Anton Zeilinger wirkt mit 77 alles andere als pensionsreif. Und Alexander Van der Bellen wagt mit 78 Jahren eine zweite Amtszeit. Damit ist er auf einer Linie mit vielen italienischen und amerikanischen Politikern: Sergio Mattarella ist 81, Joe Biden 79. Henry Kissinger hat mit 99 ein neues Buch veröffentlicht.
Klar, nicht jeden Job kann man jahrzehntelang ausüben, manchmal ist die Belastung zu stark. Doch die Digitalisierung hat schwere und monotone Arbeit drastisch verringert. Besuchen Sie doch eine Fabrikshalle, etwa der Voest: Sie ist fast menschenleer, das Bild vom schwitzend schuftenden Arbeiter am glühenden Hochofen ist überholt. Genauso wie der pumperlgesunde „Bahnbeamte“ von einst, der mit 50 Jahren in Pension geht, um nur noch den Schrebergarten statt Schienen zu pflegen.
Also alles paletti? Nein, gar nicht. Trotz eklatanten Arbeitskräftemangels wird das Potenzial Älterer viel zu gering geschätzt bzw. durch arbeitsrechtliche Auflagen und vor allem die gelebte Praxis beim Sozialgericht torpediert, was als Schutz gedacht ist, aber Neuanstellungen verhindert. Insgesamt leben wir in einer Gesellschaft, die Arbeit als Leid und Freizeit als Paradies begreift. Dieses „Virus“ hat längst auch die Jungen erfasst. Viel zu wenig sprechen wir davon, dass Arbeit und Gebrauchtwerden auch Würde und Gesundheit bedeuten. Die Gefahr von Einsamkeit, Langeweile, Verbitterung und damit einhergehende Krankheitsanfälligkeit in der Pension zu thematisieren, ist fast schon ein Tabu. Aber nicht alle Älteren sind mit Familie, Hobbys, Ehrenamt oder spätem Studium ausgefüllt.
Der Arbeitsmarkt und wohl auch die Betroffenen selbst dürfen ruhig flexibler werden: Warum nicht einen Jobwechsel wagen, statt in Pension zu flüchten, wenn der aktuelle Arbeitsplatz grantig und krank macht? Warum nicht öfter Menschen aus der Rente zumindest für einige Wochenstunden zurückholen? Natürlich braucht das unkonventionelle Lösungen. So sollte man zum Beispiel eine 60-jährige Spitalsärztin nicht in den Ruhestand versetzen, nur weil ihr das Regelschema samt aller Nachtdienste nicht mehr passt. Das Prinzip „ganz oder gar nicht“ ist vorbei.
Dennoch ist das Alter der Elefant im Raum bei dieser Wahl. Eine Schülerin stellte Van der Bellen bei der ORF-Kandidatenshow die heikle Frage, ob er sich einmal zu alt fühlen könnte. Dann würde er nicht zögern, zu sagen: „Oida, es reicht“, antwortete dieser anbiedernd locker. Wann es wirklich Zeit zu gehen ist, ist eben eine individuelle Sache. Auch Joe Biden muss mit seiner Partei klären, ob er ab 2024 nur noch mit dem Hund Gassi gehen wird, weil er dem Amt nicht mehr gewachsen ist.
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