Die Rolle der Wissenschaft

Wie eine harmlose Vorlesung an der Uni Wien zum Thema Sendai-Erdbeben zum Wissenschaftler-Bashing ausartete.
Andrea Hlinka

Andrea Hlinka

Eine Vorlesung an der Universität Wien zum Thema Sendai-Erdbeben artete gestern Abend zum regelrechten Wissenschaftler-Bashing aus. Dabei begann alles ganz harmlos. Professor Götz Bokelmann vom Institut für Meteorologie und Geophysik, bekannt von seinem Auftritt bei Ingrid Thurnhers "Im Zentrum" vergangenen Sonntag, erklärte anschaulich den Hergang der Katastrophe. Begriffe wie Erdbeschleunigung, Magnitude, Plattenbewegung und seismologische Stationen wurden in gewohnter Uni-Manier via Power-Point-Folien dem buntgemischten Publikum nähergebracht - gefühlte 3 Stunden. Klingt nach vertrauter Uni-Vorlesung. War es nicht. Der Unterschied: ein ORF-Kameramann und diskussionswütige Zuhörer. Sie konnten das Klopfen zur Würdigung des Impulsvortages nicht abwarten, um den Professor dazu zu bringen, Farbe zu bekennen. "Wieso sagen Sie nicht, dass Atomkraftwerke unsicher sind? Erdbeben können überall auftreten, jederzeit, und Gebäude können diesen nicht Stand halten." Professors Antwort: "Ich bin ja auch nicht unbedingt für Atomkraftwerke. Meine persönliche Meinung zählt hier nicht, nur meine fachliche. Die Gesellschaft muss die Schlüsse ziehen." Zuhörer: "Aber Sie sind Teil der Gesellschaft. Und es ist ein Fakt, dass die Wissenschaft nicht garantieren kann, dass es zu keinem Zwischenfall kommt. Politiker treffen die Entscheidungen und die werden beraten von Lobbyisten und der Wirtschaft. Sie sind so emotionslos, das versteh ich nicht." Professor: "Der Mensch sucht Sicherheit, nur es gibt keine Sicherheit." Zuhörer: "Das müssen Sie aber auch sagen!" Das Gros des Publikums hat Tschernobyl vor 25 Jahren miterlebt. Viele im Publikum haben sich 1978 gegen die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf eingesetzt - an der Seite von Konrad Lorenz und Peter Weish. Damals haben anerkannte Wissenschaftler Farbe bekannt. "Sie haben sich eingesetzt gegen Zwentendorf, ihre Karriere aufs Spiel gesetzt, alles aufs Spiel gesetzt", sagt mir eine Dame nach der Vorlesung. "Das eben war doch bitte ein Eiertanz", fügt sie noch hinzu. Wissenschaftler sind auch Rolemodels. Sie haben fundiertes Wissen. Spektakuläres ist nicht Teil davon. Vielleicht wäre die Diskussion und die Abstimmung rund um Zwentendorf, ohne dem damaligen Einsatz der Wissenschaftler ganz anders verlaufen. Und Österreich hätte heute ein Atomkraftwerk.

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