Die Einigkeit und Geschlossenheit von Europa angesichts des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, ist eine, die es so zuvor wohl nicht gab. Das gilt nicht nur in der Frage, dass wir hier auf der Seite der Ukraine sind, sondern auch in der sonst so kontroversen Flüchtlingsfrage. Sogar für Länder wie Ungarn und Polen war klar: Wir nehmen Flüchtlinge auf. Keine Frage. Die Ukraine ist im Krieg und braucht Hilfe.
„Kinder, Frauen, Ukrainer und dann erst Schwarze“
Nun, ganz so selbstverständlich scheint die Hilfe aber nicht für alle zu sein. Vor allem in den Sozialen Medien ist immer wieder zu lesen, dass etwa in der Ukraine lebende Studenten aus Nigeria, Ägypten, dem Jemen oder Indien, benachteiligt und von den Grenzen abgewiesen werden. Auch Menschen, die einst in der Ukraine Asyl gefunden haben, und jetzt erneut flüchten müssen, sind betroffen.
Betroffene berichten, dass sie wegschubst werden. Die Rangordnung sei „Kinder, Frauen, Ukrainer und dann erst Schwarze“, ist immer wieder zu lesen. Auch berichten viele, dass sie an den Grenzen aufgrund ihrer Hautfarbe nicht weitergelassen werden.
Bijan Hosseini; Mitarbeiter der CNN, beschreibt etwa auch den langen, mühsamen und von Rassismus und Benachteiligung geprägten Weg seiner Adoptivschwester aus der Ukraine. „Ihre Geschichte ist nur eine von Tausenden“ betont er.
Auch der KURIER wurde in den vergangenen Tagen mit rassistischen Äußerungen konfrontiert.
In einem Artikel, über ukrainische Schutzsuchende, in dem ein Bild mit Schwarzen Menschen verwendet wurde, hagelte es auch sofort Empörung: Das seien doch keine Ukrainer. Tatsächlich leben, oder lebten, in der Ukraine laut der Nachrichtenagentur Reuters allein um die 16.000 ausländische Studierende.
Auch ein weiteres Bild einer Geschichte sorgte für Aufregung. Ein Mann, Mitte bis Ende 20, der mit einem Koffer an der ukrainisch-ungarischen Grenze fotografiert wurde und als Symbolbild für Flüchtende verwendet wurde, war "kein Ukrainer" wie eine erboste Anruferin dem KURIER mitteilte. "Sie wissen doch wie Ukrainer aussehen oder? Das ist garantiert kein Ukrainer", hörte der Kollege von der Dame am Telefon.
„Blanker Rassismus“
Kritik und Unverständnis darüber, dass das Leben von weißen Menschen wohl schützenswerter ist, wird immer lauter. Ausgangspunkt sind auch mehrere Berichte und Interviews, in denen betont wird, dass es diesmal anders sei. Korrespondentin Lucy Watson vom britischen ITV sagte etwa, dass es sich bei der Ukraine „nicht um ein Dritte-Welt-Land handeln würde, sondern um Europa“. Charlie D’Agata vom amerikanischen Sender CBS News meinte er, dass die Ukraine nicht mit dem Irak oder Afghanistan vergleichbar sei, weil es sich um ein „europäisches“ und „zivilisiertes“ Land handele.In einem Interview mit der britischen BBC sagte der ukrainische Generalstaatsanwalt David Sakvarelidze, dass er in diesen Tagen besonders emotional sei, weil er sehe, wie „europäische Menschen mit blauen Augen und blonden Haaren“ täglich getötet werden.
„Das ist blanker Rassismus“ kommentiert Journalist Hasnain Kazim auf Twitter. Ein anderer Journalist, Emran Feroz, kritisiert, dass sich auch nicht um den erstenbewaffneten Konflikt in Europa seit Ende des 2. Weltkrieges. „Als während des Jugoslawienkrieges der 1990er-Jahre ein Genozid gegen die Bosniaken verübt wurde, konnten sich nur wenige Deutsche, Briten oder Franzosen mit ihnen solidarisieren – obwohl sie so aussahen wie sie. Ähnliches war auch der Fall, als Wladimir Putin die tschetschenische Hauptstadt Grosny dem Erdboden gleichmachte und zahlreiche Menschen flüchten mussten. Auch die damaligen Geflüchteten sahen „europäisch“ aus – wenn man das überhaupt so bezeichnen will – doch sie trugen „muslimische“ Namen wie Emir oder Ramzan, und die haben, so meinen anscheinend viele bis heute, nichts mit Europa und „unserem Kulturkreis“ zu tun.“ Schreibt Feroz in seinem Artikel.
All die Kritiken kanalisieren die Doppelmoral. Dass es Schutzsuchende erster und zweiter Klasse gäbe. Die Frage, die dabei immer gestellt wird, ist nicht warum Solidarität mit der Ukraine und den „weißen Menschen“ gibt, und ihnen geholfen wird, sondern wieso es bei anderen nicht so ist.
Kommentare