Türkischer Oppositionsführer: "Die Menschen haben genug von Erdoğan"

CHP -Chef Kilicdaroglu macht die syrischen Flüchtlinge zum Thema
Der CHP-Chef Kemal Kılıçdaroğlu blickt zuversichtlich auf das Wahljahr 2023.

Die türkische Opposition gibt sich trotz zunehmenden politischen Drucks zuversichtlich, dass sie Präsident Recep Tayyip Erdoğan im neuen Jahr nach 20 Jahren an der Macht ablösen wird. Die Menschen hätten genug von Erdogan. "Sie sagen, es reicht. Du bist müde geworden, zieh dich zurück. Es wird eine neue Ära beginnen", sagte der Chef der größten Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, der Deutschen Presse-Agentur.

Die Menschen in der Türkei sehnten sich nach Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit, sagte der Oppositionsführer. Die Parlaments- und Präsidentenwahlen in der Türkei finden regulär im Juni 2023 statt, könnten aber vorgezogen werden. Ein Sechser-Bündnis, darunter die CHP und die nationalkonservative Iyi-Partei, will einen gemeinsamen Kandidaten gegen Erdoğan aufstellen. Ihr Ziel ist, das derzeitige Präsidialsystem abzuschaffen, unter dem Erdoğan seit 2018 weitreichende Befugnisse hat. Zudem steht die Justiz in vielen Teilen unter Kontrolle der Regierung, wie etwa die EU-Kommission bemängelt.

Allgemeine Unzufriedenheit

Der ehemalige Erdoğan-Vertraute und Politiker der Iyi-Partei, Turhan Cömez, verwies auf die allgemeine Unzufriedenheit im Land angesichts der Inflation von mehr als 80 Prozent. Erdogan habe zwar alle staatlichen Institutionen und die Justiz in seinen Händen, aber er habe an Popularität verloren, sagte Cömez der dpa. "Die Menschen haben ihre Hände zu Fäusten geballt und bereiten sich darauf vor, Erdogan an der Wahlurne eine Lektion zu erteilen."

Die islamisch-konservative Regierungspartei AKP zeigt sich vom Selbstbewusstsein der Opposition dagegen unbeeindruckt. Zwar sei die Wirtschaft ein wichtiges Thema bei den anstehenden Wahlen, die Menschen vertrauten aber nach wie vor Erdogan, hieß es aus AKP-Kreisen. Auch Umfragen wiesen darauf hin, dass die Wähler der Opposition nicht zutrauten, die wirtschaftliche Situation zu verbessern, sagte Özer Sencar, Chef des Umfrageinstituts Metropoll. Er warne Erdoğan-Gegner daher vor zu großem Optimismus. "Erdoğan kann gegen einen schwachen Kandidaten gewinnen", so Sencar.

Politikverbot gegen stärksten Gegner

Ein möglicher Kandidat, der als besonders aussichtsreich gilt - der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu - war Mitte Dezember mit einem Politikverbot belegt worden. Wenn dieses rechtskräftig wird, dürfte er nicht zur Wahl antreten. Beobachter werten den Schritt als politisch motiviert, mit dem Ziel, einen Gegner Erdogans ins politische Aus zu manövrieren. Erdogan hatte zurückgewiesen, Einfluss auf das Urteil genommen zu haben.

Erdogan-Widersacher Imamoglu im Visier der Justiz

Am 14. Dezember kam es in dem seit Jahren laufenden Prozess gegen Imamoğlu zu einem Urteil: Der Bürgermeister soll wegen "Beleidigung des Wahlausschusses" für zwei Jahre und sieben Monate ins Gefängnis. Auch die Ausübung sämtlicher politischer Ämter ist ihm nach dem Urteil verboten.

Imamoğlu war in der Anklageschrift vorgeworfen worden, die Mitglieder der türkischen Wahlbehörde rund um die Kommunalwahlen im Jahr 2019 öffentlich beleidigt zu haben. 

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Kılıçdaroğlu, der auch als Kandidat gehandelt wird, sagte mit Blick auf die Wahl, er traue weder Erdoğan noch der Wahlbehörde. Die Justiz agiere "auf Befehl" des Präsidentenpalastes, kritisierte er. Die Opposition bereite sich daher vor und bilde Tausende Wahlhelfer aus. Weder ein Wahlsieg Erdoğans noch einer der Opposition gilt Umfragen zufolge derzeit als sicher. Eine wichtige Rolle könnten bei der Wahl auch Auslandstürken spielen. Bei der Wahl im Jahr 2018 waren etwa in Österreich rund 100.000 Auslandstürken wahlberechtigt. Wie auch im benachbarten Deutschland kam Erdoğan auf ein deutlich besseres Ergebnis als in der Türkei selbst.

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