Das Tappen im Dunklen

Das Tappen im Dunklen
Ein KURIER.at-Redakteur traut sich erstmals über eine Phase seines Lebens zu schreiben, in der alles sinnlos schien.

Nach Wien gekommen bin ich vor mittlerweile achteinhalb Jahren, mit dem Ziel, mein in meiner Heimat begonnenes Journalismus-Studium fortzusetzen. Hergetrieben hat mich aber eigentlich die Perspektivlosigkeit in meinem Land, das einem angeschlagenen Boxer ähnelt, sowie das starke Gefühl der Nichtzugehörigkeit. Ich hatte nämlich zuvor einen Großteil meines Lebens im Exil verbracht. Dieses Gefühl, nicht dazu zu gehören, prägte auch meine Anfangszeit in Wien. Ahnungslos verfiel ich, 25-jährig, zwei Jahre nach meiner Niederlassung in Wien in eine monatelange, depressive Episode. Nach (beinahe zu) langem Hinauszögern begann ich eine Therapie, die mir die Augen öffnete. Seit mittlerweile fast vier Jahren bin ich ein Teil der KURIER.at-Redaktion und Vollzeit-Vater eines wunderbaren kleinen Jungen. Dies sind meine Erinnerungen an eine schwere Zeit in meinem Leben, über die ich mangels Mut bisher nicht geschrieben habe. Die warmen Strahlen der jungen Frühlingssonne kämpfen sich durch die Jalousien meines Schlafzimmers und kitzeln meine Wangen. Ich mühe mich dazu, die Augen endlich aufzumachen. Eigentlich ist das ein perfekter Tag, um das Fenster weit zu öffnen und sich dem Frühlingszauber zu ergeben. Dennoch schaffe ich es nicht. Wozu auch? Es erwartet mich eh nichts da draußen. Zumindest nichts Schönes. Ich entscheide mich, die Decke übers Gesicht zu ziehen und mich noch eine Weile in meinem Königreich - sprich meinem Bett - zu wälzen.

Streik

Eine Dreiviertelstunde später zwingt mich mein, seit geraumer Zeit in sich gekehrtes lebenslustiges Alter Ego, auf die Beine. Das erste, was mir auffällt ist, dass ich wieder auf wackeligen Füßen stehe. Mein dritter Gelegenheitsjob in den letzten drei Monaten - als Glasler in einem Nachtclub - verlangt mir ziemlich alles ab. Lange werde ich dem Stress nicht mehr standhalten können. Ich kann es mir im Moment einfach nicht leisten, diesen sinnlosen Job aufzugeben. Die Starre im Nacken, meinen alltäglichen Begleiter, werde ich heute ausnahmsweise mal ignorieren. Dennoch knete ich etwas ungeschickt die Nackenmuskulatur in der Hoffnung, dass die Nackenschmerzen den Abgang machen könnten. Sie bleiben aber, wie immer, im wahrsten Sinne des Wortes hartnäckig. Ich werde mir heute ein nettes, gesundes Frühstück zubereiten. Schon im nächsten Augenblick sehe ich mich meine Frühstückszigarette anzünden und überlege mir, ob mir gerade nach einem starken oder weniger starken Kaffee zumute ist. Schlussendlich entscheide ich mich für die stärkere Variante - es ist mir Wurscht, ob mein Magen etwas dagegen hat. Der streikt doch eh immer.

Panik!

