Als “Halb-Wirtschafts-Halb-Kriegsflüchtling” bezeichnet er sich schmunzelnd. Petar Rosandić, der im August 37 Jahre alt wird und in der breiteren Öffentlichkeit als Rapper Kid Pex bekannt ist, ist ein Mann mit zahlreichen Facetten.
In Zagreb erblickte “Pero” das Licht der Welt. Als Achtjähriger musste er erstmals groß Koffer packen, denn mitten im Kroatien-Krieg entschied sich seine Familie für Sicherheit und zog nach Wien. Hier entdeckte Kid Pex seine Liebe zum Hip-Hop, machte seinen Bachelor in Publizistik, arbeitete im Journalismus, gründete nebenbei ein Mode-Label - und engagierte sich für geflüchtete Menschen. 2013 hatte das Ganze in der Votivkirche mit dem Refugee Protest Camp Vienna seinen Lauf genommen, “mit der Gründung von SOS Balkanroute explodierte es” (O-Ton Rosandić). Ein Gespräch über Anlaufschwierigkeiten eines jungen Kroaten, der heute perfektes Wienerisch spricht, diese Stadt lebt und an der vordersten Front für die Rechte derer kämpft, die Schutz dringend brauchen.
Hätten wir dich gefragt, ob wir dieses Interview in Kroatisch führen können, was hättest du geantwortet?
Kid Pex: Meine Kroatischkenntnisse sind sehr gut. Das hat einen Grund: Mein Großvater war Kroatisch-Professor an der Uni in Zagreb und hat mich von klein auf gedrillt. Ich habe relativ früh, mit 16, in kroatischen Zeitungen kleine Artikel schreiben dürfen über kroatische Sportler bzw. Sportarbeiter in Österreich, etwa Ivica Vastić oder Otto Barić.
Wie oft hat man dich in Wien auf Kroatisch interviewt?
Ich glaube, kein einziges Mal (lacht).
Wie erklärst du dir das angesichts der enormen Größe dieser Community in Wien?
Es sagt etwas über den Stellenwert dieser Sprache im politischen Kontext in Österreich. Es gibt Sprachen in diesem Land, die von Politikern auf- bzw. abgewertet werden.
Das neue Video von Kid Pex nach 2 Jahren Balkanrouten-Pause:
Dein Opa hat dafür gesorgt, dass dein Kroatisch tadellos ist. Tut es ein bisschen weh, wenn du in der U-Bahn Jugendliche hörst, die einen doch recht fehlerhaften Misch-Masch zwischen Deutsch und Kroatisch (Bosnisch/Serbisch) gebrauchen?
Ehrlich: Nein. Ich bewerte die Leute nicht danach und erwarte auch nicht, dass jeder in der U-Bahn einen universitären Vortrag halten kann. Ich mag diese Sprach-Melange, dieses Wiener Jugo, das “Gemma Lugner”. Das kommt davon, dass ich mit den Bosniern und Serben sehr viel Zeit in den Parks verbracht habe. Da ist halt jedes dritte Wort Deutsch. Ich finde das sympathisch.
Daraus ist dann auch deine Geschäftsidee mit der Streetwear-Marke “Wien oida, Beč oida” entstanden …
Ja, sicher beruht das darauf. Dahinter steckt dieses: “Wir sind auch da!” 2006 habe ich nämlich den Song “Komm nach Wien” (Dođi u Beč”) aufgenommen. Aus Spaß habe ich im Intro einfach so “Beč, oida” gesagt und das ist beim Besitzer des Studios, einem Österreicher wohlgemerkt, so hängengeblieben, dass er mir anschließend die CD-Aufnahme mit der Aufschrift “Beč, oida” überreicht hat. Den Österreichern taugt das!
Findest du diese Späßchen mit Begriffen wie “Jugo” oder “Tschusch” nicht manchmal auch lästig?
Es kommt auf den Kontext an bzw. wie das Setting ist, wo diese Person das sagt. Mein Klassenvorstand hat mir mal gesagt: “Das kannst du bei deinen Jugos machen”. Dieser Satz hatte eine klare Konnotation. Wenn das aber jemand sympathisch, mit einem lustigen Beigeschmack meint, dann finde ich das durchaus okay.
Du bist als Kind hergekommen. Hast du deinen Namen in der Schulzeit jemals als Hindernis empfunden?
Auf jeden Fall. In den 90er Jahren hatte man als “Zugeraster” eine ganze andere Wahrnehmung von den Lehrern, ja gar von der ganzen Gesellschaft. Heute werden die Menschen aus Ex-Jugoslawien aufgewertet, gleichzeitig die türkischen Mitbürger bzw. die hier lebenden Muslime abgewertet. Strache hatte den Jugos, genauer den Serben, damals quasi die Eintrittskarte angeboten (Anm.: HC Strache buhlt seit 2008 mit zielgruppengerichteten Kampagnen um serbische Wählerstimmen).
