Der erste Österreicher im Wettbewerb

Regisseur Ulrich Seidl (links) und eine Szene aus dem Film "Paradies: Liebe", der beim Wettbewerb in Cannes läuft.
Cannes-Blog, Tag 2: Ulrich Seidls Film "Paradies: Liebe" sorgte bei den internationalen Journalisten für Gelächter und Betroffenheit.
Alexandra Seibel

Alexandra Seibel

Speckschwartel" und "Blunzengröstl" können die Männer in Kenia nicht aussprechen. Und das finden die österreichischen Touristinnen wahnsinnig witzig: Ulrich Seidls Film "Paradies: Liebe" wurde am Donnerstag in der Pressevorführung in Cannes gezeigt (die offizielle Gala-Premiere ist am Freitag) – und damit ging der erste Österreicher im Wettbewerb an den Start. Der Film sorgte bei den internationalen Journalisten sowohl für Gelächter als auch Betroffenheit. Tatsächlich ist "Paradies: Liebe" eine traurig-komische und zugleich zärtlich-brutale, in jedem Fall ganz herausragende Arbeit.

"Paradies" – das ist für übergewichtige, nicht mehr junge Österreicherinnen der Strand von Kenia, wo sie sich von jungen Männern begehren lassen können – "weil wir denen so gefallen, wie wir sind." Teresa, hervorragend gespielt von Margarethe Thiesel, kann sich zuerst gar nicht vorstellen, dass sie mit so einem Mann, der am Hotelstrand herumlungert, mitgeht und Sex hat. Schließlich tut sie es doch und greift danach tief in die Tasche: Denn plötzlich ist der Vater des Liebhabers krank oder der Bruder im Spital. Seidls große Leistung liegt darin, Frauen und Männer sowohl in ihrer Opfer- als auch in ihrer Täterrolle gleichermaßen zu zeigen. Dabei geht Seidl an Grenzen: Wenn fünf betrunkene halbnackte Frauen einen Kenianer zum Strippen engagieren, ihm eine rosa Schleife um den Penis binden und als Sex-Toy demütigen, dann werden Geschlechter- und Kolonialverhältnisse gleichermaßen transparent. Die weiße, ältere Frau, zu Hause vom Ehemann für ihre Unattraktivität abqualifiziert, dreht den Spieß um und labt sich am Herabwürdigen des schwarzen Mannes. Doch auch die jungen Männer sind beinhart, verpacken ihre Dienstleistungen in romantische Watte und stellen dann ihre Rechnung.

Für manche ist das Glück käuflich, für andere nicht – und das Tolle an Seidls Film sind all die Nuancen dazwischen: Wer zahlt, befiehlt, aber er – und in dem Fall sie – bleibt auch sehr allein.

Festival der (alten) Männer?

Mit "Paradies: Liebe" spitzt Ulrich Seidl noch einmal ein Thema radikal zu, das als Grundtenor das ganze Festival beschäftigt – nämlich das der Geschlechterverhältnisse. Denn die Frage: Ist Cannes das Festival der (alten) Männer? sorgt bei den abendlichen Essensrunden unter den Journalistenkollegen immer noch für heftige Kontroversen. Seit letzten Freitag in der Le Monde drei französische Filmemacherinnen beanstandeten, dass in Cannes heuer "Männer ihre Filme, Frauen ihre Gesichter" herzeigen – also keine einzige Frau im offiziellen Wettbewerb vertreten ist – bleibt das Thema virulent. Die kühle Ansage von Cannes-Chef Thierry Frémeaux, er nehme keinen Film ins Programm, nur weil er von einer Frau sei, wird hinauf und hinunter diskutiert. Recht hat er, sagen die einen: Wenn die besten Filme heuer nur von Männern gemacht wurden, dann muss man das auch so zeigen. Schwer vorstellbar, finden das die anderen – dass es im gesamten Weltkino heuer keine einzige Frau geschafft haben soll, einen Film zu machen, der zumindest das Niveau des ägyptischen Beitrags hat, der gestern gezeigt wurde. Sprich: eh okay, aber weit entfernt vom Meisterwerk.

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