Tischgespräche: Dieses Mal mit Klaus Maria Brandauer
freizeit-KURIER-Chefredakteur Michael Horowitz und seine Frau Angelika luden 20 befreundete Künstler zu intensiven Gesprächen ein. Bei einem Essen, in einem Wirtshaus, in einer Atmosphäre, bei der sie sich wohlfühlten. Festgehalten wurden die "Tischgespräche" im gleichnamigen Buch. Lesen Sie in den folgenden 20 Tagen was Alfred Dorfer, Christiane Hörbiger und viele mehr bewegt. Der erste Gast der Serie ist Schauspieler Klaus Maria Brandauer.
Klaus Maria Brandauer ist nicht nur einer der größten Schauspieler dieses Landes, er zählt zu den wenigen deutschsprachigen Mimen, die international mit der Crème de la Crème vor der Kamera gestanden sind. Seinen internationalen Durchbruch schaffte er 1981 mit "Mephisto", der 1982 als bester fremdsprachiger Film mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Brandauer ist ein Schauspielkünstler, wie es in diesem Metier weltweit nur ganz wenige gibt. Aber der "Don Carlos von der Burg" ist nicht nur Theatermensch mit Leib und Seele, er ist auch Altausseer mit großer Leidenschaft.
"Ich bin ein ewiger Heimkehrer"
Michael Horowitz: Ich hoffe, du hast großen Hunger.
Klaus Maria Brandauer: Ich muss gestehen, auf der Fahrt von Wien nach Pürgg haben meine Frau Natalie und ich plötzlich Hunger bekommen: also Leberkassemmel an der Tankstelle, mit Essiggurkerl. Fein war das.
Wem sagst du das - Heißhunger begleitet mich ein Leben lang.
Dann hätten wir uns ja auch beim Würstelstand treffen können. Nicht, dass ich nicht wüsste, was gut ist …
Nichts gegen eine Burenwurst am Würstelstand, aber dass wir uns hier im Gasthof Krenn treffen, ist mir doch lieber. Schau dir die Speisekarte an! Ein Wahnsinn … Ich glaub`, ich bestell mir ein Hirschragout.
Ja, gegen den "Krenn" kann man nichts sagen. Das ist selten. Aber hier stimmt`s. Schon mein Großvater, der Brandauer Hans, hat gesagt: "Beim Krenn is guat essen."
Es ist ja das Gasthaus von Natalies Tante, stimmt`s?
Ja. Sie ist außerdem die Bürgermeisterin von Pürgg. Als ich ein Kind war, führte es Natalies Großmutter - eine große, schöne Frau. Da gab es nur ein paar Gerichte - Schweinsbraten, Eiernockerl, Steirerkasnock`n, Wurzelrostbraten …, aber man ist schon damals extra hierher gefahren, weil es so gut war.
Das liest sich heute anders: Blunzengröstl, Vogerlsalat mit Erdäpfeln und Speck, glasierte Kalbsleber, Lammrücken, Tafelspitz … Was nimmst du?
Das Lachsforellenfilet auf Süßkartoffeln.
Nicht schlecht! Als Vorspeise Tankstellen-Leberkas, als Hauptspeise Lachsforelle.
Das bin ich. Eine Mischung aus Provinz und Welt …
… und Pürgg ein schöner Vorbote auf dem Weg aus der Welt in dein geliebtes Salzkammergut.
Ich bin ein ewiger Heimkehrer. Früher bin ich immer über den Pötschen in die Steiermark gefahren, da beginnt sie ja. Der erste Ort ist gleich Altaussee. Und jetzt fahr ich nur mehr über Pürgg, das ist für mich also das andere Ende - oder der andere Anfang, wie man das will - des Ausseerlandes.
So ist mein Leben: Alpha in Altaussee, Omega in Pürgg. Obwohl, die Pürgger, die Natalie, wollen nicht eingemeindet werden, die wollen lieber Ennstaler sein. Eigentlich hätte ich als Altausseer ja die "Seewiese" als Treffpunkt wählen sollen.
Ich weiß. Mit der für mich schönsten Naturkulisse, die ich je gesehen habe. Ich sag immer: Die schönsten 2,1 Quadratkilometer Österreichs - vielleicht sogar der Welt - sind der Altausseer See.
