Als Elfjähriger bei Václav Havel auf der Burg
Das ist verrückt! Wir müssen hin!
Das kracht jetzt alles zusammen! Das ist verrückt! Wir müssen hin! Unglaublich!" – Solche Ausrufe meines Vaters prägten über Tage und Wochen die gemeinsamen Fernseh-Abende im Herbst 1989. So ganz verstanden habe ich als Elfjähriger wohl nicht, was sich da in der DDR und eben der Tschechoslowakei, der ursprünglichen Heimat meines Vaters, laut den Fernsehberichten von ORF, ARD und ZDF gerade abspielte. Aber auch mein Vater verfolgte teils ungläubig, dann wieder besorgt über mögliche Gewalteskalationen des Regimes, dann hoffnungsvoll und glücklich die Nachrichten.
Nach Weihnachten 1989 gab es kein Halten mehr. Mit einer selbst gebastelten Fahne aus Papier – auf der einen Seite rot-weiß-rot, auf der anderen die tschechischen Nationalfarben weiß-blau-rot – fuhren wir – mein Vater, meine Mutter, meine Schwester und ich – von Vorarlberg, wohin mein Vater 1969 geflüchtet war, nach Prag. Anders als bei den Besuchen zuvor, als die Grenzposten im besten Fall unfreundlich, im schlimmsten Fall schikanös agierten (4 Stunden Wartezeit, obwohl nur zwei Autos an der Grenze warten), war die gelöste Aufbruchsstimmung bereits bei der Einreise spürbar.
Auf der Burg
Am 29. Dezember war es schließlich soweit. Václav Havel wurde zum Präsidenten gewählt und ließ sich auf einem Balkon auf der Prager Burg von Tausenden Menschen feiern. Um diesen historischen Moment erleben zu dürfen, mussten wir uns zunächst durch den schmalen Durchgang zur Kathedrale kämpfen, der hoffnungslos von Menschen verstopft war, die ihren Präsidenten und die Befreiung vom alten System bejubeln wollten.
Irgendwie gelang es meinen Eltern, mich und meine kleine Schwester unbeschadet durch die Massen zu lotsen. Und da stand er tatsächlich, der Havel. Der Schriftsteller, der Präsident. Und winkte vom Balkon in einen einzigen Freundentaumel hinein. Nachdem der Auftritt vorbei war, trugen wir uns noch in das aufgelegte Glückwunsch-Buch ein und gingen zu meinen Großeltern (Babička und Děda) tschechische Knödel essen.
Traum oder Wirklichkeit?
Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, bin ich froh und irgendwie auch ein bisschen stolz, dass ich die samtene Revolution, aber auch die Veränderungen vor und nach der Wende so hautnah miterleben durfte. Wenn ich heute ohne Passkontrolle über die selbe Grenze fahre, wo einst Soldaten mit Gewehren vor Stacheldraht und Schussanlagen ihren Dienst verrichteten, kommt mir das ganze manchmal wie ein schlechter Traum vor, der sich glücklicherweise in nichts aufgelöst hat.
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