Okşan Svastics oder auch ein Schlüssel in andere Welten
Okşan Svastics Geschichte in Wien, das ist eine Liebesgeschichte. Sie beginnt 2003 mit einem Besuch in der österreichischen Hauptstadt. Damals noch als Touristin. Die gebürtige Türkin ist zu dem Zeitpunkt in Istanbul zu Hause.
Wien sollte nur ein Städtetrip sein. Doch wie es eben manchmal so kommt im Leben, wird aus einer vermeintlich flüchtigen Begegnung mit dem Freund einer Freundin, schnell etwas, das ihr Leben komplett auf den Kopf stellt. Diesen Freund nennt sie heute nämlich ihren Mann. "Nach diesem ersten Besuch in Wien habe ich ihn noch paar Mal hier besucht. Und er mich in Istanbul. Es war aber schnell klar, dass eine Fernbeziehung auf Dauer für uns nicht infrage kommt", erinnert sie sich.
"Wien lässt nichts in Vergessenheit geraten"
Ende 2003 zog Svastics nach Wien – eine Stadt, die komplett anders ist, als die, in der sie zuvor gelebt hatte. „Ich komme aus dem Chaos. Aus einer Stadt, die lebt, in der immer 24 Stunden am Tag etwas los ist. In Wien hatte ich manchmal den Eindruck, die Stadt schläft ein bisschen. Hier ist alles so viel langsamer“, so Svastics. "Anfangs in Wien habe ich mich oft gefragt: Bin ich eigentlich die Einzige, die es auch mal eilig hat?"
Doch mit dem Alter und der Reife habe sie genau das an Wien lieben und schätzen gelernt. "Dass es langsamer ist, hat auch seine Vorteile. Die Geschäfte meiner Kindheit etwa gibt es in der Form nicht mehr, weil sich die Stadt so schnell verändert. In Wien ist es viel wahrscheinlich, dass der kleine Süßwarenhandel aus der Kindheit noch immer existiert", sagt Svastics. An Wien schätzt sie überhaupt, dass man an dem, was es ausmacht, auch festhalte. „Wien lässt nichts in Vergessenheit geraten. Es schaut auf seine kleinen Geschäfte und seine historischen Gebäude. Menschen, die schon ihr ganzes Leben hier leben, kommt es vielleicht nicht immer so vor. Aber als jemand, der seine ersten 40 Jahre in der Türkei verbracht hat, weiß ich, wie es auch sein kann.“
In der Türkei arbeite Svastics als freischaffende Journalistin und Lektorin. Sie schrieb und beschäftigte sich vor allem mit den Themen Kunst und Kultur.
Die schreckliche deutsche Sprache
Das wollte sie auch in Wien weiter machen. Das Erste, was sie tat, war sich für einen Deutschkurs einzuschreiben. "Das war wirklich hart für mich. Deutsch und Türkisch sind Sprachen mit komplett unterschiedlichen Logiken. Ich kann mich erinnern, dass ich heulend Präpositionen gelernt habe. Als Erwachsene eine neue Sprache zu lernen, ist schwierig", erzählt sie noch heute mit einem Schaudern. Der englische Autor Mark Twain habe auch schon gut beschrieben, wie schwierig es ist, deutsch zu lesen, fügt sie noch hinzu.
„Die schreckliche deutsche Sprache“ heißt das Werk, auf das sich Svastics bezieht. Darin resümiert Twain: "Meine philologischen Studien haben mich davon überzeugt, dass ein begabter Mann Englisch in dreißig Stunden lernen kann, Französisch in dreißig Tagen und Deutsch in dreißig Jahren."
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Objektive Betrachter würden sagen, dass Svastics mittlerweile ausgesprochen gut Deutsch spricht. Für sie, die es mit ihrem Türkisch vergleicht, ist es natürlich weit weg davon. Das ist auch der Grund, wieso sie ihre "Spaziergänge", wie sie es nennt, auf Türkisch abhält.