Dagegen wird sicher kein Altausseer Einspruch erheben. Und wenn man Friedrich Torberg zitiert, heißt das so: "Wer nach Altaussee kommt, will nirgends hin als nach Altaussee … Und wollte er`s, so könnt` er`s nicht!" … Weil es nämlich eine Sackgasse ist: Am Ende der Dorfstraße, nach Kirche und Friedhof, liegt der See, und den kann man nur zu Fuß umrunden. Und dabei gelangt man dann eben auf die Seewiese …
… wo du mit Einheimischen und deinen Studenten aus dem Max Reinhardt Seminar den "Sommernachtstraum" aufgeführt hast.
Ich stand mit Rat und Tat zur Seite. Ich will ein Ermöglicher sein. Inszeniert hat Andrea Janauschek. Ich war natürlich so oft wie möglich dabei, die ganze Produktion lag mir sehr am Herzen - und ich will auch, dass wir wieder etwas machen.
Seit wann gibt es denn den Verein "Poesie im Ausseerland"?
Seit 1988. Wir haben mit literarisch-musikalischen Abenden begonnen, mit Lesungen, Konzerten und Dramoletten. Die Frischmuth, der Ransmayr, Menasse, Wolfgang Bauer, Heiner Müller, Jewgeni Jewtuschenko, Turrini haben bei uns gelesen, Maria Schell, Susi Nicoletti, Gertraud Jesserer, Elisabeth Trissenaar, Helmuth Lohner, Fritz Muliar sind aufgetreten, Juliette Gréco ebenso wie der Welttenor Johan Botha.
1992 haben wir Felix Mitterer beauftragt, ein Stück für das Salzbergwerk zu schreiben. Der Ausgangspunkt waren zwei verschüttete Bergarbeiter - so hat das "Spiel im Berg" begonnen. Das ist schon an und für sich ein besonderer Ort, so ein Bergwerk. Das Salz in der Luft, es ist kalt - es hat dort eine Art Magie, von sich aus.
Dazu kommt dann noch seine spezielle Geschichte. Das Altausseer Salzbergwerk wurde im Zweiten Weltkrieg als Depot für Beutekunst benutzt. Über 6000 Gemälde Alter Meister, Leonardo da Vincis, Michelangelos, Rubens`, Rembrandts, Vermeers …, wurden dort eingelagert. Den bösen Geistern der Vergangenheit haben wir mit "Poesie im Ausseerland" etwas entgegensetzen wollen - etwas, das auch die guten beschwört.
Auf die guten Geister!
Prost! Übrigens hat ein "Postler", also ein Laie, ein Altausseer, im "Spiel im Berg" die Hauptrolle gespielt, über viele Jahre hin, und um ihn herum waren die angehenden Schauspieler. Ich wollte gemeinsam mit den Einheimischen etwas machen, diese Symbiose begeistert mich noch immer.
Und vor zehn Jahren - damals konnten wir wegen der erhöhten Sicherheitsauflagen nicht mehr im Salzbergwerk spielen - hat die Andrea dieses Konzept für den "Sommernachtstraum" ausgebaut, so haben dann der Gärtner, der Eisenbahner, der Lehrer, der Schneider und so weiter die Rollen der Handwerker gespielt. Sie, echte Laienschauspieler, haben die Laienschauspieler im "Sommernachtstraum" gespielt - das ist Shakespeare pur. Und die Seewiese war der ideale Schauplatz für die Elfenwelt.
Schöner geht`s nicht. Ein magischer Platz.
Ja, magisch. Schon wieder. Aber es ist tatsächlich so. Das Ausseerland ist auch magisch. Und wenn man hier während der Sommermonate irgendeine Türe öffnet, sei es die einer Tenne oder von einem alten Stall: Überall ist etwas los. Dort spielt jemand Maultrommel oder Geige, da findet eine Lesung statt, hier gibt es eine Freilichttheateraufführung - das finde ich sehr schön.
Wobei mir jene Geschichten und Aufführungen, die zu dieser Gegend passen, am besten gefallen. Es muss authentisch sein. Und auch Pürgg, was ja nicht zum Ausseerland gehören will, mit dem Grimming, der Kirche, der Johanneskapelle mit den berühmten Wandmalereien aus dem 12. Jahrhundert, mit der Gaststube und der Veranda vom Gasthaus Krenn … Jetzt hör ich mich an wie der Tourismusbeauftragte.
Ich muss dir aber Recht geben. Und das Essen ist auch phantastisch. Doch zurück zu deinen Kindern, wie du deine Studenten nennst. Wollten die keine Ferien?
