Jugos und Ur-Wiener: Eine bedingungslose Hassliebe

Mirad Odobasic
Warum die Ex-Jugoslawen und ihre "Gastgeber" perfekt zueinander passen - auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen.

Worüber die sich wohl unterhalten mögen, habe ich mich täglich gefragt, während ich sie aus meiner Ecke unseres verrauchten Stammlokals beobachtete. Wolfgang und Deda (Anm.: Opa auf BKS, seinen Vornamen kannte im Lokal niemand) saßen immer an der Bar und unterhielten sich prächtig. Der eine Ur-Wiener, vor dem ein Seiterl nicht fehlen durfte, der andere ein in den 1970ern aus dem damaligen Ex-Jugoslawien gekommener und ewig hier gebliebener Gastarbeiter, der Melange bevorzugte (seine Nase verriet aber, dass er einst Wolfgangs Vorliebe für den Gerstensaft teilte).

Anfangs verblüffte mich diese Freundschaft. Ich sah zwei total verschiedene Menschen, die auf keinerlei gemeinsamen Nenner zurückzuführen sind. Naja, bis auf die Tatsache, dass beide Pensionisten sind. Vielleicht quatschten sie über das Lieblingsthema aller Pensionisten am Balkan: die niedrigen Renten. Doch, Wolfgang wird sich als Österreicher nicht so sehr damit beschäftigen, dachte ich mir. Wie auch immer, meine Neugierde wuchs mit jeder von meinem Tisch aus beobachteten Konversation dieser beiden Herrschaften.

Über alles und jeden schimpfen

Ich konnte es mir nicht verkneifen. Ich setzte mich am Tag darauf ans Ende der Bar, von wo aus ich ihnen lauschen konnte. Nach wenigen Minuten war mir alles klar. Es war das Sudern, das die beiden zusammenbrachte. Diese Wiener Paradedisziplin beherrschte nicht nur der Ur-Wiener Wolfgang. Auch Deda war ein wahrer Meister darin, über alles und jeden zu schimpfen. Ob es um die Menschenrechte, Inflation, die globale Erwärmung oder aber die Farbe des neuen Holzbodens im Schanigarten ging - Wolfgang und Deda hatten an allem etwas auszusetzen. 

Beide schüttelten den Kopf über den neuen syrischen Imbiss ums Eck, den Rumänen, der den verstopften Abfluss am Klo reparierte, die Polen, die das Gerüst am Haus gegenüber aufstellten. "Früher hätt’s des net geben", waren sich beide einig. Die neuen "Zuag'rasten" waren beiden ein Dorn im Auge: Wolfgang einfach so, weil sie halt da waren und Deda, weil sie zu Dumping-Preisen arbeiten würden und somit seinen Landsleuten die Arbeit wegnähmen. Das Letztere würde womöglich die Antwort auf die mir oft gestellte Frage geben, warum denn so viele Jugos die Populisten wählen. 

Pechvögel

Nach ihrem Seiterl bzw. Melange werden sie sich in ihre günstigen Zinswohnungen begeben, wo auf den einen Fleischlaberl bzw. Pljeskavica (im Grunde dasselbe Gericht, bloß in einer anderen Form) warten. Der eine wird mit seiner Frau über die Jugos sudern, der andere über die Schwabos herziehen. 

Sowohl Wolfgang als auch Deda haben das Pech, dass sie aus Gebieten stammen, die seit jeher von anders aussehenden und redenden Menschen besiedelt wurden. So wird es auch bleiben. Sie werden irgendwann froh sein, dass es so ist, denn in einem Wiener Altersheim wird aller Voraussicht nach beide kein(e) Ur-Wiener(in), sondern ein(e) Zugeraste(r) pflegen.

Und spätestens wenn es soweit ist, wird Deda vergessen haben, dass er auch mal als Gast hergekommen ist. 

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