Wie war das für dich damals? Hast du mit acht überhaupt mitbekommen, dass das Land, in dem du geboren wurdest nicht mehr existiert?
Schon. Ich war verloren in einer verlorenen Zeit. Die Familie saß die ganze Zeit vor dem Fernseher, am Telefon und verfolgte, was unten vor sich ging, wie es der Verwandtschaft an der Front geht. Ich habe mich damals hier noch nicht zuhause und noch nicht vollwertig gefühlt. Ich habe schließlich in Hip-Hop meine Heimat gefunden.
Hast du jemals das Gefühl gehabt, dass du aufgrund deines Backgrounds mehr leisten musstest als ein “Max Mustermann”?
Definitiv. In der Schule zum Beispiel. Es gab da eine Lehrerin, die bereits meiner älteren Schwester grundlos Probleme bereitet hat. Bei mir hat sie weitergemacht. Wir haben immer vermutet, dass es aufgrund unseres Backgrounds ist. Einmal musste sogar die ganze Klasse lautstark dagegen protestieren, weil sie mich ungerecht benotet hat. Es gab schon ein paar Lehrer, die so getickt haben.
Fielen diese “Alltagshürden” dann, als du von der Sprache her auf demselben Level warst wie ein “echter Wiener”?
Ich habe eine Zeit lang in einem Gemeindebau gewohnt, wo ich mein Wienerisch richtig nachschärfen konnte. Ich glaube, ich entwaffne damit viele Menschen. So eine Person sehe ich z.B. in der SPÖ-Politikerin Nurten Yilmaz. Für mich gibt es keine größere Wienerin im Parlament, auch wenn sie diesen Namen trägt. Wenn sie losredet, da hörst du ein Beisl aus den Tiefen Ottakrings heraus (schmunzelt).
Glaubst du, dass die Ex-Jugoslawen hier besser integriert sind als die Türken?
Das würde ich nicht sagen. Ich glaube, dass den Menschen aus Ex-Jugoslawien mittlerweile einige Sachen erleichtert wurden. Zudem erfahren sie höhere Akzeptanz. Das dürfte auch religiöse Gründe haben. Die Dämonisierung des Islams, die in den letzten Jahren so stark vor sich geht, hat dazu beigetragen. Es wird vehement versucht, den radikalen Islam als die größte Gefahr für uns Menschen darzustellen.
Du redest jetzt aus der Sicht eines Flüchtlingshelfers?
Nicht nur. Aber natürlich ist das bei der Flüchtlingshilfe noch emotionaler. An den EU-Außengrenzen merkst du halt, wie entrechtet diese Menschen sind.
Hat die EU in dieser Hinsicht versagt?
Auf jeden Fall. Dieses jahrelang aufgebaute Bild einer großen Länderunion, die für Menschenrechte steht, ist inzwischen nicht mehr als eine Farce, eine Lüge die Europa lebt. Ihr wahres Gesicht hat die EU aber bereits in den 90ern in Bosnien gezeigt, wo sie in einer zuschauenden Rolle “glänzte”.
Die Medien berichten von sich anbahnenden Flüchtlingsströmen Richtung Europa. Kannst du uns aus erster Hand sagen, ob wir dem Glauben schenken können?
Mit der Klima-Flucht könnte die Zahl der Flüchtenden gewiss steigen. Andererseits sind das lächerliche Zahlen, über die wir derzeit reden. Im Moment halten sich in Bosnien nicht mehr als 10.000 Flüchtlinge auf, diese Zahl ist in den vergangenen Jahren stets stabil gewesen. Auf Lesbos halten sich 13.000 Menschen auf. Das ist für die EU ein Klacks. Das ist lächerlich. Wie sagte es Michael Häupl doch einst: “Die könnten wir in Ottakring unterbringen!”
Rufen wir etwa nur eine neue Gefahr für die Menschheit herbei?
Definitiv. Das Ganze ist auf die falsche Art und Weise aufgeblasen. Da wird uns ein Geschichtl aufgedrückt, es geht da wie immer um dieses Angstschnüren. Diese armen Menschen werden zu Unrecht von der Politik dämonisiert. Dabei habe ich bei meiner Flüchtlingsarbeit in Bosnien so viele coole und gebildete Menschen kennengelernt: Ein junges IT-Genie aus Marokko, dessen Traum ein Job bei Microsoft ist und der uns nun in unserem Büro im Flüchtlingslager computertechnisch unterstützt oder einen Künstler aus Afghanistan, dem wir Spraydosen besorgt haben, mit denen er dem tristen Alltag ein neues Leben eingehaucht hat.