Die haben sowieso fünf Monate Ferien im Jahr. Das ist zu viel für einen Lernenden. Ich fand den Gedanken gut, meinen Studenten eine gewisse Kontinuität beim Lernen zu geben. Für das Handwerk, das sie erlernen - und das ist die Schauspielerei nun einmal, ob darüber ein großes, geniales Talent reitet oder nicht -, dafür ist eine durchgängige Praxis sehr wichtig.
Nimm nur einen Tischlerlehrling, der im Oktober beginnt und schon im Dezember zwei Wochen Weihnachtsferien hat, und den ganzen Februar dann Semesterferien - und vier Monate später kommt die große Sommerpause. Glaube mir, dieser Lehrling lernt eines nie: das Hobeln.
Aus diesem Grund habe ich mir gedacht, dass meinen Studenten diese Art des Lernens, diese Berührung - fast hätte ich gesagt "Feindberührung", aber in Wirklichkeit ist es ja eher eine "Freundberührung" - guttut, sehr gut.
Dadurch haben viele inzwischen großartige Schauspieler im Altausseer Bergwerk und auf der Seewiese ihr Handwerk gelernt.
Ja, das macht mich wirklich stolz. Sie machen Karriere beim Film, vor allem aber sind sie prachtvolle Schauspieler geworden an den allerersten Theaterhäusern: Birgit Minichmayr, David Rott, Johanna Wokalek, Johannes Zirner, Felix Rech, Robert Bartl, Philipp Hochmair, Johanna Eiworth, Marianne Hamre, alle. Die vielen, die ich nicht genannt habe, mögen mir verzeihen, alle sind sie mir ans Herz gewachsen und dort geblieben.
Ein Bild wie aus einem Schnitzler-Stück, wenn du - der Herr Direktor - mit deiner Plätte über den See zu deiner Bühne ruderst.
Na ja, Rudern bei Schnitzler? Vielleicht in einem Schnitzler-Film. Da fällt mir ein, Schnitzlers Verleger, Samuel Fischer, hat, wie Schnitzler meinte, seine Stücke nie ganz gelesen. Und so hat Schnitzler ihn einmal nach Altaussee eingeladen, und zwar zu einer Bootsfahrt. Der Fischer konnte nicht schwimmen, und da hat ihm der Schnitzler dann auf dem Boot den "Einsamen Weg" vorgelesen, so musste er bis zum Ende zuhören.
Du bist Ehrenbürger von Altaussee, hast du auch deinen Hauptwohnsitz in Altaussee?
Ja.
Wie viel Zeit verbringst du hier?
Jetzt zusammengezählt zirka zwei bis drei Monate im Jahr. Früher kamen wir immer Anfang Mai und blieben bis Oktober. Eines Tages werden es dann zwölf Monate sein, und dann werde ich für immer da liegen. Aber bis dahin möchte ich noch möglichst viel erleben.
Trinken wir noch ein Glas vom Grünen Veltliner? Mir fällt auf, dass du nicht mehr rauchst?
Schon lange nicht mehr, sieben Jahre mindestens.
Gratuliere! Was war die kürzeste Phase in deinem Leben, in der du nicht geraucht hast?
Zwischen zwei Zigaretten. Aber jetzt ist es endgültig vorbei. Ich hab viel geraucht, "Austria 3", "Roth-Händle", "Gitanes Maïs". Es hat mir gut geschmeckt, aber ich bin nie um drei Uhr nachts zum Automaten gegangen. Ich hab ein sehr kritisches Verhältnis zu Abhängigkeiten und Obrigkeiten. Fritz Kortner sagte einmal zu mir, als ich noch ein schlanker Jüngling war: "Sie rauchen zu viel, Sie sollten mehr essen und mehr lesen."
Hat damals nicht fast jeder am Theater geraucht?
Natürlich. Zur rauchenden Grete Zimmer, die die "Mutter Galotti" spielte, hat Fritz Kortner immer gesagt: "Die Zigarette mit der Zimmer soll kommen."
