Das Geschäft mit der Energie

Das Geschäft mit der Energie
Österreichweit sind rund 15.000 Energetiker angemeldet – doch ihr Ruf ist nicht immer gut. Warum sich Menschen immer wieder nach Spiritualität und übersinnlichen Kräften sehnen.

Eine Duftlampe für harmonische Raumatmosphäre in der Zahnarztpraxis, ein Krug Grander-Wasser in der Firmenkantine, Engel-Spray gegen schlechte Aura, erhältlich in der Apotheke. Im Alltag werden oft kleine Hilfsmittel verwendet, die unsere Energietanks auffüllen oder stärken sollen. Esoterik ist längst ein florierender Wirtschaftszweig. Wenn eine Humanenergetikerin allerdings Kontakt mit Toten aufnimmt und deren Erzählungen via Zeitung publiziert, erregt das die Gemüter.

Sogar das der Energetikerin Ingrid Maier-Fischer: „Es gibt leider immer wieder Menschen, die ein schlechtes Licht auf die Energetiker werfen. Dann heißt es, das sind alles nur Quacksalber und Scharlatane.“ Das Problem ihrer Zunft: Es ist ein freies Gewerbe – jeder kann einen Gewerbeschein anmelden – ohne den Nachweis einer Ausbildung. „Wenn ich ein esoterisches Buch gelesen habe und mich dadurch befähigt fühle, das Wissen weiterzugeben, kann ich einen Gewerbeschein als Energetiker lösen. Damit sind die Schwierigkeiten vorprogrammiert.“

Im Methodenkatalog der Energethiker (Kunstwort aus Energie und Ethik, das bewusst für den Gewerbeschein gewählt wurde) der Wirtschaftskammer ist festgehalten, welche grundlegende Methoden anerkannt sind. Es sind mehr als 100. Darunter finden sich etwa Bachblütenberatung, Bioresonanz, die Arbeit mit Farben oder Aura-Analysen. Auch Wünschelruten, Pendel und Feng Shui fallen unter die Arbeit von Energetikern. Abgesehen von der Schwierigkeit, den Effekt nachzuweisen, sind Qualitätsstandards aufgrund der vielen Methoden und Ausbildungsmöglichkeiten quasi unmöglich. Seit Kurzem gibt es allerdings eine freiwillige Basisausbildung für Energetiker.

Milliardengeschäft

Der Esoterikmarkt wächst und floriert. Psychologe Johannes Fischler liefert in seinem Buch „New Cage: Esoterik 2.0“ (erscheint im Mai, Molden Verlag/Styria) Daten und Fakten über die Esoterikszene. In Deutschland, sagt Fischler, beläuft sich der Umsatz des Esoterikmarkts auf 20 bis 25 Milliarden Euro pro Jahr – im Vergleich dazu macht die Bierindustrie neun Milliarden Euro Umsatz. „Wir haben eine Wellness-Kultur, die fast wie eine Religion ist, wo innerer Frieden und Glückseligkeit die höchsten Werte sind, mehr noch als Demokratie oder Nächstenliebe“, kritisiert er.

Eine Erklärung für die Sehnsucht der Menschen nach esoterischen Methoden hat Ulrike Schiesser, Psychologin und Mitarbeiterin bei der Bundesstelle für Sektenfragen: „Menschen haben schon immer versucht, sich die Welt zu erklären. Insbesondere Heilung und Gesundheit sind ein großes Bedürfnis. Dafür sind sie bereit, Dinge auf sich zu nehmen, die sie sonst nie machen würden. Zu bestimmten Zeiten im Leben ist man anfälliger für esoterische Angebote, zum Beispiel bei Krankheiten, nach Trennungen oder bei anderen Lebenskrisen.“

Parallelwelt

Esoterik liefert einfache Erklärungen, wie die Welt funktioniert, sagt Psychotherapeutin Schiesser. „Diese Welt bringt das schöne Märchen einer Parallelwelt, in der das Kind mit ADHS ein Indigo-Kind mit spirituellen Eigenschaften ist. Das klingt für Eltern schöner als die Diagnose eines Defizits.“

Die Energetikerin Maier-Fischer erklärt die große Nachfrage hingegen so: „Weil die Schulmedizin niemals das bieten kann, was der ganze Mensch braucht. Der Kassenarzt muss eine Diagnose stellen und teilweise binnen Minuten seine Patienten abfertigen. Die seelische Komponente kommt dabei zu kurz. Hätten Mediziner mehr Zeit, wäre der Zulauf bei Energetikern nicht so groß.“

