Badeschluss
Das wär doch schön, wenn man Erinnerungen konservieren könnte.
Vorgestern am Nachmittag des vorletzten Sommertages sprang ich noch einmal in die Alte Donau, um dem Sommer adieu zu sagen. Noch einmal im Badeanzug in der Sonne sitzen, noch einmal ein Eis essen mit den Füßen im Wasser, noch einmal draußen ein paar Längen schwimmen. Bevor es im Winter wieder in die Hallenbäder geht. Das Wasser spüren, das schon recht frisch ist und nach Herbst riecht. Die warme Luft genießen und das Nichtstun.
Er stand nur da
Am Heimweg fiel mir ein alter Mann auf. Er stand in der U-Bahnstation am Fenster, den anderen den Rücken zugewandt und sah hinaus. Er war gut Ende 80, vielleicht noch älter, trug eine Badetasche mit einem gelben Handtuch, auf dem die Badehose lag. Sie war noch nass und tropfte auf sein rechtes Bein. Ihn schien es nicht zu stören. Er ließ sich durch nichts und niemanden ablenken, nicht unterbrechen. Er stand nur da und schaute. Auf die Segelboote, die unruhig im Wind auf und ab tänzelten. Die Kinder, deren Schwimmflügel aus der Ferne nicht mehr waren als orange kleine Punkte im dunklen Blau des Wassers. Auf die Menschen, die am Ufer saßen, plaudernd oder schweigend mit geschlossenen Augen die letzten Sonnenstrahlen genossen. Selbst als die U-Bahn einfuhr, wandte er sich nicht ab. Es war als konnte er sich nicht losreißen von diesem schönen Anblick eines Sommerabends am Wasser. Seine Augen hatten keinen verklärten Ausdruck, nicht sehnsüchtig oder verträumt. Sein Blick war konzentriert und ernst. Als wollte er sich alle Einzelheiten genau einprägen, um auch das winzigste Detail nicht zu vergessen.
Er wirkte wie ein Mensch, der sich von einer großen Liebe verabschieden musste. So wie Verliebte aussehen, die man zur Trennung zwingt. Aufgrund äußerer Umstände wie den Umzug eines Partners in ein anderes Land oder Verpflichtungen, die beide inmitten ihrer Leidenschaft vergessen hatten. Oder der Abschied kommt unabwendbar mit dem Urlaubsende, weil die Verliebten noch zur Schule gehen und mit den Eltern heimfahren müssen. In ein Zuhause, das jeweils in entgegengesetzten Himmelsrichtungen liegt.
Ein Glas voll Sommer
Anfangs schreiben sie sich noch Sehnsuchtsbriefe. Doch schon beim zweiten oder dritten ahnt man, es wird der letzte sein. An diese Briefe in meiner Schreibtischlade musste ich denken, als ich den alten Mann am Bahnsteig vor dem Fenster stehen sah. Daran wie schwer mir selbst Abschiede fallen und der vom Sommer ganz besonders. Und an das Olivenglas voll Meerwasser, das ich als Kind vom allerersten Meerurlaub heimlich einpackte. Weil ich hoffte, so die Wellen einfangen zu können, den Geschmack der Muscheln, den Geruch der Luft. Die Hälfte verschüttete ich schon während der Fahrt im Auto, der Rest verdunstete innerhalb weniger Tage. Leider. Das wär doch schön, wenn man Erinnerungen konservieren könnte. Wenn es ein Glas voll Sommer gäbe. Das würde nach Sonnenmilch riechen, Pommes mit Ketchup, nach Seewasser und Meeresluft. Sobald der Herbstwind die Blätter von den Bäumen bläst und der Regen an die Scheiben klopft, könnte man es öffnen und den Duft des Sommers tief einziehen. Dann wär die Sehnsucht nach den warmen Tagen für einen Augenblick nicht ganz so groß.
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