Ich erinnere mich sehr gut an Kortners "Emilia Galotti" in der Josefstadt, du in deiner ersten großen Rolle …
Mein Gott, die langen Gespräche mit Fritz Kortner. Alles, was er sagte, schien mir so klar. Ich wusste instinktiv - obwohl ich eigentlich noch gar nichts wusste: Er hat Recht. Es war wirklich ein Privileg, mit solchen Größen arbeiten zu können. Für mich die ideale Form zu lernen, denn es war kein Beruf, der sich mir hier eröffnete, sondern eine eigene Welt, deren Ziel es war, sich mit der Welt zu beschäftigen.
Und im Sommer in Altaussee hast du viele von diesen alten Granden wieder getroffen. Zum Beispiel Friedrich Torberg.
Ja, zum Teil, weil sie hier wohnten, zum Teil, weil sie Altaussee besuchten, später dann auch mich. Ich sage immer, ich verdanke "meinen vier Fritzen" sehr viel: Fritz Kortner, Friedrich Torberg, Friedrich Heer und der vierte Fritz hieß Ernst, Ernst Haeusserman. Vier Einflüsse, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Geeint hat sie ihre Intelligenz und Eloquenz - und ein Denken, das über Österreich hinausreichte, das Bewusstsein von Europa.
Du hast in jungen Jahren den Großteil deiner Zeit eigentlich mit wesentlich älteren Männern verbracht.
Ja, weil das, was sie taten, mich so brennend interessierte. Ich spürte instinktiv, dass diese großen Theatermenschen etwas wussten, was ich nicht wusste. Sie haben mich eingeladen, an ihrem Tisch zugelassen. Mir hat das geschmeichelt und ich habe viel gelernt. In Altaussee dagegen, da muss man sich den Stammtischplatz erstehen. Bis man dort dazugehört und sich dazusetzen darf, das dauert. Da muss man schon einiges aushalten.
In Wien, beim berühmten Haeusserman-Stammtisch "In der Linde", musste ich keine Vorleistung erbringen. Haeusserman sagte: "Kommen Sie mit und kommen Sie wieder", und: "Der Kreisky ist heute auch da."
Ich erinnere mich, wie du dir bereits als sehr junger Schauspieler deiner Stärke und Kraft bewusst warst. Als wir uns zum ersten Mal bei Gexi Tostmann am Attersee trafen, warst du noch sehr jung, aber bereits sehr selbstbewusst. Rückblickend erinnert mich dein Auftreten an den Satz von Walt Disney: "Ich habe mich schon als Walt Disney gegeben, da war ich noch lange nicht Walt Disney."
Mein berühmter Satz, der auch später immer wieder kolportiert wurde, obwohl er durchaus scherzhaft gemeint war, lautet: "Der Größenwahnsinn ist mein ständiger Begleiter." Von der Familie, besonders von meiner Mutter, wurde ich stets liebend überschätzt, und da kann einem dann im späteren Leben nicht mehr viel passieren.
Was hat deine Mutter denn gesagt, als du ihr erzählt hast, dass du Schauspieler werden willst?
"Mach`s." Dass in diesem Wort auch Besorgnis mitschwang, merkte ich erst viel später. Auch bei meinem Vater. Es war bei der Premiere von "Romeo und Julia" im Münchner Staatstheater 1973, da war ich schon ein g`standener Schauspieler, und am Ende der Vorstellung hat er mich gefragt: "Willst du nicht doch lieber Jus studieren?"
Erst viel später erkannte ich, dass er stets in großer Sorge um mich war - weil eine g`mahte Wiese ist das ja nicht -, und nach seinem Tod fand ich unter seinen Sachen viele Fotos und Zeitungsausschnitte von mir, die er fein säuberlich ausgeschnitten und eingeklebt hatte …
Ja, ich war privilegiert. Immer, bis heute. Außer einem Schicksalsschlag in meinem Leben sind mir die Dinge ohne große Mühe von der Hand gegangen. Nicht, dass ich es immer leicht hatte, und nicht, dass ich immer nur gut war … Wer ist das schon?
Deine Mutter hat dich zeitlebens in deinem Selbstbewusstsein gestärkt. Du warst damals noch sehr jung, als du nach einer "Jedermann"-Aufführung mit Will Quadflieg sagtest: "Den spiel ich auch einmal!", und deine Mutter sagte: "Ja, sicher." Das zeigt uns doch, dass es auch eine positive Auslegung des Satzes von Heimito von Doderer gibt: "Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln wie er will."
Meine Mutter hat sich auch gewünscht, dass ich einmal in Amerika arbeite. Ihre Großtante Emma ist nämlich nach dem Ersten Weltkrieg nach Amerika gegangen, als Angestellte vom Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst, und dort geblieben - später wurde sie reich und hat uns besucht, die alte Dame.