Viele Patienten hätten die Erfahrung gemacht, dass Medikamente und Operationen alleine nicht helfen. „Bei der Suche nach Antworten, warum etwas nicht besser wird, landen sie bei Energetikern.“ Maier-Fischer sieht Schulmedizin als Notfallmedizin und komplementäre Methoden, die auch Ärzte anbieten, als Begleitung oder Prävention. „Achtet man gut auf seinen Energiehaushalt, muss es vielleicht gar nicht zu körperlichen Krankheiten kommen. Die Schulmedizin sagt, es gibt psychosomatische und körperliche Krankheiten – wir sagen, es gibt keine körperliche Krankheit, die ihre Ursache nicht in der Seele hat.“

Psychologin Schiesser macht auch die Gesellschaft mitverantwortlich: „Wir müssen auf zig Ebenen funktionieren. Schönheit, Reichtum, Erfolg – esoterische Angebote geben vor, wie man diese Ziele schnell erreicht. Ein Spray für mehr Geld hier, eine Steinkette für innere Schönheit da.“

Seit zwei Jahren sammelt die Steirerin Margreth G. (39) eMails und Dokumente, welche belegen, dass ihre jüngere Schwester einem großen Schwindel zum Opfer fiel.

Ihre Schwester leidet an einer bipolaren Störung und suchte im Jahr 2008 Hilfe bei einer spirituellen Gruppe. „Sie hat sich nach einiger Zeit sehr merkwürdig verhalten und kündigte ihren Job. Ich hatte das Gefühl, dass es ihr nicht gut geht und bat sie, einen Arzt aufzusuchen. Sie sagte mir, dass die Gruppe ohnehin von einer Psychologin geleitet wird und auch eine Ärztin unter den Teilnehmern ist. Das beruhigte mich vorerst“, sagt die 39-Jährige. Mit der Zeit wurde der Zustand der betroffenen Schwester immer merkwürdiger. Auf Fragen oder Kritik reagierte sie abweisend und aggressiv. Verzweifelt suchte Margreth G. die Homepage der Psychologin und war entsetzt. Es stellte sich heraus, dass sich die Frau von ihrer Tätigkeit als Psychotherapeutin abgewandt hat und sich nur noch der Funktion als Trainerin für kreative Bewusstseinsentwicklung widmet. „Sie bietet unter anderem sogenannte ,Lichtfluss-Sitzungen‘ an. Sie hat aber keinen Gewerbeschein als Energetikerin, sondern lediglich eine Gewerbeanmeldung zur Organisation von privaten Veranstaltungen und Reisen“.

Leeres Konto

Als ihre Schwester Bandscheiben-Probleme bekam, wurde sie von der Trainerin an eine Heilerin aus Amerika verwiesen, die gerade in Wien ein Seminar abhielt. „Meine Schwester war dort, hat der Frau später noch Geld überwiesen und dafür Codes mit Sprüchen erhalten, die ihr helfen sollen.“ Nach einiger Zeit war das Konto von Margreth G.s Schwester leer.

Eine Anzeige wegen Kurpfuscherei blieb strafrechtlich erfolglos, weil die Heilerin keine Methode anwendete, die Ärzten vorbehalten ist. Einen zivilrechtlichen Prozess konnten sie sich nicht leisten und ihre Schwester war so krank, dass sie als Zeugin nicht infrage kam. Die 39-Jährige ist enttäuscht: „Der Konsument wird im Stich gelassen. Es war ein mühsamer Kampf eine Beschwerde bei der Volksanwaltschaft einzubringen, und zwar gegen den Psychotherapeuten, der mit dieser Trainerin Lichtspiele und Chakrenaufstellungen anbietet.“ Er verstößt gegen das Psychotherapeutengesetz und den Ehrenkodex.

Zu ihrer Schwester hat Margreth G. keinen Kontakt mehr. Nun will sie andere warnen: „Es geht mir nicht darum, in die Öffentlichkeit zu kommen. Ich hoffe, dass die Behörden endlich reagieren und auch andere Personen Mut fassen und sich gegen solche Ungerechtigkeiten auflehnen.“

In medizinisch konservativen Kreisen gerne in einen Topf geworfen, unterscheiden sich Komplementärmediziner deutlich von Energetikern: Abgesehen von der medizinischen Ausbildung werden ganzheitsmedizinische Methoden wie Akupunktur, Traditionelle Chinesische Medizin oder Homöopathie von der Ärztekammer akzeptiert und anerkannt. Im Gegensatz zu Energetikern sind Ganzheitsmediziner dafür ausgebildet, Krankheiten zu behandeln und zu heilen – und sind auch dazu befugt.

