"Wir befinden uns mitten in einer Liebesrevolution"

"Wir befinden uns mitten in einer Liebesrevolution"
Tinder und WhatsApp haben die Romantik zerstört? Nein, sagt Stephan Porombka: Das Smartphone macht alles noch romantischer.

"Du bist süß. Wir sollten Sex haben!" Bei Nachrichten wie dieser kann man den Glauben an die Romantik in Zeiten des Smartphones schon mal verlieren. Dabei hat das Handy ein neues Zeitalter der Liebe herbeigeführt, behauptet Stephan Porombka, deutscher Autor und Professor für Textgestaltung, in seiner Flugschrift "Es ist Liebe" (Hanser Verlag, 16,50 €). Denn: Romantik bedarf nicht zwingend langer Liebesbriefe – sie funktioniert genauso gut über WhatsApp.

KURIER: Dating-Apps wie Tinder oder Lovoo wirken auf den ersten Blick wenig romantisch. Sie schreiben dennoch von einer romantischen Revolution. Warum?

Stephan Porombka: Warum sollte Tinder nicht romantisch sein? Ich glaube, dass dort viel zum Tragen kommt von dem, was Romantik ausmacht: das Flirten, das Anbahnen, das Aufladen mit Liebesenergie und Begehren. Wenn man Romantik darauf bezieht, dass es nur darum geht, im Abendsonnenschein zu sitzen, muss man sagen: Das kann man auch über Tinder haben, man muss nur in sein Profil schreiben, dass man das möchte und die Leute danach aussuchen.

Ich glaube, dass wir es heute mit einer Neudefinition von Liebe zu tun haben und wir auf diesen Wechsel reagieren sollten, indem wir produktiv damit umgehen, anstatt es zu blockieren und uns ein schlechtes Gewissen anzuerziehen, wenn wir mit dem Smartphone hantieren.

"Wir befinden uns mitten in einer Liebesrevolution"
Stephan Potombka

Viele Menschen beklagen, dass kaum noch jemand Liebesbriefe schreibt, stattdessen jeder nur noch auf dem Handy herumwischt. Was entgegnen Sie ihnen?

Erst einmal müsste man fragen, warum ausgerechnet der lange, handgeschriebene Liebesbrief so romantisch ist. Er ist ja vor allem etwas, das medial zwischen die Liebenden geschoben wurde. Darin besteht das Romantische: dass er einen Zwischenraum schafft zwischen dem Ich und dem Du, in dem man die Liebe anreichern und entwickeln kann. Und genau das macht das Smartphone auch.

Und wenn alle meinen, dass nur gewischt wird, stimmt das ja so nicht: Es gibt Audiodateien, es gibt Fotos, Videos, kürzere Textnachrichten, längere Textnachrichten. Ich glaube, dass die neuen Liebesgeschichten, an denen wir selbst beteiligt sind, mit diesen Apps geschrieben werden, weil wir das Smartphone automatisch einschalten, wenn wir mit potenziellen Liebespartnern in Kontakt treten wollen. Man muss ja nicht selbst der sein, der immer nur auf Tinder rumwischt, sondern kann sich die Liebesbeziehung als Werk gestalten.

Welche Rolle spielen Emojis? Ohne sie ist die Smartphone-Kommunikation ja nicht mehr vorstellbar.

Von Emojis hat man lange Zeit gedacht, dass sie zu einer Verkümmerung der Sprache führen. Tatsächlich ist es aber so, dass sie die schriftliche Kommunikation nicht ersetzen, sondern den Zeichensatz erhöhen, mit dem wir arbeiten. Wir haben also nicht nur Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen, sondern auch Emojis. Sie bieten die Möglichkeit, Aussagen komplexer zu machen, etwa mit Zwinkersmileys auf die Ironie des Ganzen hinzuweisen. Dadurch wird die Kommunikation zwar nicht einfacher, aber schöner, weil sie verrätselter ist.

Wird die Sprache im Zeitalter Smartphone beim Verlieben also eine immer größere Rolle spielen?

Ja, klar. Man hat ja in den Achtzigern, als das Privatfernsehen aufkam und die Bildrevolution im Netz, gesagt, das miteinander Schreiben wird aufhören. Aber das stimmt nicht! Es wird so viel geschrieben wie nie zuvor. Viele liegen nachts im Bett und schreiben einander an, chatten wie verrückt, in Lichtgeschwindigkeit. Schreiben ist ein wesentlicher Teil von dem, was heute Liebesbeziehungen ausmacht. Das erinnert mich an die romantische Revolution um 1800, die stark mit dem Liebesbrief gearbeitet hat. Ich würde sagen, die momentane Liebesrevolution ist auch eine Schreibrevolution.

"Wir befinden uns mitten in einer Liebesrevolution"
Buchcover Es ist Liebe
Ab heute erhältlich: "Es ist Liebe" von Stephan Porombka, Hanser Verlag, 16,50 €.

Als sich Lisa, 26, vor drei Jahren bei Tinder anmeldete, hatte sie keine großen Erwartungen – schon gar nicht glaubte sie daran, hier die große Liebe zu finden. Doch dann schlug ihr die Flirt-App Erik, 29, vor. "Sein Profil ist mir – abgesehen von seinem atemberaubenden Foto (lacht) – positiv aufgefallen, weil er viel und sympathischen Text in seiner Kurzbiografie über sich stehen hatte."

Intuitiv gab sie ihm ein Like, er ihr auch – dann begannen sie einander zu schreiben, fünf Monate lang (für Tinder-Verhältnisse eine halbe Ewigkeit). "Ich hatte von Anfang an ein gutes Gefühl, weil er mich mit seinen Nachrichten immer zum Schmunzeln brachte und wir viele gleiche Interessen hatten." Der positive Eindruck bestätigte sich beim ersten Treffen. "Am meisten war ich auf seine Stimme gespannt, da wir zuvor nie telefoniert hatten. Zum Glück war sie, wie auch alles andere, sehr angenehm."

Ob sie das virtuelle Anbandeln romantisch findet? Ja, erinnert sich Lisa: "Etwa wenn man darauf wartet, dass der andere endlich schreibt, oder sich gewisse Passagen immer wieder durchliest, weil man sie so süß findet. Ich finde es fast schade, dass das Schreiben in der Beziehung dann weniger wird. Für mich sind das kleine, moderne Liebesbriefe."

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