Auch dich hat deine internationale Karriere nie daran gehindert, nach Altaussee zurückzukehren. In Hollywood wusste man, wo man dich erreichen konnte …
Im Zweifelsfall im Gastgarten vom "Schneiderwirt" in Altaussee.
Wie wichtig ist denn Heimat für dich?
Ich bin gern in Altaussee und habe die Menschen meines Lebens gern um mich.
Wie würdest du einem Fremden das steirische Salzkammergut beschreiben?
Wirklich begreifen kann man diesen Landstrich nur, wenn man ihn selbst kennenlernt. Dann weiß man, ob man damit etwas anfangen kann oder nicht. So gesehen gibt es keinen Unterschied zu New York oder Bahia oder Tatabánya. Man mag es oder nicht. Wirklich beschreiben kann ich nur, warum ich diese Gegend mag. Ich verbinde damit Wärme und Geborgenheit: meine Katze, das "Tigerl", das in meinem Bett lag, obwohl es das eigentlich nicht durfte, die Märchen, die mir meine Mutti erzählt hat - dass ich zu meinen Großeltern ins Bett kriechen durfte und mich dort wohlig und geborgen fühlte. Auch heute finde ich es noch großartig, in einem kleinen Ort zu leben und aufzuwachsen, in dem man - wenn man will - jeden kennt. Nachbarn waren Nachbarn und nicht irgendwelche Fremden, man lebte mit den Ochsen, den Pferden, den Hunden und Katzen - es war ganz einfach ein Paradies für Kinder.
Und wenn man dann, ganz langsam, aber doch, erwachsen wird?
Dann merkt man - Gott sei Dank -, dass es auch in dieser Idylle so zugeht, wie überall anders auch. Da sind Menschen mit verschiedenen Neigungen - Jähzornige, ein paar Übersüße, ein paar Falsche, ein paar Grundehrliche. Und jene, die beides sind, falsch und trotzdem ehrlich. Man erkennt die Janusköpfigkeit der Menschen, die Dualität, und das immer an einzelnen Beispielen und immer an ähnlichen Charakteren. Daran kann man - schön langsam - Menschen und Welt kennenlernen und sich selbst auf die Spur kommen. In Altaussee genauso wie überall auf der Welt. Aber Altaussee ist auch der Ort, wo ich meine erste Landschaft aufnahm und die ersten Worte hörte und sprach - das ist für mich Heimat.
Hast du mit dem Begriff "Heimat" kein Problem?
Nein, überhaupt nicht. Ich mag meine Heimat so, als ob sie ein Lebewesen wäre. Allerdings muss ich auch zugeben, dass manchmal ein Sonnenaufgang über der Skyline von East Manhattan schöner sein kann als der über der Trisselwand. Das ist keine Enttäuschung, sondern eine Bereicherung und eine Gleichzeitigkeit. Denn das Schöne ist, dass man sich nicht entscheiden muss. Ich habe beides erlebt - und beides ist großartig.
Wonach sehnst du dich, wenn du längere Zeit nicht in Altaussee warst?
Dann habe ich unglaubliche Lust, zum "Schneiderwirt" zu gehen oder in die "Scheichlmühl" oder ins "Hotel am See" - oder auch zum "Krenn" in Pürgg. Nicht nur, um ein Glas Bier zu trinken, sondern auch, um die Menschen wieder zu treffen, um durch Altaussee zu spazieren und jene Orte aufzusuchen, an welchen einst Menschen lebten, die es inzwischen nicht mehr gibt.
Natürlich ist nicht alles Gold, was ich in Altaussee gerne glänzen machen würde, wir sind nicht besser als anderswo, aber da ist ein Vertrauen, das man sich erst erwerben muss. Wenn man hier leben will, dann ist das eine große Sache, die mit viel Musik und Lachen begonnen und mit viel Musik und Lachen beendet wird. Und dazwischen wird noch Hochzeit gefeiert. Wenn man als Fremder an solch einer Zeremonie vorbeigeht, weiß man nicht, ob geboren, geheiratet oder gestorben wurde. Gefeiert wird es immer.
Und immer spielt die Musik. Wie hat man denn am Stammtisch beim Schneiderwirt auf deine Karriere reagiert? Auf deinen Weg zum internationalen Star?
