Wir schaffen das

Ein Bild des Terrors. Im Herzen Europas.
Ist es nicht eher logisch, dass eine Glasfassade in alle Stücke springt, wenn drinnen eine Bombe in die Luft geht? Dennoch stehen wir bestürzt vor Außenaufnahmen des Brüsseler Airports.
Philipp Wilhelmer

Philipp Wilhelmer

Und da soll man nicht zuschauen?

von Philipp Wilhelmer

Über Terror, Bilder und Ameisentechnik

An Tagen wie diesen stelle ich mir gerne einen Mullah vor, der in seiner Lehmhütte sitzt und sich freut, dass #Brussels auf Twitter trendet. Darüber, dass den westlichen Familien zwischen Cornflakes und schicken Sneakers kurz die Glasscherben um die Ohren fliegen: Die Smartphones werden herumgereicht, immer neue Snippets vom zerstörten Flughafen besprochen. „Sind das alles Flatscreens auf dem Boden?“ „Wahnsinn.“ „Die Belgier. Die haben irgendwas arg falsch gemacht die letzten Jahre.“

Die Terroranschläge von 9-11 hatten noch die dramaturgische Logik der Nullerjahre: Flugzeug eins. Pause. Kameraleute joggen zum besten Aufnahmeplatz. Turm zwei. Bamm! Live-Entsetzen auf der ganzen Welt.

Später zog man das unverschämte Bild verschämt aus den Archiven.

Rückblickend kann man CNN bemitleiden, das sich als Komplize einer derart perversen Inszenierung missbrauchen ließ, ohne das auch nur zu merken. Wobei: Keiner merkte das. Auch nicht die Zeitungen, die das Foto eines Mannes druckten, der kopfüber aus einem der Twin Towers flog. Später zog man das unverschämte Bild verschämt aus den Archiven. Reflexion zu überfordernden Ereignissen ist selten live dabei. Sie dauert manchmal Monate, oft Jahre.

Eineinhalb Jahrzehnte später ist die Welt voller kleiner CNN-Kameras: Wer überlebt, flüchtet. Schleppt ein anderes armes Schwein zur Tür. Oder filmt mit dem Handy, um eine Art Zeugnis der eigenen Verwundbarkeit abzulegen. Und hilft dabei in Ameisentechnik mit Twitter, Youtube, Instagram und Co., die Bühne der Terroristen gut auszuleuchten.

Das ist schlecht, denn viral zu gehen ist heute die wichtigste Währung: Tausende wollen unbedingt teilen, wie gut ein Witz ist, wie krass ein Auto, wie crazy Kanye West. Oder wie übel der ubiquitäre Terror heute morgen schon wieder eingeschlagen hat – zum Glück nicht am Reumannplatz, sondern in Maelbeek. Wo ist das schnell nochmal?

Diese Geschichte ist nicht auserzählt, sondern entspinnt sich vor unser aller Augen. Und da soll man nicht zuschauen?

„Breaking News“ war immer schon eine der lässigsten Floskeln der US-Kabelsender: Wo eine Story ausbricht, findet eine interessante Erzählung statt, die einerseits dringlich ist (Rücktritt! Terror! Krieg!), andererseits das beste dramaturgische Element ever bietet. Diese Geschichte ist nicht auserzählt, sondern entspinnt sich vor unser aller Augen. Und da soll man nicht zuschauen? Oder noch besser: Miterzählen? Tun wir Journalisten denn je etwas anderes?

Was unzweifelhaft für das Phänomen „Breaking News“ spricht: Es ist wertvoll, über akute Gefahren zu berichten. Auf einen Terroranschlag aufmerksam zu machen rettet Leben – wie sich in Brüssel zeigte, folgte gleich darauf die nächste Explosion, diesmal in einer Metro-Station. Wer vor Schreck oder Vorsicht lieber zuhause blieb, hatte ziemlich sicher etwas richtig gemacht.

Eines jedoch kommt in solchen Momenten zu kurz: Auf dem Rücken tatsächlicher Opfer wird der zweite und wichtigere Teil des Terrors freiwillig, gratis und von uns allen mit ausgeübt. Die Verbreitung des Schreckens und Entsetzens.

Das glänzt ja gar nicht mehr

Ist es nicht eher logisch, dass eine Glasfassade in alle Stücke springt, wenn drinnen eine Bombe in die Luft geht? Dennoch stehen wir bestürzt vor Außenaufnahmen des Brüsseler Airports und zoomen an die Fassade heran: Das glänzt ja gar nicht mehr.

Fragt sich tatsächlich jemand, wie es einem Schalterbediensteten geht, dem gerade der Arbeitsplatz buchstäblich um die Ohren geflogen ist? Dem Menschen, der mit dem Putzwagen gerade durch die Halle kurvte? Wahrscheinlich geht es ihm schrecklich. Wenn er noch lebt.

Vielleicht sollten wir im Gegenzug die Heldengeschichten auspacken: Wer half? Wer zog wen aus den Scherben? Wieviele Familien sind noch intakt?

Wir schaffen das.

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