Cannes startete im Blitzlichtgewitter

Bill Murray stellte sich mit ungleichen Mitteln den Fotografen.
Cannes-Blog, Tag 1: Der Eröffnungstag stand ganz im Zeichen der Pfadfindertruppe von Wes Anderson. Man stand sich die Beine in den Bauch - auch für eine Polanski-Doku.
Alexandra Seibel

Alexandra Seibel

Blitzlichtgewitter auf der Croisette. Das Foto-Shooting rund um den nostalgisch-witzigen Eröffnungsfilm der 65. Filmfestspiele von Cannes, "Moonrise Kingdom" von Wes Anderson, hat begonnen. US-Regisseur Anderson und seine Schauspieler – darunter Bruce Willis, Bill Murray, Edward Norton und Tilda Swinton – stellen sich geübt den Horden von Fotografen. Einzig der immer komische Billy Murray hält den langen Profi-Linsen seine winzige Kamera entgegen. Überhaupt ist Murray einer der lustigsten Zeitgenossen innerhalb des Star-Rummels. Befragt auf der Presse-Konferenz, worum er immer wieder so gerne mit Wes Anderson zusammenarbeite, kontert Murray schlagfertig: "Weil er der einzige ist, der mir noch einen Job gibt. Ich warte neben dem Telefon auf seinen nächsten Anruf."

Pfadfinder im Wald

Cannes startete im Blitzlichtgewitter

Neben Anderson nimmt sich Murray wie ein Holzfäller im Sakko aus – ganz im sportiven Karo-Look. Anderson hingegen, mit Filmen wie "Die Royal Tenenbaums" und "Fantastic Mr. Fox" einer der profiliertesten Arthouse-Regisseure des US-Kinos, sieht aus wie ein britischer Dandy - mit kinnlangem Haar, Seitenscheitel und cremefarbenem Maßanzug. Gemeinsam mit Murray, dem immer schief grinsenden Bruce Willis, einem bescheidenen Ed Norton und der schönen Tilda Swinton bestreiten sie das Meeting mit der Weltpresse.

Diese befragt Anderson zu seiner Tragikomödie "Moonrise Kingdom", in der von zwei Zwölfjährigen erzählt wird, die von zu Hause weglaufen und sich im Wald verstecken. Alles spielt im Jahr 1965 in New England, und sowohl die Eltern des Mädchens, wie auch die Pfadfindergruppe des Buben, jagen hinter der Vermissten her. Mit vielen visuellen Gags und bis in letzte Detail sorgfältig komponierten, symmetrischen Bildern baut der Regisseur seine typisch skurrile Anderson-Welt auf: Eine verkorkste Familie, ähnlich den Royal Tenenbaums, verschrobene Pfadfinder mit seltsamen Ritualen, Familienväter, die von ihren Frauen betrogen werden. Gleichzeitig findet zwischen den beiden 12-jährigen die erste große Liebe statt, die sie mit großer Vehemenz verteidigen. "Mein Film handelt von einer Kindheitserinnerung, von der ich mir wünschen würde, das ich sie wirklich erlebt hätte", sagt Anderson: "Habe ich aber nicht." Das einzige autobiografische Detail aus seinem Film: auch er habe, wie seine Protagonistin Suzy, bei seinen Eltern ein Buch über schwierige Kinder gefunden. "Ich hatte zwar Geschwister", sagt Anderson leichthin, "aber als ich das Buch fand, wusste ich gleich, dass das schwierige Kind der Familie ich war. Kein schönes Gefühl."

Cannes im Zeichen der Schlange

All dies und noch viel mehr bekam jeder zu hören, der es schaffte, in die Pressekonferenz hinein zu kommen. Kein leichtes Unterfangen übrigens, selbst für Journalisten der Tagespresse. Cannes steht nämlich im Zeichen der Schlangen – der Menschenschlangen, um genau zu sein. Überall heißt es endlos anstellen, egal, ob es sich um einen Wettbewerbsfilm oder eine mittelmäßige Doku handelt. Wer sicher gehen will, dass er in eine Pressekonferenz mit namhaften Personen hinein kommt, rennt am besten knapp vor dem Film-Abspann aus dem Kino. Bei den Eingangskontrollen herrschen strenge Vorschriften: wer einen rosa Presseausweis hat – Mitglieder der Tagespresse –, ist schon ganz gut im Rennen. Er wird vor den Menschen mit blauer Ausweiskarte (Monatsmagazine, etc.) bevorzugt, die erst dann hineingelassen werden, wenn die anderen schon drin sind. Noch besser ist eine rosa Karte mit Punkt. Am besten allerdings sind Journalisten mit weißer Akkreditierung bedient. Sie rauschen last minute überall hinein und finden auch noch im knallvollen Auditorium für sie reservierte Plätze vor. Allerdings genießen dieses Privileg nur wenige – Journalisten von der New York Times, beispielsweise, oder von Le Monde.

Mittelmäßige Polanski-Doku

Cannes startete im Blitzlichtgewitter

Das restliche Journalistenfußvolk steht also ausdauernd Schlange – zum Beispiel auch, um in die besagte mittelmäßige Doku hineinzukommen, die außer Konkurrenz als Seance Speziale gezeigt wurde: Für " Roman Polanski: A Film Memoir" von Laurent Bouzereau zahlte sich die endlose Steherei allerdings nicht aus. Polanski im Interview mit seinem engen Freund Andrew, der ihn in therapeutisch-nachsichtigem Tonfall nach seinem Leben befragt. Anlass ist natürlich Polanskis Festnahme in der Schweiz und die drohende Auslieferung an die USA wegen Vergewaltigung. Das Gespräch beginnt in Polanskis Kindheit – und reicht zu seinen schrecklichen Erinnerungen an das Warschauer Ghetto und die Vernichtung seiner fast gesamten Familie im KZ zurück.

Diese Erinnerungem sind natürlich unglaublich berührend, die Machart der Doku allerdings beschränkt sich auf formale Ödheiten. Hier ein bisschen Klaviermusik, dort ein paar historische Fotos und Filmausschnitte. Dann das Drama um Polanskis schwangere Ehefrau Sharon Tate, die von der Manson-Family hingeschlachtet wurde. Dass Polanskis Leben zweifelsfrei von unglaublichen Schicksalsschlägen geprägt war, ist außer Frage und soll in keiner Weise herabgewürdigt werden. Trotzdem kann der salbungsvolle Tonfall dieser Wiedergutmachungs-Doku, in der Polanski praktisch als Opfer der Medien und falscher Justiz übrig bleibt, den altbekannten Fakten wenig hinzufügen. Keine provokante Frage, kein kontroversieller Gedanke, schon gar keine formale Kühnheit  – alles endet in der Hagiografie eines tatsächlich großen Filmemachers, der sich eine komplexere Arbeit über sein Leben verdient hätte.

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