Erdbeben von Skopje: Die Geschichte einer verloren gegangenen Solidarität

In der Installation des australischen Künstlers Brook Andrew sind acht Werke aus der Sammlung des MoCA Skopje auf einem großformatigen, auffallend gemusterten aufblasbaren Objekt sowie einer Wandmalerei angeordnet.
Vor 60 Jahren wurden 80 Prozent der nordmazedonischen Hauptstadt vom Erdbeben zerstört. Eine Ausstellung in der Kunsthalle Wien zeugt von der großen Solidarität.

"Skopje ist die Geschichte einer verloren gegangenen Solidarität. In solch turbulenten Zeiten wie den heutigen sollten wir an sie erinnern", sagt Sabina Sabolović vor der riesigen Fotografie eines am begrünten Hügel stehenden weißen Gebäudes. "Die ganze Geschichte unserer Ausstellung dreht sich um dieses Museum, das ohne Solidarität gar nicht entstanden wäre", sagt die künstlerische Leiterin und lässt ihren Blick über die Hügel Skopjes schweifen.

Erdbeben von Skopje: Die Geschichte einer verloren gegangenen Solidarität

Über 1.000 Menschen kamen beim Erdbeben ums Leben

An diesem Punkt fängt für den/die Besucher/in der Gruppenausstellung "No Feeling Is Final. The Skopje Solidarity Collection" eine Reise in die Vergangenheit an. Es geht ins Jahr 1963 zurück. Die Hauptstadt der damals jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien wird am 26. Juli von einem verheerenden Erdbeben (der Stärke 6,9 auf der Richterskala) getroffen. Die traurige Bilanz: 1.070 Tote, 3.000 teils schwer Verletzte. 

Es wird geschätzt, dass bis zu 200.000 Einwohner und Einwohnerinnen der baulich von osmanischer Herrschaft geprägten Stadt ohne Decke über dem Kopf blieben. Etwa 75 bis 80 Prozent der Bauten wurden zerstört. 

➤ Skopjes Neuerfindung nach dem Erdbeben

Erdbeben von Skopje: Die Geschichte einer verloren gegangenen Solidarität

Sabina Sabolović vor dem aktuellen Bild Skopjes, das von der österreichischen Fotografin Elfie Semotan gemacht wurde. 

Das blockfreie Jugoslawien pflegte gute Kontakte, sowohl zum Westen als auch zum Osten

Eine große Welle der Solidarität entstand. Die Hilfe kam aus allen Ecken der Welt. "Zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg treffen amerikanische und russische Soldaten aufeinander. Doch haben sie diesmal statt eines Gewehrs eine Schaufel in der Hand", erzählt die gebürtige Kroatin und begründet die globale Hilfsbereitschaft auch mit der Position, die Jugoslawien nach dem historischen Nein zum einst verbündeten Russland eingenommen hatte - die zwischen den Blöcken. 

Das blockfreie, aus den Trümmern des Krieges geborene sozialistische Land pflegte eine Kommunikation sowohl zum Westen als auch zum Osten. 

Erdbeben von Skopje: Die Geschichte einer verloren gegangenen Solidarität

Die Bilder der Zerstörung: Die auf dieser Luftaufnahme angekreuzten Gebäude wurden vom Erdbeben zerstört.

Das Stadtbild Skopjes wurde auf den Kopf gestellt

Die große Aufmerksamkeit, die die Naturkatastrophe erweckte, erklärt sich auch durch die damals aufkeimende Verbreitung des Fernsehens. Die 1960er-Jahre sind das Jahrzehnt, indem das Fernsehen in die Haushalte Einzug hielt und sich zum führenden Unterhaltungsmedium entwickelte. "Die Bilder aus Skopje erreichten die Menschen auf der ganzen Welt. In gewisser Weise gehörte das Erdbeben zu den ersten TV-Ereignissen überhaupt", sagt Sabolović während sie durch die Ausstellung stolziert. 

Zu sehen sind hier apokalyptische Bilder einer durch das Beben erschütterten Stadt, aber auch Bilder von modernistischen Bauten, die nach dem großen Unglück aus dem Boden emporkamen und das Stadtbild Skopjes auf den Kopf stellten.  "Die Stadt, die nach dem Erdbeben entstand, war der Stolz Jugoslawiens", sagt die Kuratorin, während sie Kenzō Tanges Masterplan-Entwurf betrachtet. Der große japanische Architekt wurde damals mit der Neuplanung beauftragt. "Alles war ambitiös und gut durchdacht".

Erdbeben von Skopje: Die Geschichte einer verloren gegangenen Solidarität

Der japanische Star-Architekt Kenzō Tange (Mi.) mit seinem Team

Pablo Picasso & Co. spendeten ihre Werke an das Museum in Skopje

So auch die Entscheidung, ein Museum für zeitgenössische Kunst (MoCA) zu gründen. Die Vereinten Nationen verbreiteten dafür einen Spendenaufruf an Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, Werke für den Bestand dieses Neubaus zu spenden. Viele, teilweise auch sehr prominente Namen folgten dem Aufruf. In dem 1970 eröffneten MoCA entstand eine beachtliche Sammlung mit Werken von u.a. dem großen Pablo Picasso, David Hockney, Alfred Hrdlicka oder Georg Baselitz. 

"Wir haben uns auf die Sammlung dieses Museums konzentriert, weil sie so spezifisch ist. Sie entstand gänzlich durch Schenkungen der Künstlerinnen und Künstler", betont Sabolović, die diese Sammlung auch dem Wiener Publikum aus der künstlerischen Perspektive zeigen wollte. "Wir schickten fünf Künstlerinnen und Künstler nach Skopje, mit dem Auftrag, Werke daraus auszusuchen, die sie für wichtig erachten und diese in einer Art Dialog mit den eigenen Werken in Verbindung zu bringen", erklärt sie. Ob dies gelungen ist, kann man bis 28. Jänner in der Kunsthalle Wien beurteilen. 

INFOS: "No Feeling Is Final. The Skopje Solidarity Collection" in der Kunsthalle Wien im Museumsquartier, bis 28. Jänner 2024

Kommentare