"Amour": Hanekes Ringen mit einer Taube

Michael Haneke drehte einen Film über das Verglühen einer großen Liebesbeziehung.
Cannes-Blog, Teil 3: Michael Hanekes neuer Film "Amour" ist ein erster großer Anwärter auf einen Cannes-Preis.
Alexandra Seibel

Alexandra Seibel

Die Tränen flossen bei "Amour". Nach der Pressevorführung von Michael Hanekes Wettbewerbsbeitrag herrschte erst tiefe Betroffenheit, danach war man sich einig: Die zärtliche, dabei gnadelose Liebesstudie eines alten Musiker-Ehepaars zählt zu den bislang stärksten Beiträgen des Wettbewerbs und ist ein erste großer Anwärter auf einen Cannes-Preis. Haneke erhielt bereits 2007 mit "Das weiße Band" die Goldene Palme, und auch heuer scheint eine Ehrung durchaus möglich. Zumal der große alte Mann des französischen Kinos, Jean-Louis Trintignant in "Amour" erstmals nach vierzehn Jahren wieder vor die Kamera getreten war: "Michael Haneke ist einer der besten Regisseure der Welt", schwärmte der 81-jährige alte Herr, der so viel Esprit verströmt wie oft kaum ein junger Mann, und die Leute auf der Pressekonferenz oft zum Lachen brachte: "Die Arbeit war schmerzhaft, aber wunderschön. Noch einmal mach’ ich sie aber nicht."

In einer wahren Tour de Force spielt Trintignant, gemeinsam mit Emmanuelle Riva ("Hiroshima, Mon Amour") ein altes, gut bürgerliches Musiker-Ehepaar, dessen Leben in die schwierige Endphase geht. Die Frau, Anne, erleidet einen Schlaganfall, und wird zunehmend zum häuslichen Pflegefall. Doch Haneke erzählt die letzten Wochen zweier alter Menschen nicht als deprimierendes Sterbedrama, sondern als das Verglühen einer großen Liebesbeziehung, die den Routinen des Sterbens noch einmal eine gemeinsame Intimität entringt. Konzentriert auf nur wenige Räume der Wohnung, in der praktisch der ganze Film stattfindet, variiert Haneke einfallsreich Kameraeinstellungen. Immer wieder eröffnen sich dadurch neue Blickwinkel, in denen unterschiedliche Stimmungen und Emotionskonstellationen sichtbar und fühlbar werden. Ab und zu schaut die immer schöne, ewig junge aussehende Isabelle Huppert als Tochter des Paares zu Tür hinein und versucht, gute Ratschläge zu erteilen. Irgendwann aber wird sie praktisch vom Vater hinausgeworfen.

Auch komische Details finden ihren Eingang in die Geschichte: so etwa eine hartnäckige Taube, die immer wieder ins Vorzimmer hinein fliegt und schließlich von Trintignant mit einer Decke gefangen wird. "An der Szene haben wir zwei Tage gedreht", erzählt Trintignant leutselig, "weil Michael Haneke gefunden hat, die Taube müsse sich nach seiner Regie richten. Hat sie aber nicht. Und letztlich haben wir eine zweite Taube gebraucht, weil die erste aufgegeben hat."

Haneke und Seidl tanzten bei Premieren-Party

Haneke selbst kommentiert seinen ungewöhnlich zärtlichen Film über das Sterben mit Erfahrungen aus dem eigenen Leben: "Ab einem gewissen Alter muss man sich damit abfinden, dass Menschen, die einem nahe stehen, leiden und sterben. Das ist eine schwierige Erfahrung, die ich auch in meiner Familie gemacht habe."

Dass er selbst durchaus viel Humor hat, bewies Haneke, der vergangenen Freitag direkt vom Flughafen zu Ulrich Seidls Film-Premiere von "Paradies: Liebe" gefahren war und vom Saalwärter beinahe nicht mehr ins Kino hinein gelassen wurde, übrigens später auf der Premieren-Party von "Paradies". In einem herrlichen Garten-Lokal spielte eine Gruppe schwarzer Musiker aus Marseille und brachte die Gäste bis fünf Uhr Früh in Stimmung. Und bevor man noch schauen konnte, formierte sich plötzlich auf der Tanzfläche eine Polonaise – mit Ulrich Seidl, Michael und Susi Haneke und noch einigen anderen Tanzwilligen. Als da die Speerspitze der österreichischen Regie-Elite so in lustiger Schlange zur Musik dahin wackelte, blieb einigen der Zuseher der Mund offen stehen.

Zu dem Zeitpunkt herrschte übrigens noch passables Frühsommer-Wetter. Seit dem Wochenende aber biegen sich die Palmen im Sturm, und graue Gewitterwolken verheißen nichts Gutes, nämlich: Schlange stehen im Regen. Und weil nach Michael Haneke gleich der nächste Großmeister der männlichen Regie-Kunst auf dem Wettbewerbsprogramm – nämlich der knapp 90-jährige Alain Resnais – daran ist, fängt man damit am besten recht früh an.

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