Pech gehabt

Barbara Kaufmann

Barbara Kaufmann

In den uralten Märchen gibt es sie noch. Die Pechmarie und die Goldmarie. Die eine ist ein Glückskind, wird vom Leben verwöhnt, ist auf der Sonnenseite zur Welt gekommen. Wie in dem Volkslied aus Kärnten, das wir in der Schule singen mussten. In der Mölltalleitn, auf da Sunnaseitn. Dort, auf der Sonnenseite, heißt es weiter, wären die Mädchen noch einmal so schön. Warum, konnte mir schon damals niemand beantworten. Offenbar einfach nur deshalb, weil sie auf der "richtigen" Seite zur Welt gekommen sind. Diese Mädchen haben das im Überfluss, wofür es heute Kurse gibt, Workshops, Wühlkisten voller Ratgeberliteratur. Nämlich Glück. Die Pechmarie hingegen hat es schwer. Sie stolpert ständig über die Steine, die ihr in den Weg gelegt werden. Sie geht im Zickzack-Schritt durchs Leben. Übervorsichtig, ängstlich und achtsam, weil sie früh gelernt hat, dass immer etwas passieren kann. Und dass sie, wenn es so weit ist, für ihr Unglück oftmals selbst verantwortlich gemacht wird.

Schön scheitern, bitte

Zwar wird allerorts immer öfter eine "Kultur des Scheiterns" gefordert, das klingt gut und modern und passt zum Start-up-Boom, aber es soll bitte ein schönes Scheitern sein. Ein Scheitern in Würde. Eines, über das man danach gemeinsam philosophieren kann, in einer gepflegten Runde. Eines, das niemandem wirklich wehtut. Eine Prinzessin, die ihre Krone aufhebt, wieder zurechtrückt und weitergeht. Ohne vor dem Nichts zu stehen. Kein Bankrott, keine existenzielle Krise, kein Schicksalsschlag, der den Betroffenen aus der Bahn wirft.

Wenn es wirklich hart wird, dann wollen viele nicht einmal anstreifen an demjenigen, den das Pech getroffen hat. Dann suchen sie lieber nach seiner Schuld, nach den Fehlern, die er schließlich gemacht haben muss, um in so einer bedrohlichen Situation zu sein. Und glauben auch gerne wilden Verschwörungstheorien. "Wird schon was dran sein", murmeln diese Menschen, wenn jemanden ein Unglück nach dem anderen trifft. Als wäre es ein Fluch, den der Betroffene selbst auf sich geladen hätte. Eine Strafe für ein Fehlverhalten. Schwarze Pädagogik. Wie im Struwwelpeter. Schnell sind Erklärungen gefunden, die das Pech des anderen wegwischen, als etwas abtun, das ausschließlich hausgemacht ist.

Wenn jemand am Leben scheitert, dann hat er sich eben nicht genug bemüht, nicht zusammengerissen, nicht hart genug gekämpft. Lieber verdrängt man das Pech, weil man hofft, dass es einen selbst nicht trifft. Aber so ist es nicht. Lieber glaubt man daran, absolute Kontrolle über das Unglück zu haben. Aber die gibt es nicht. Lieber beherzigt man "Rezepte" gegen Schicksalsschläge. Ratgeber, Esoterik, Tipps von jenen, die es scheinbar geschafft haben. Aber sie wirken nicht. Pech ist zähflüssig, klebrig, es kann an einem haften bleiben, auch wenn man alles tut, um es abzustreifen. Es kann einen aus dem Nichts treffen und die Frage nach dem Warum zur Qual werden, weil man keine Antwort auf sie findet.

Besser, man reicht dem Betroffenen die Hand und versucht, ihm herauszuhelfen. Besser man hört ihm zu, ohne die Schuldfrage zu stellen. Denn wenn man eines Tages selbst darin feststecken sollte, ist man froh, wenn sich zum Pech nicht auch noch die Einsamkeit gesellt.

Kommentare