Sehr großzügig. Aber vergiss nicht, dass Prominente aller Sparten hier schon sehr lange zum Ortsbild gehören. Die Altausseer sind stolz wie die Spanier. Großen Respekt kennt man hier nicht. Ich sage ja auch immer: Ich bin leidenschaftlicher Altausseer, ein chauvinistischer Steirer und nicht beleidigt, dass beides in Österreich liegt. Aber übergeordnet muss man eines sagen: Die größte, phantastischste Heimat, die wir haben, ist die Demokratie. Dafür bin ich dankbar, aber es ist auch etwas, für das man sich Tag für Tag einsetzen muss.
Du bist Theaterschauspieler mit Leib und Seele. Ist in dieser Welt, in der wir heute leben, Theater noch zeitgemäß?
Das Spiel ist so alt wie die Welt. Man wird weder das Theater noch die Oper umbringen können.
Du hast einmal gesagt: "Das Thema, das mich brennend interessiert, und das immer schon, ist: verführen, verzaubern, manipulieren, andere Leute beherrschen zu wollen, Chef zu sein, König, Kaiser, Führer." Meinst du das als Schauspieler?
Natürlich. Das ist das Thema meiner Arbeit. Natürlich bin ich überhaupt nicht dafür, dass man andere Menschen beherrscht. Für mich gilt es aufzudecken, wo dies passiert. Auch zu "verführen" oder zu "verzaubern" ist ja Machtausübung. Ich möchte, dass man dies auf der Bühne und im Film aufzeigt und dieser Eigenschaft des Beherrschen-Wollens auf die Schliche kommt.
Das versuchst du ja auch aus deinen Schülern am Reinhardt Seminar herauszuholen, indem du sagst: "Ihr müsst die Leute anspringen, herreißen, beißen, zwicken, kratzen, umgarnen, beruhigen, aufregen - alles das muss es sein."
Ja, so muss es sein - genau so. Aber schon mit Text! Natürlich geht es auch hier wie überall um die Begabung, die Fertigkeit, den Fleiß, das Können. Und damit um die Karriere, da beißt die Maus keinen Faden ab. Entscheidend sind die menschlichen Qualitäten, bei jedem Menschen, aber besonders bei den Künstlern, bei Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, die charakterlichen Eigenschaften. Der Mensch ist ein Gesamtkunstwerk, und auf dem Weg dorthin möchte ich ihn als Lehrer eine Zeitlang begleiten - und auch antauchen.
Lässt sich die Arbeit beim Film überhaupt mit Theater vergleichen?
Überhaupt nicht. Jeder glaubt, dass hier eine Verwandtschaft besteht. Das schaut nur so aus. Es gibt für mich nur wenige große Filmschauspieler, die auch auf der Bühne überzeugen konnten.
Da fällt mir dein schöner Satz ein: "Ich habe sehr viele berühmte Filmregisseure zurückgewiesen und sagte immer: `Ich bin der Don Carlos vom Burgtheater`, was können Sie mir bieten?`"
Ich bin und war als Schauspieler sehr wählerisch. Ich liebe das Theater, weil es ein mythischer Ort ist. Spieler und Publikum erleben es gemeinsam, sie können sich gegenseitig befruchten oder lähmen. Im Film geht das nicht, da wird irgendwann ein Film gespielt und ich hab überhaupt keinen Einfluss mehr darauf. Ich suche die Erlebnisfähigkeit. Plötzlich weht dich etwas an …
… und wenn du Glück hast, hast du …
… einen guten Text.
Und einen Regisseur, ein Bühnenbild, Partner …
Ja, aber Partner müssen nicht immer hilfreich sein.
Daher hast du dich - der "Carlos von der Burg" - ja auch ein Leben lang an den von dir geprägten Satz gehalten: "Ich will immer nur mit den Besten zusammenarbeiten." Das hilft dann schon, nehme ich an?
Ja, das stimmt. Man braucht die Besten der Besten um sich. Immer. Darum muss man - wie bei allen Dingen im Leben - wählerisch sein. Und deswegen geh ich gern ins Gasthaus Krenn in Pürgg.
Das Gespräch fand im Gasthaus Krenn statt.
Pürgg 11
T +43 (0) 3682 222 74 448;
gasthaus.krenn@puergg.com; www.puergg.at/krenn
Öffnungszeiten: Mi-So 11-23 Uhr
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