Wollen diese Menschen auch nach Österreich?
Naja, Österreich hat inzwischen einen schlechten Ruf, wenn es um Asylverfahren geht. Österreich gilt als harter Brocken und Anführer dieser harten Asylpolitik und das hat sich natürlich herumgesprochen. Das Ziel von den meisten Menschen, die nach Bosnien kommen, ist dann doch Italien, weil sie dort halbwegs unterkommen können - obwohl sie auch dort langwierige Verfahren erwarten.
Was war eigentlich deine Motivation, dich der Flüchtlingshilfe zu widmen?
Ich bin damals mit deutschen Aktivisten, die auf Vučjak (Anm.: Bosnischer Berg an der Grenze zu Kroatien) geholfen haben, in Kontakt gekommen. Mitten in den Bergen, weit weg von der Zivilisation, dort, wo ehemals eine Müllhalde stand, ließ der Bürgermeister von der nächstgelegenen Stadt Bihać ein Flüchtlingscamp errichten - neben einem Minenfeld. Wir waren dort, haben naiv mit einem VW-Bus Spenden gebracht. Wir konnten nicht fassen, dass mitten in Europa, so nahe an Österreich, quasi drei Stunden von Grenzort Spielfeld entfernt, die Menschen so behandelt werden. Du kannst deinen Augen nicht trauen, dass es möglich ist, dass man Menschen auf europäischem Boden ja nicht mal unterbringt, sondern einfach wegschmeißt.
Hast du dich an deine Kindheit erinnert gefühlt?
Dieser Grundgedanke schwimmt auf jeden Fall mit. Doch, die Situation, in der sich diese Menschen befinden ist mit unserer damals nicht vergleichbar. Uns ging es damals gut. Was da für systematische Gewalt gegen diese Menschen ausgeht, diese Menschen werden geschlagen, gefoltert. Letztens hat sogar der englische “Guardian” einen Fall aufgedeckt, von einer jungen Afghanin, die von kroatischen Polizisten vergewaltigt wurde. Diese Gräueltaten, die passieren alle mit dem Segen der EU. Die Menschenrechtsverletzungen interessieren scheinbar keinen.
Kehren wir nochmals zu den Wurzeln zurück. Was macht für dich die Balkanmentalität aus?
Schwer zu sagen. Ich glaube, der Balkan hat sich in den letzten 30 Jahren sehr stark verändert. Grundsätzlich ist es eine sehr gesellige, gastfreundliche Mentalität.
Und wie sieht die Kehrseite aus?
Ich glaube, unser größtes Problem ist, dass wir immer noch sehr, sehr nach Anerkennung und Selbstbewusstsein suchen. Vor allem nach dem Zerfall Jugoslawiens hatten die Menschen Hunger nach Kapitalismus, die wollten alle Bestätigung erfahren, ihre Errungenschaften wollten sie wertgeschätzt haben. Wenn es dann mal jemanden gibt, der etwas erreicht hat, dann ringt man um ihn. Wie bei Nikola Tesla, den sowohl die Kroaten als auch Serben für sich beanspruchen.
Wird man diese Streitigkeiten irgendwann beilegen?
Ich bin pessimistisch (lacht).
Wird diese Region ewig ein Pulverfass bleiben?
Solange wir ein Spielball internationaler Politik sind und leicht gegeneinander auszuspielen sind, wird es so bleiben.
Spürst du die Gespaltenheit zwischen den Völkern Ex-Jugoslawiens auch hier in Wien?
Wir leben hier in einer Art Diaspora-Schizophrenie. Viele Leute reden und leben hier anders als wenn sie dann hinunter in den Urlaub fahren. Dort teilen sie dann plötzlich die nationalisierten Ansichten der Menschen unten. Hier leben sie Jugoslawien quasi. Nur wenn’s hart auf hart kommt, dann sind sie bei ihren 1991er-Statements.
Wenn du nun nach Kroatien fährst, fährst du dann nach Hause?
Ich fahre dann in meine alte Heimat.
Wien ist dein Zuhause?
Fix. So wird’s wohl auch bleiben. Ich bin hier zu gemütlich geworden (lacht). Spaß beiseite: Ich mag Wien zu sehr mittlerweile, ich lebe es auch zu sehr. Wenn ich mich wo zuhause fühle, dann am ehesten in Wien.
Zum Schluss wollen wir deinen Integrationsgrad erfahren: Leberkäse oder Pljeskavica?
Beides.
Raf Camorra oder Vojko V (Anm.: ein bekannter kroatischer Rapper)?
Puh, schwer. Vojko V.
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