Zeitreise

Erwin Zbiral

Erwin Zbiral

Rotgesichtige, keuchende und schwitzende Körper mit einer Startnummer auf der Brust schieben sich langsam an den Zuschauermassen vorbei.

von Erwin Zbiral

über seinen ersten Marathon

Alle meine Leserinnen und Leser möchte ich in meinem letzten Blog vor dem Start zum 30. VCM auf eine kleine Zeitreise einladen. Also, alles einsteigen, anschnallen, Motoren starten und... loooooooosssss gehts!!!! WIE ALLES ANFING 1990: 7.VCM: Um meinem Status als Bummelstudent gerecht zu werden bummle ich durch das Zentrum Wiens. Mein Spaziergang wird unterbrochen durch eine Straßensperre. Rotgesichtige, keuchende und schwitzende Körper mit einer Startnummer auf der Brust schieben sich langsam an den Zuschauermassen vorbei. Nach wenigen Minuten wird mir klar, dass ich zum Zuschauer eines Marathons geworden bin. Das also ist der sagenumwobene Marathon. Ich denke mir (denken ist nicht gut, man erinnere sich an meinen letzen Blog), so langsam wie die sind, das kann ich auch und nehme mir fest vor, in einem Jahr selbst mitzulaufen. In meinem jugendlichen Leichtsinn wette ich am Abend bei einem Glas Wein mit einem Freund, dass ich nicht nur den Marathon schaffen werde, sondern auch innerhalb von 5 Jahren eine Zeit von 3:33:33 oder weniger schaffen werde! GEGEN DIE LAUFRICHTUNG 1991: 8. VCM: Mein erster Marathon. Ich bin zuversichtlich, obwohl ich erst Mitte Februar halbwegs ernsthaft zu trainieren begonnen habe. Im Training bin ich nie weiter als 18km gelaufen, aber das kann meinem unerschütterlichen Optimismus nichts anhaben. Tatsächlich leiste ich unglaubliches und schaffe es laufend bis Kilometer 28! Dann verwandle ich meinen Lauf in einen Spaziergang, um wieder zu Kräften zu kommen, aber kaum jogge ich 100 Meter, muss ich schon wieder gehen. Nach einiger Zeit erreiche ich Kilometer 30. Hier im Prater haben sie freundlicherweise ein Zelt aufgestellt, in dem müde Läufer massiert werden. Diese Gelegenheit werde ich nützen. Aber vielleicht 50 Meter nach dem Zelt ist die nächste Verpflegungsstation und ich bin durstig. Ich gehe vor, nehem mir einen Becher, trinke ohne Hast, gehe dann, entgegen der Laufrichtung zurück zum Massagezelt, stelle mich an, lege mich schließlich auf den Massagetisch. Nach wenigen Minuten ist das Vergnügen vorbei. Ich versuche, wieder zu laufen und siehe an, es geht etwas besser. Aber nach ca. 500 Metern ist es schon wieder vorbei. Ich nehme die Startnummer ab und fahre nach Hause... HITZEWELLE 1992 komme ich nach 4:02 Stunden das erste Mal ins Ziel, ein unvergessliches Erlebnis, in den folgenden 2 Jahren verbessere ich meine Laufzeit auf 3:50 Stunden. Dann wird es spannend: Die 5 Jahre sind vorbei, letzte Gelegenheit, meine Wette zu gewinnen! 1995: 12. VCM: Ich habe trainiert wie nie davor oder danach in meinem Leben. Meinen Abschlusslauf eine Woche vor dem Start habe ich noch bei kühlen 6° absolviert, für heute sind mehr als 25° angesagt und die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel. Ich laufe trotzdem mein vorgesehenes Tempo. Es wird sehr heiß, zu Mittag hat es 27°! Ich bezahle mein zu schnelles Anfangstempo nach ca. 35 Kilometer und werde wieder zum Spaziergänger. Total frustriert, ausgelaugt und mit einem Sonnenbrand komme ich nach 3:43 Stunden am Rathausplatz ins Ziel. Immerhin habe ich keinen Kollaps erlitten, dafür drohen meine Wadenmuskeln jeden Moment, sich zu verkrampfen. Jeder Randstein wird zu einem großen Hindernis. Im Zeitlupentempo wanke ich nach Hause und fühle mich, als wäre ich 90... GLÜCKLICHE KILOMETER 1996: 13.VCM: Mein Freund hat sich als großzügig erwiesen und mir aufgrund der Wetterkapriolen ein Jahr Aufschub gewährt. Dieses Mal lauft alles bestens. Bei Kilometer 40 schaue ich auf die Uhr: 3:19 Stunden. Ab diesem Zeitpunkt weiß ich, dass ich rechtzeitig ins Ziel kommen werde. Ich habe es wirklich geschafft! Während meine Freundin und mein Freund, der seine Wette verlieren wird, im Ziel gespannt auf mich warten, laufe ich die glücklichsten 2,2 Kilometer meines Lebens :-) Zeit: 3:31:40 WIE IM TRAUM 2013: 30. VCM: Traumhaftes Wetter, 13 Grad, alles bestens. Ich laufe locker und leicht, erstaunlicherweise ist es überhaupt nicht anstrengend! Bei der Hälfte zeigt die Uhr 1:48. Das ist viel schneller, als ich erwartet habe. Wenn ich durchhalte, gehen sich 3:40 aus. Ich freue mich. Weiterhin laufe ich wie im Traum, überhole Läufer um Läufer. Bei Kilometer 33 hole ich Karl ein. Ich plaudere ein wenig mit ihm, feuere ihn an und lasse ihn schließlich hinter mir. Eine Dreiviertelstunde später - die mir wie eine Dreiviertelsekunde vorkommt überquere ich die Ziellinie: 3:33:33, die Zeit, die ich immer laufen wollte!! Fanfaren ertönen und verwandeln sich in ein schreckliches, ernüchterndes Weckerläuten. Ich liege im Bett und muss aufstehen. Schade, aber wer weiß, manchmal gehen Träume ja in Erfüllung...

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