Der Sporttaucher und der große, alte Mann

Der coole Edward Norton wurde mit Fragen über seine Hobbys aufgehalten, während man Jean-Louis Trintignant frei von der Leber sprechen ließ.
Cannes-Blog, Teil 4: Interviews auf Filmfestivals können erschreckend banal verlaufen, aber auch zu besonderen Sternstunden werden.
Alexandra Seibel

Alexandra Seibel

Interviews mit Stars sind oft ein zweifelhaftes Vergnügen. Meist sehen diese Begegnungen so aus, dass man mit irgendwelchen anderen Journalisten in eine kleine Gruppe zusammengewürfelt wird und dann ungefähr zwanzig Minuten lang Fragen stellen darf – frei nach dem Motto "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst." Das mag ein rundes Gespräch ergeben – oder auch nicht. Wenn ein lustiger Kollege an Edward Norton so originelle Fragen stellt wie "Warum sind Sie gerne Sporttaucher?", dann wird die Zeit knapp und man kann am Ende so einer Gesprächsrunde ganz schön arm dastehen. Auch die Interviewbedingungen sind nicht immer ideal, wie zuletzt zu Thomas Vinterbergs Wettbewerbsfilm "Jagten" ("The Hunt").

Die Interviews sollten im Festivalpalais von Cannes stattfinden – irgendwo im sechsten Stock auf einer Terrasse. Nachdem es allerdings zu kleinen Wartezeiten kam, wurden die Journalisten angehalten, es sich inzwischen im Stiegenaufgang auf den Stufen gemütlich zu machen. Anderen Warteraum gab’s leider keinen. Man kam sich vor wie damals zu Uni-Zeiten, wenn man bei den Vorlesungen keinen Platz mehr bekommen hatte. Und so lungerten alle brav bis zum Anpfiff auf den kalten Treppen herum, ein Umstand, der sogar die zuständige PR-Lady erbitterte und zu verhärmten Bemerkungen veranlasste.

Sternstunde mit Trintignant

Manchmal aber kommt es auch zu wahren Sternstunden im Genre des Interviewführens. Als so eine Sternstunde entpuppte sich das Gespräch mit dem alten Mann des französischen Kinos, Jean-Louis Trintignant, der am Dienstag über seine Arbeit in Michael Hanekes akklamiertem Film "Amour" sprach. Der zarte alte Herr saß rauchend in einem plüschigen Hotelzimmer an der Croisette, fasste seine Gesprächspartner tief ins Auge und beantwortete jede Frage frei von der Leber weg.

Eigentlich verblüffte er bereits mit seiner ersten Ansage, er habe Hanekes Filmangebot anfänglich ablehnen wollen, weil er sich damals gerade nicht gut gefühlt hatte: "Ich dachte an Selbstmord."

Die Anwesenden ziehen die Luft ein. Gestern beim Abendessen mit Haneke aber habe er, Trintignant, ihm das Versprechen abgenommen, in seinem nächsten Film wieder mitspielen zu dürfen, und sei es auch nur eine kleine Rolle. Haneke habe es versprochen.

Erleichterung macht sich im Raum breit.

Ob er sich an seine Zusammenarbeit mit Romy Schneider erinnere? Ja, eine tolle, schöne Frau, sagt Jean-Louis Trintignant. Wenn sie einen winzigen Makel hatte, dann vielleicht den, dass sie nur wenig Humor besaß.

Und wie er zu der neuen politischen Situation in Frankreich stehe?

Oh, er wähle immer links, sagt Trintignant lebhaft: Seiner Ansicht nach sei die Linke die einzige politische Kraft, die je sozialen Fortschritt innerhalb einer Gesellschaft herbeigeführt habe.

Und so geht es weiter, mit dem alten wachen Herrn, der sagt, was er sich denkt und sichtlich keine Lust hat, im Alter von 81 Jahren durch die Blume zu reden. Klare, auch selbstkritische Worte fallen und traurige Sätze über eine Zukunft, die womöglich nicht mehr allzu langen dauern würde. Am Ende wanken alle berührt aus dem Zimmer, mit dem schönen Gefühl im Herzen, einem wunderbaren Menschen begegnet zu sein, einem, von dem man sich wünscht, dass es ihn noch lange geben wird.

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