Führungen auf Türkisch
Denn ihre Begeisterung für Kunst und Kultur wollte Svastics auch in Wien ausleben. In ihren ersten Jahren arbeite sie noch teilweise weiter als Journalistin und Lektorin. Auch schrieb sie ein Buch. "Jüdisches Istanbul", erschien 2010 auch auf Deutsch im Mandelbaum Verlag. Im Jahr 2015 begann sie dann eine Ausbildung zur staatlich geprüften Fremdenführerin, die sie 2017 beendete.
Seither arbeitet sie als Guide und macht ihre Spaziergänge. Sie nennt sie so, weil sie keine trockenen Informationen weitergebe, sondern Geschichten und Zusammenhänge erzähle. „Und um Geschichten zu erzählen, muss ich mich wirklich wohlfühlen. Deshalb mache ich bisher nur Führungen auf Türkisch.“ Ihre Zielgruppe sind im Grunde alle Türkischsprachigen. "Von Menschen, die nur kurz auf Wienbesuch sind, bis zu Erasmus-Studenten und auch Menschen, die schon seit 40 Jahren in Wien leben, habe ich allerlei Menschen bei mir", sagt sie.
Die meisten kennen Svastics über Mundpropaganda oder Social Media. Auf Instagram, dort findet man sie unter dem Namen "Viyana anahtari", was auf Deutsch "Der Schlüssel zu Wien" bedeutet, folgen Okşan Svastics mehr als 2.000 Menschen. Auf Twitter sind es mehr als 14.000. "Eigentlich sollte es eher umgekehrt sein. Aber einen Großteil meiner Teilnehmer machen Stammgaste aus", erzählt sie.
Auf den Spuren der Osmanen
Die Themen ihrer Spaziergänge decken verschiedenste Bereiche ab. Mal erzählt sie über die jüdische Geschichte Wiens, ein anderes Mal begibt sie sich auf Grätzeltour. Immer wieder begibt sie sich auch auf die Spuren der Osmanen. „Aber da geht es mir weniger um die Belagerungen, sondern mehr um den kulturellen Austausch, der stattgefunden hat“. Die Geschichte rund um osmanische Spuren in Ölgemälden des Kunsthistorischen Museums sei, das erzählt sie stolz, ihre Idee gewesen.
Ihre Lieblingsgeschichte, der sie auch einen eigenen Spaziergang gewidmet hat, ist die der byzantinischen Prinzessin Theodora Komnena. Sie wurde im Jahr 1133 in Konstantinopel geboren. Durch ihre Heirat mit Heinrich II. Jasomirgott aus dem Haus der Babenberger wurde sie zur Herzogin von Österreich. "Wie ich ist sie quasi auch von Istanbul nach Wien gekommen", zieht Svastics Paralleln zu ihrem Leben.
Theodora Komnena beziehungsweise dann später Theodora von Babenberg gilt als eine der bekanntesten und einflussreichsten Ehefrauen der Babenbergerdynastie – vor allem wegen ihrer politischen Präsenz. Sie soll etwa bei der Verlegung des Herrschersitzes von Klosterneuburg nach Wien entscheidende Impulse gegeben haben. "Sie und ihr Mann sind auch die einzigen Babenberger, die in Wien und nicht in Klosterneuburg begraben liegen", fügt Svastics noch hinzu.
Am beliebtesten seien ihre Spaziergänge über das mittelalterliche Wien und jener zu den traditionellen Kaufhäusern der Stadt. Svastics’ Favorit ist das 1880 eröffnete Café Sperl im sechsten Wiener Gemeindebezirk. "Ich bin zwar nicht sehr oft dort, aber von der Stimmung und Ästhetik her ist es mein liebstes Kaffeehaus." Ihren Kaffee trinke sie nämlich am liebsten zu Hause und nicht im Kaffeehaus. "In dieser Hinsicht bin ich nie eine echte Wienerin geworden."
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