Das Geschäft mit der Energie
Energetiker dienen hingegen der Gesundheits- und Lifestyle-Beratung – etwa, um den Energiehaushalt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Krankheiten heilen dürfen sie dezidiert nicht. Univ.-Prof. Michael Frass, Präsident des Dachverbands österreichischer Ärzte für Ganzheitsmedizin betont daher: „Es ist notwendig, eine klare Trennung zwischen Medizinern und Energetikern zu machen. Das Problem ist: Energetiker müssen keine Ausbildung machen sondern können einfach durch das Lösen eines Gewerbescheins als Energetiker arbeiten.“ Ein verantwortungsbewusster Energetiker müsse einen Klienten im Krankheitsfall zum Arzt schicken – „gefährlich wird es, wenn Energetiker zur Behandlung von Krankheiten schreiten“.

Wer auf der Suche nach ergänzenden Heilmethoden ist, wird bei immer mehr Medizinern fündig: „Schon 16 Prozent der Kollegen machen zum Medizinstudium eine komplementärmedizinische Ausbildung“, erklärt Frass. „Das Angebot an Komplementärmedizinern ist heute so groß, dass es nicht notwendig ist, sich mit einer Krankheit an Energetiker zu wenden.“ Diese sollen sich auf jene Bereiche beschränken, die keine Krankheiten betreffen.

Energetische Behandlungen spielen sich im qualitativen Sektor ab – man kann sie nur nach gefährlich und ungefährlich beurteilen“, sagt Michael Frass. Fakt ist: Konsumenten haben oft Probleme, zu erkennen, wer seriös ist. Der KURIER hat daher die wichtigsten Ratschläge und Warnhinweise rund um das Thema zusammengetragen.

Wenn ein Energetiker sagt, er kann alles heilen, sollte man rasch das Weite suchen. Wenn er das energetische Gleichgewicht herstellen will, ist es okay.

Vorsicht gilt, wenn ein Energetiker anordnet, die Schulmedizin oder die Psychotherapie einzuschränken oder gar abzusetzen. Bei Aussagen wie „Vergessen Sie, was Ihr Arzt sagt“, lieber sofort gehen.

Es ist legitim, zu Beginn der Behandlung nach Preisumfang und Folgekosten zu fragen. „Bei Stundenhonoraren über 200 Euro wäre ich sehr sehr vorsichtig. Ein Energetiker sollte jedem so helfen wollen, dass er sich das auch leisten kann“, sagt die Energetikerin Maier-Fischer.

Vorsicht bei schlechten Prophezeiungen. Wenn mit Angst gearbeitet wird, versucht jemand, den Klienten an die eigene Praxis zu binden. Hände weg.

Gute Energetiker bieten Hilfe an. Aber sie ziehen sich zurück, wenn der Klient unsicher ist, ob er die Behandlung fortsetzen will. Energetiker drängen sich nicht auf.

„Vorsicht, wenn es eine Führungsperson gibt, die absolute Autorität hat und nicht hinterfragt wird. Sie gibt vor, die absolute Wahrheit zu vertreten und die Welt zu erklären“, warnt die Psychologin Ulrike Schiesser.

Misstrauen ist auch angebracht, wenn in der Gruppe ein Schwarz-Weiss-Denken vorherrscht, sie sich als Elite sieht und die Außenwelt als bedrohlich oder minderwertig wahrnimmt. Im schlimmsten Fall wird der Kontakt zu Außenstehenden gemieden oder beschränkt.

Einschränkende Regeln – bezogen auf Kleidung, Essen, Partner und Sexualleben – sind ein Grund zu Vorsicht. Solche Vorgaben können dazu beitragen, dass sich jemand von seinen Mitmenschen entfremdet.

„Wenn sich Angehörigen oder Freunden einer vereinnahmenden Gruppe anschließen, kann es sinnvoll sein, sie mit einer kritischen Sichtweise zu konfrontieren, andere Sichtweisen einzubringen“, rät Schiesser.

Man muss sich auch im Klaren sein, dass Menschen auf Kritik und Verurteilung Ihrer Weltanschauung meist sehr sensibel reagieren, sich bedrängt fühlen und sich eventuell ganz verschließen. Sinnvoller ist zu versuchen, die Kommunikation zu ihnen aufrechtzuerhalten und die Ideologie oder Weltanschauung aus der persönlichen Beziehung fernzuhalten.

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