Nach drei weiteren Glimmstängeln und der umfassenden Auseinandersetzung mit dem Thema, was ich heute so alles anstellen könnte, begebe ich mich zu meinem besten Freund, dem guten, alten Computer. Eigentlich habe ich vorgehabt, heute diverse Bewerbungen an potentielle Arbeitgeber rauszuschicken. Eigentlich. Doch wer würde mich in diesem Zustand anstellen wollen. Ich traue mich kaum auf die Straße, wie soll es denn in einem Büro klappen. Ich kann mich doch nicht mal komplett auf einen TV-Film mit einer simplen Handlung konzentrieren. Außerdem wird man es mir bald anmerken, dass ich schwach und nutzlos bin. Nein, das kann ich mir nicht antun. Aber, wovon soll ich denn leben. Von meinen Eltern kann ich nicht mehr schnorren. Oder doch? Sie sind doch an allem Schuld, erinnre dich an deine versaute Kindheit. Okay, versuch nun endlich mal, an etwas Nettes zu denken. Der Blick auf die am Nachtkästchen angestauten offenen Rechnungen löst das nervöse Kribbeln im Magen aus. Ich bin fällig. Ich will schnell einen Schluck Wasser nehmen, die zittrigen Hände haben wieder mal etwas dagegen. Ein unangenehmer Schweißausbruch bahnt sich an. Ich verfalle in Panik, lasse mich machtlos in das Sofa fallen.  

Psycho?

Nachdem ich die Panikattacke irgendwie abwenden konnte, setze ich mich vor den Computer und google nach den Symptomen, die ich vorhin gespürt habe. Alles deutet auf eine psychosomatische Störung hin, doch ich bin ja kein psychisch Kranker. Ich lasse mich nicht so einfach als einen Psycho abstempeln. Aber wer weiß, vielleicht sollte ich mal doch einen Psychiater aufsuchen. Psychiater? Da gehen doch nur die Wahnsinnigen hin. Ich überleg's mir morgen nochmal. Nun werde ich mir die ganzen Jobbörsen anschauen. Ach was, das hebe ich mir für morgen auf. Ich hab' doch eh Zeit. Ich werfe mal lieber einen Blick in Facebook rein. Nach drei Stunden vor dem Monitor fällt mir ein, dass ich heute nichts gegessen habe. Schon wieder. Ich hab' aber eh keinen Appetit. Vielleicht ist es auch gut so, denn es schlägt mir nur auf den gebeutelten Magen. Ich rauche mal eine Zigarette und lege mich danach ein bisschen hin. Ich fühle mich richtig schlapp.

Sinnlos

Ich stehe kurz vor der Dämmerung auf, fühle mich richtig mies. Das Nickerchen ist schuld daran. Na schau, ich habe einen verpassten Anruf. Es ist der Marc, mein bester Freund. Ich rufe ihn später an. Jetzt ist mir nicht danach zumute. Ein SMS habe ich in der Zwischenzeit auch erhalten. Mein Chef aus dem Club. Er will, dass ich morgen arbeiten komme. Ich werde ihm absagen müssen. Bis morgen schaffe ich es nie und nimmer, mich auf die Reihe zu bekommen. Ich mache mir meinen Nachmittagskaffee. Vielleicht geht dann das lästige Sodbrennen weg. Ich kann mich nicht entscheiden, was ich mir im TV anschauen soll. Es macht ehe alles keinen Sinn. Ich blättere meine Lieblingsseiten im Internet durch. Es ist nichts Sinnvolles da. Ich schaue auf die Uhr. Es wird langsam Zeit, schlafen zu gehen. Ich bleibe aber noch ein bisschen wach. Ins Bett traue mich heute Abend nicht wirklich. Wenn ich die Augen zumache, fange ich an zu grübeln und bekomme Angst um mich. Denn morgen wird es nicht besser. Warum sollte es auch?

Vor allem die Unterstützung und das Verständnis meiner damaligen Freundin - meiner heutigen Ehefrau - sowie die restlichen Keime der Hochachtung vor meiner eigenen Persönlichkeit haben mir den Weg zum Gesundheitszentrum FEM geebnet. Dort wurde ich von einem Psychologen beraten und völlig kostenlos (ja wohl, so etwas gibt es) über mehrere Monate therapiert. Wege daraus zu kommen gibt es reichlich, man muss sich nur einen Ruck geben. Sapere aude!

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Reportage

  • Hintergrund

Kommentare