Barbara Kaufmann: Das war ich nicht

Das Urteil gegen Sigrid Maurer macht uns alle vogelfrei.
Barbara Kaufmann

Barbara Kaufmann

Es hat etwas Verstörendes, wenn erwachsene Männer sich in aller Öffentlichkeit wie Kinder benehmen. Wenn sie auf Bühnen, bei Pressekonferenzen, bei Anhörungen wie groteske Riesenbabys Wutanfälle haben, aufstampfen, laut brüllen mit dunkelrotem Kopf vor Zorn. Wenn sie sichtbar lügen, alles abstreiten, ihre Positionen wechseln, impulsiv, radikal, plötzlich. Wenn sie mit vollster Überzeugung Unwahrheiten verbreiten, Naturgesetze leugnen, wissenschaftliche Erkenntnisse wegwischen.

Wenn sie im Umgang mit den Anwesenden jede Regel des Anstands missachten, sie beleidigen, sie verhöhnen, gegen Kritiker pöbeln, Frauen abwerten und kränken. Wenn ihnen ihre Lügen nicht etwa passieren, sondern das Leugnen von Tatsachen lustvoll zelebriert wird, lächelnd, mit einer diabolischen, kindlichen Freude darüber, dass sie die Zuseher dieses Spektakels, die Gesellschaft, den „Mainstream“, wie es in ihrer Kampfrhetorik heißt, an der Nase herumführen können.

Weil sie wissen, sie können es sich leisten. Sie müssen keine Konsequenzen fürchten. Sie kommen damit durch. Der Tabubruch ist Taktik, die Empörung einkalkuliert, die Fassungslosigkeit der anderen Strategie.

Die Rechnung ist einfach und geht immer auf: Wer die Grenzen am weitesten verschiebt, bekommt die meisten Likes. „Endlich sagt das einmal jemand!“, grölen die Anhänger und: „Sie haben es verdient!“ Gemeint sind die Opfer der Unter- und Übergriffe. Minderheiten, Randgruppen, Frauen. Und wenn es dann doch einmal zu viel wird, wenn die Kritik international wird, wenn man dann doch „meinetwegen“ irgendwie darauf reagieren muss, dann springt der Rowdy einfach zur Seite und schreit anklagend: Das war ich nicht!

Verantwortung

Wie ein Kind, das die Verantwortung nicht übernehmen will. Das sie wegschiebt und weiß, das geht, es wird ihm nichts passieren. Weil es andere vor ihm auch getan haben. Sie haben die Ärmsten beschimpft und verhöhnt, sie haben Frauen verächtlich gemacht, abgewertet und belästigt. Sie wurden trotzdem Präsident, gewannen Wahlen und gewinnen sie noch immer. Das ist die Gegenwart, in der wir leben, in der Rowdys regieren.

In diesem Klima ist das Gerichtsurteil gegen Sigrid Maurer ein fatales Zeichen. Da wehrt sich eine Frau gegen widerliche, anzügliche, abwertende Nachrichten, die sie von einem Facebook-Profil eines Mannes erhält. Sie wehrt sich öffentlich, weil es kein Gesetz gibt, das solche Nachrichten verurteilt. Und dann springt der Mann einfach zur Seite und schreit anklagend: Das war ich nicht! Leugnet alles, verklagt das Opfer, bekommt Recht. Weil es die Bringschuld des Opfers ist, so der Richter, die Identität des Täters zu klären und zu beweisen. Wie das in der Praxis gehen soll, erklärt er nicht. Dieses Urteil stärkt die Täter. Dieses Urteil schwächt die Opfer. Dieses Urteil macht uns alle vogelfrei. Es ist die Legitimation der Verantwortungslosen. Es ist die Akzeptanz der Brutalen. Es ist ein Freibrief für die Rowdys.

Sie dürfen uns jederzeit beschimpfen, belästigen, bedrohen. Sie dürfen ihrer Wut freien Lauf lassen. Sie dürfen verbal um sich schlagen. Und wenn wir uns wehren, wenn es uns reicht, dann springen sie zur Seite und schreien grinsend: Das war ich nicht!

barbara.kaufmann@kurier.at

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