Die alte Leier

Der Gejagte: Doppelweltmeister Sebastian Vettel
Die Formel 1 probt in Barcelona den Ernstfall und ist fast zehn Sekunden langsamer als noch 2005. Das verspricht einiges.
Philipp Albrechtsberger

Philipp Albrechtsberger

Mit einem Vorurteil räumt die Formel 1 gerade gehörig auf. Jahrelang wurde der Königsklasse des Motorsports nachgesagt, eine Zukunftswerkstatt zu sein, in der sich die Idee von heute mit einer Geschwindigkeit verflüchtigt wie sonst nur der Treibstoff im Tank eines 700-PS-Boliden. Das Alte, das Gestrige, der Stillstand, das alles sollte in einer von Geschwindigkeit geprägten Welt keinen Platz finden.

So weit, so falsch. Den Gegenbeweis treten die zwölf Teams und ihre Gefolgschaft derzeit in Barcelona bei der zweiten von drei vorsaisonalen Testreihen an. 1:23,265 Minuten benötigte am Dienstag Sebastian Vettel als Tagesschnellster für eine Runde auf dem Circuit de Catalunya. Mit einer stattlichen Menge Benzin an Bord und im speziellen Testprogramm versteht sich. In 1:20,981 Minuten sicherte sich sein Red-Bull-Kollege Mark Webber im Mai 2011 an Ort und Stelle die Poleposition für den Großen Preis von Spanien. 2006 wäre man mit dieser Zeit bis ans Ende des Feldes gereicht worden, bei Poleposition-Mann Fernando Alonso (damals Renault) blieb die Uhr einst bei 1:14,648 Minuten stehen.

Spannung

Was das über die Formel 1 und deren Qualität aussagt? Jedenfalls eines: Dass Tempo nicht nur nicht alles, sondern sogar sehr wenig ist. Der Spannung und der Show hat die regulative Einbremsung nicht geschadet – im Gegenteil. „Die Leute sollen nicht wissen, was passiert“, sagt Bernie Ecclestone. Dem Chefvermarkter gefiel, was er 2011 zu sehen bekam. Noch nie zuvor waren Rennverläufe unvorhersehbarer, wenngleich Qualifikationen und Rennen zumeist eine Konstante aufwiesen: Sebastian Vettel auf Platz eins. Ähnliche Szenarien sind auch heuer zumindest nicht unmöglich, den Fans wird dennoch allerhand geboten werden. 1152 Überholmanöver gab es in der abgelaufenen Saison, so viele wie noch nie zuvor, 547 mehr als 2010. Den Tiefpunkt markiert übrigens das Rennjahr 1996 mit lediglich 186 Positionswechseln auf der Strecke. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht, bereits vor der Saison hatte Reifenlieferant Pirelli noch aggressivere Reifenmischungen angekündigt – soll heißen: noch mehr Grip, dafür eine noch geringere Halbwertszeit.

Doch nicht nur der Blick auf die Stoppuhr offenbart einen gewissen Rückfall, auch im Fahrerlager kreist der Tross aus Teams, Experten, Fans und Journalisten um Altbewährtes. Um Themen, die mit zielsicherer Regelmäßigkeit zwischen den Garagen auftauchen.

Etwa, wenn der Blick auf optische Unzulänglichkeiten bei den Boliden gerichtet wird, wie den markanten Höcker bei den meisten der 2012er-Modellen. Der aktuelle Ferrari wurde bereits in Italien, dem Zentrum für Ästhetik auf vier und zwei Rädern, zum hässlichsten Gefährt gekürt, das je die Fabrik in Maranello verlassen hat. Allein: Schon das Weltmeister-Auto von Michael Schumacher aus dem Jahr 2000 war alles andere als eine in Karbon gepresste Schönheit.

Schutz

Im Dunstkreis des Erfolgs verschwimmt einiges. Auch der Blick auf seine Gegner. So fühlt sich die Weltmeister-Mannschaft von Red Bull zusehends ausspioniert. Das führte heuer sogar soweit, dass die offizielle Präsentation des RB8 von der Rennstrecke in die virtuelle Welt der Computersimulation verlegt wurde. „Im letzten Jahr standen bei der Präsentation in Valencia 100 Fotografen auf dem Boxendach. Im Handumdrehen kannten sie alle Maße unseres Autos“, erklärt Red-Bull-Teamchef Christian Horner.

Auch der Schutz des geistigen Eigentums ist in der Formel 1 alles andere als eine Neuigkeit. Zu oft hat das österreichisch-englische Team mit Stardesigner Adrian Newey in den letzten drei Jahren die namhafte Konkurrenz an der Nase herumgeführt. Deshalb sind McLaren, Ferrari und Co. auch skeptisch, dass der Branchenprimus bislang zwar ein flottes, aber optisch auch unauffälliges Auto präsentiert hat. Schon wird panisch über die möglichen Wirkungsweisen des Lufteinlasses über dem Höcker am Red Bull diskutiert. Bei den bisherigen Ausfahrten wurden die Einlässe überklebt, was die Besorgnis bei den gegnerischen Ingenieuren zusätzlich steigert.

Geht der Trick auf, könnte es Vettel und Webber die nötigen Hundertstelsekunden pro Runde sichern. Neu wäre freilich auch das nicht. „Red Bull ist auch heuer wieder die Referenz“, sagt Michael Schumacher. Dem Mercedes-Piloten müssten die Entwicklungen in der Branche eigentlich erfreuen: Mit 42 Jahren und sieben WM-Titeln ist Schumacher sowohl alt, als auch bewährt.

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