Der 317er: Von Floridsdorf nach Groß-Enzersdorf
Er hat den Alltag vieler Menschen in den ehemaligen Marchfeld-Dörfern Kagran, Hirschstetten, Aspern, Essling und Groß-Enzersdorf geprägt.
Blog Nr. 1121: Am Anfang ist alles wie damals. Die Straßenbahn fährt vom Bahnhof in Floridsdorf ab. Doch aus dem 317er ist ein 25er geworden – und aus der historischen Tram mit Holzaufbau ein moderner Niederflurwagen. Auch sonst blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Zu diesem Schluss kommen auch der Historiker Herbert Kovacic und der Schriftsteller Herbert Eigner in ihrer lesenswerten Monographie Der 317er. Von Großenzersdorf nach Floridsdorf, die in der Edition Winkler-Hermaden erschienen ist.
Mehr Tokio als Feld auf dem Donaufeld
Ich fahre auf meiner Spurensuche von Floridsdorf nach Großenzersdorf, mit dem Rad. Zuerst durch die Schlosshofer und die Donaufelder Straße. In meiner Kindheit verkehrte hier statt einer Bim ein Bus, der 27A. Später wurden die Schienen reaktiviert. Vom Donaufeld ist nicht mehr viel übrig geblieben: Wo früher Gemüse verkauft wurde, gibt es heute South Indian Food und Pizza. Wo das Gemüse angebaut wurde, steht heute die Autofreie Siedlung. Und die abzweigende Tokiostraße erinnert an Tokio.
Durch ehemalige Marchfelddörfer
Der 317er hat den Alltag vieler Menschen in den ehemaligen Marchfeld-Dörfern Kagran, Hirschstetten, Aspern, Essling und Groß-Enzersdorf geprägt, merken die Autoren Eigner und Kovacic an. Mehr Geschichte(n) über diese Dörfer gibt es im Bezirksmuseum des 22. Bezirks, das heute in der ehemaligen Feuerwache auf dem Kagraner Platz untergebracht ist. Hinter dem Museum verabschiedet sich der 25er von uns, fährt weiter über eine Stadtautobahn und durch einen Gewerbepark zur Seestadt Aspern.
Erinnerungen an Konsum und Kreisky
An der Aspernstraße steht indes noch immer ein riesiges Lagerhaus. Sein Coop-Logo erinnert an einen anderen Verblichenen, den Dinosaurier der Sozialdemokratie, den zu Tode gewirtschafteten Konsum-Markt. Im alten Ortskern von Aspern haben sich auch die Alteingesessenen mit der modernen Apotheke des Steirers Willi Schlagintweit angefreundet. Eines der Vermächtnisse von Bruno Kreisky, die große Fabrik eines amerikanischen Autobauers, prägt den weiteren Weg nach Essling.
„Bauern“ und „Gscheade“ in Essling
Auf dem Fußballplatz von Essling, ganz früher Esslingen genannt, habe ich schon als Bub das viel zitierte Stadt-Land-Gefälle wahrgenommen: Während wir Städter unser Spiel filigran, technisch versiert aufzubauen versuchten, droschen die „Bauern“ (ja, wir nannten sie „Bauern“ oder noch schlimmer „Gscheade“) die Kugel blindlings nach vorne, um dann auf ihre Rohkraft zu vertrauen. Mein Vater ist nach Essling noch mit dem 317er gefahren, für mich gab es nie einen anderen als den Autobus, den 26A.
Am Ende „das Tor zum Marchfeld“
Die Niederösterreich-Tafel vor der Abzweigung zum Autokino (kam auch unter die Räder) zeigt an, dass die Wiener Linien ihren 26A bis Groß-Enzersdorf fahren lassen, obwohl diese Stadt bereits im schwarzen Einflussbereich von Onkel Erwin liegt. „Das Tor zum Marchfeld“ steht auf einer Tafel. Dort, wo der Autobus seine Endstelle hat, wenige Schritte vom Rathaus entfernt, erinnert heute nichts mehr an den alten 317er. Der Radfahrer macht noch Erinnerungsfotos, dann gönnt er sich ein Melangerl.
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