sich sogar in Europa ausbreiten, noch vor sich. Schade, dass missionarische, intolerante Religionen offenbar mehr Glaubwürdigkeit bei ihren Anhängern haben, als die obersten Kirchenhüter bei uns. Trotz großer Sinnsuche haben diese den Zugang zu vielen Bürgern verloren.
Aber der Mensch ist nicht nur ein Vernunftwesen. Er braucht auch den Glauben an etwas Größeres, Nähe, Gemeinschaft. Bei allen Zweifeln, allem Streit: Hören wir einander wieder mehr zu, begegnen wir einander auf Augenhöhe, degradieren wir andere nicht zu schlechteren Menschen. Gerade in einer Gesundheitskrise sind Toleranz, Rücksichtnahme und Solidarität noch wichtiger als sonst.
Kommentare