Die Türkei und LGBT - eine schwierige Beziehung
Zur Stärkung der traditionellen Familie, so begründete es der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan kürzlich, müsse man Schritte gegen Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle (LGBT) setzen. "Denn eine starke Nation setzt eine starke Familie voraus". Und das Familienbild, das der konservative Präsident meint, besteht aus Mutter, Vater und Kind.
In den letzten Jahren und vor allem auch unter der AKP-Regierung kommt es in der Türkei zu immer mehr Repression gegen queere Menschen und die LGBT-Bewegung. Doch derart feindlich war die Situation nicht immer. Selbst Präsident Erdoğan machte 2002, bevor die AKP in die Regierung gewählt wurde, im Wahlkampf noch Versprechen wie "Homosexuelle Menschen brauchen gesetzlichen Schutz".
Die Ottomanische Bank - ein Männerbordell in Istanbul
In den Breitengraden der heutigen Türkei gibt es eine lange queere Geschichte. Dieser widmete sich auch die Veranstaltung "Vergangenheit und Gegenwart der queeren Kultur in der Türkei" des Vereins "Neuer Wiener Dewan".
Ist ein Sammelbegriff für Personen, deren geschlechtliche Identität (wer sie in Bezug auf Geschlecht sind) und/oder sexuelle Orientierung nicht der zweigeschlechtlichen, cis-geschlechtlichen und/oder heterosexuellen Norm entspricht.
Schon im Osmanischen Reich, so erklärt es Zülfukar Çetin, gab es eine gewisse Akzeptanz von Homosexualität. Çetin ist unter anderem Professor für Migration und Diversity im Studiengang Soziale Arbeit an der EHB. Queere Bewegungen in der Türkei gehören zu seinen Forschungsschwerpunkten.
Seit 1852 ist rechtlich gesehen Homosexualität kein Strafbestand. "Und auch in der Kunst und Literatur der osmanischen Zeit kommen homo-pornografische Inhalte vor", erklärt Cetin. Zu dieser Zeit sei Istanbul auch ein wichtiger Zufluchtsort von Menschen aus europäischen Ländern gewesen, die aufgrund ihrer Homosexualität verfolgt wurden. "Auch homosexuelle Sexarbeit war legal", betont Çetin.
Ein berühmtes Männerbordell in Istanbul war die sogenannte Ottomanische Bank. Es wurde unter anderem von europäischen Schwulen besucht, die hier keine Angst vor Anzeigen, Verfolgung oder Gefängnis haben mussten.
Freiheiten bis in die 1970er Jahre
Selbst als Mustafa Kemal Atatürk 1923 die Türkische Republik nach westlichem Vorbild schuf und etwa das italienische Strafgesetz übernommen wurde, ließ man die Strafbestände zu Homosexualität aus. Auch in der Kunst und Musik gab es immer wieder Beispiele für queere Repräsentation. Zeki Müren und Bülent Ersoy sind wohl die bekanntesten Vertreter.
Müren war ein Sänger der klassischen türkischen Musik. Zu Lebzeiten, vor allem in den 1970er bis 1990er Jahren, war er einer der bedeutendsten Interpreten dieser Gattung. "Paşa" (Pasha) war sein Spitzname. Müren war aber auch einzigartig in seiner Erscheinung. Er war bekannt für seine oft extravaganten, als feminin wahrgenommenen Outfits, und schillerndes Make-up. Auch war Müren für seine Beziehungen mit Männern bekannt.
Ersoy gilt bis heute als eine der bedeutenden Sängerinnen, als "Diva" der türkischen Musik. Bekannt wurde Ersoy aber noch als Sänger. In den 1980 Jahren, am Höhepunkt ihrer Karriere, unterzog sie sich in London geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Sie gilt bis heute, vor allem durch ihre starke mediale Präsenz, als Galionsfigur für viele Homo- und Transsexuelle in der Türkei.
Das heißt natürlich nicht, dass es gegen diese beiden und die Community keine Repression gab. So sprach Zeki Müren nie offen über seine Sexualität. Dass er schwul war, war eher eine Art offenes Geheimnis. Und auch Bülent Ersoy hatte nach ihrer Transformation mit einem achtjährigen Bühnenverbot zu kämpfen. Sie lebte in dieser Zeit in Deutschland. Zudem muss bei Ersoy betont werden: Auch wenn sie die Trans-Bewegung repräsentierte, war sie im Kampf für die LGBTQ-Rechte jedoch nie aktiv.
"Man kann sagen, dass queere Menschen bis in die 70er Jahre Freiheiten genossen. Aber eher aus dem Grund, dass sie toleriert bzw. vergessen wurden"; erklärt Çetin. Das änderte sich aber nach einem Regierungswechsel. Im Jahr 1974 gewann die Republikanische Volkspartei (CHP) die Parlamentswahlen, musste aber zur Regierungsbildung mit der proislamischen Nationalen Heilspartei (MSP) koalieren. Die MSP übernahm das Innenministerium, in dessen Zuständigkeitsbereich nun die Queers fielen. Damit wurden etwa massive polizeiliche Repressionen gegen Transsexarbeiter_innen in Gang gesetzt. Es begann eine systematische Verfolgung, in deren Folge die Queers in Istanbul nicht nur aus ihren Arbeitsstätten, sondern auch aus ihren Wohngebieten vertrieben wurden.
Die Repressionen setzten sich auch nach dem Militärputsch in Jahr 1980 fort. In dieser Zeit wurden alle politischen Parteien verboten und so gut wie alle Bewegungen, die auch ansatzweise politisch waren, bekämpft. Zu diesem Zeitpunkt hatte die türkische Queer-Community durch die polizeilichen Repressionen bereits eine kollektive politische Identität herausgebildet.
AKP: Queer-feindlich oder -freundlich?
Neuer Wind kam in die politische Lage, als die Türkei nach dem EU-Gipfel in Helsinki 1999 als Beitrittskandidat anerkannt wurde. Die internationalen Erwartungen führten zu Reformen zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit, der Lage der Minderheiten und der Zivilgesellschaft. Auch die Queere-Bewegung profitierte teilweise davon.
Von einer queer-freundlichen AKP war außerhalb der EU-Beitrittsbemühungen dennoch nie zu sprechen. Als ein Beispiel für die Anti-Queer-Politik der AKP gilt der Prozess gegen den Verein Lambda Istanbul 2006. Der Verein wurde wegen "Verletzung der allgemeinen Moral und des Verstoßes gegen die Strukturen der türkischen Familie" sowie wegen "Verstoßes gegen das Vereinsgesetz" verboten. Im April 2009 wurde das Urteil zugunsten des Vereines aufgehoben.
Der Repression folgt der Widerstand
Diese Queer-feindliche AKP-Politik zieht sich bis heute fort - und hat sich in den letzten Jahren sogar verschärft. Seit 2015 kann beispielsweise die Gay Pride Istanbul nicht stattfinden. Dies liegt auch vor allem daran, dass queere Bewegungen in der Türkei politische und regierungskritische sind. So waren sie etwa aktiv bei den Gezi-Protesten.
Ein Kipppunkt, so erklärt es Çetin, für die nochmals verstärkten Repressionen sei aber der Putschversuch von 2016 gewesen. "Seither wird generell hart gegen regierungskritische Parteien und Organisationen vorgegangen", so Çetin. Doch wenn die Geschichte der queeren Bewegungen eines gezeigt habe, dann, dass je großer die Repressionen sind, desto mehr Widerstand sich auch bildet.
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