Überdosis G'fühl

Natürlich klingt das nach akutem Auch-haben-Wollen, wenn eine Frau erzählt, sie verspüre pro Tag zirka 300 Orgasmen.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Doch auf den zweiten Blick lässt sich darauf locker verzichten - weil so eine Überdosis Geilheit extrem anstrengend sein muss. Und es im Allgemeinen sowieso einfach besser ist, von allem immer nur ein bisschen zu kriegen.

"Also wuh, die Sorge hätte ich wirklich, wirklich gerne", eröffnete mir die Kollegin, während sie in dieser Illustrierten blätterte. Wo sie unter der Rubrik "Schicksale, die zu Tränen rühren" folgende kleine Geschichte gefunden hatte: "Eine Britin leidet unter einer Krankheit, die sie in andauernde sexuelle Erregung versetzt. Michelle Thomson verspürt etwa 300 Orgasmen am Tag und musste deswegen sogar ihren Job aufgeben." In solchen Momenten sind Frauen-Fantasien kaum mehr zu zügeln. Rasch hatte sich eine mittelgroße Runde in unserem Zimmer versammelt, um sich mit hektischen Flecken im Ausschnitt auszumalen, was wäre, wenn. Wenn also wir - 300! verdammte! geile! Mal! - am Tag abheben könnten. Anmerkung der Redaktion: Es handelt sich dabei um ein Müssen - die seltene Krankheit namens Persistant Sexual Arousal Syndrome erzeugt Dauererregung und viele, viele (unfreiwillige) Höhepunkte pro Tag. Spontan und mehr mit dem Unterleib als mit dem Kopf hingespürt, fänden das alle natürlich hammermäßig fein. Orgasmen am laufenden Band, einfach so - während dem Putzen, dem Schreiben, dem Palatschinkenschupfen und Unkrautzupfen. Während der Chef mault, der Mann schnarcht, es regnet oder schneit. Hmm, wäre die Welt da nicht sofort eine bessere?! Nix da, Falschmeldung. Denn die Berichte der Betroffenen lesen sich gar nicht niederschlagsfrei: "Als ich am College begann, intensivierten sich die Höhepunkte. Sie wurden häufiger und stärker, an die 100 bis 200 Mal pro Tag. Ich machte eine Strichliste. Ich wurde richtig depressiv. Ich zog mich zurück." Ähnlich die Erzählung einer Dame, die als Folge eines Autounfalls an einem verletzten Unterleibsnerv und nicht enden wollender Geilheit litt: "Es ist unerträglich. Nur wenn sich die Kleider an mir reiben, werde ich so erregt, dass ich nicht mehr klar denken kann", klagte sie in einem Interview. Ihr Ehemann war erst begeistert, dann überfordert. Denn selbst drei Mal tägliches Verkehrsaufkommen reichte nicht aus, um die Beckenlandschaft für eine Zeit trocken zu legen. Dazu vielleicht ein metaphernhafter Ausflug ins Tierreich: Ein Dutzend Weibchen darf der australische Pinselschwanzbeutler in einer Sommernacht lieben - dann stirbt das Burscherl entkräftet. Daher klar: Was als Überdosis und womöglich zwanghaft daherkommt, hat null Lustaspekt. Der Mensch will - so scheint's - zwar immer alles, am Ende des Tages ist dieses Alles das Bisschen zu viel. Was, z.B., ist erregender: Die vollkommen Entblätterte, die sich mit allem, was an Nacktheit zur Verfügung steht, anbiedert oder die partiell Verhüllte, die mit Fantasien spielt? Sogar eine Studie gibt's dazu: In der steht, dass eine Frau nicht mehr als 40 Prozent ihrer Haut zeigen sollte, um sexy zu wirken. Und auch sonst ist "Alles" oder "zu viel" brandgefährlich: Verraten Sie nie zu viel, tun Sie nie zu viel, geben Sie nicht alles. Mut zur Lücke. Diese Geschichte endet trotzdem gut: Unsere dauererregte Frau fand nun einen Mann, der ihr helfen kann. Der zehn Jahre Jüngere macht die Dame mit zehn Geschlechtsakten pro Tag glücklich.Gabriele Kuhn liest aus ihrem neuen Buch "Alles. Nur nicht perfekt.": Am 20.1., 19.30h, Buch Morawa, Wollzeile.

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