Am Anfang war Willendorf
Sie kamen in kleinen Gruppen entlang des Donautals aus dem Nahen Osten. Insgesamt werden es wohl kaum mehr als einige Hundert, vielleicht Tausend, gewesen sein. Eine kleine Gruppe ließ sich in Zelten in Willendorf in der Wachau nieder. Sie jagten Steinböcke und Rentiere, die in der vegetationsarmen Steppe an der Donau lebten. Rentiere? Ja, denn damals war es kälter als heute – die Eiszeit hatte Europa im Griff. Wir schreiben 43.500 Jahre vor unserer Zeit und der moderne Mensch schickt sich gerade an, Europa zu erobern.
Bei wem es nun klingelt – Wachau? Willendorf? Venus? – dem sei gesagt: Richtig, es handelt sich um die Fundstelle der Venus von Willendorf, die allerdings mit ihren etwa 25.000 Jahren um vieles jünger ist.
Alter Siedlungsraum
Wissenschaftler wissen schon lange, dass die Donau-Hänge seit Urzeiten als bevorzugte Siedlungsräume dienten: "Willendorf ist nur für die Venus bekannt, dabei gibt es dort viel mehr. Nämlich neun Kulturschichten. Wie auf einer Perlenkette aufgereiht findet sich eine Fundstelle neben der nächsten. Sie decken den Zeitraum von 60.000 bis 23.000 Jahren vor heute ab", sagt Viola.
Besonders spannend in der Menschheitsgeschichte ist die Phase vor etwa 45.000 Jahren. Die Theorie lautet: Damals tauchten die ersten modernen Menschen in Europa auf und begannen, die Neandertaler zu verdrängen. "Blöderweise gibt es aus dieser Zeit keinerlei Fossilien-Funde, weil die Böden zu sauer waren und sich kein Knochen erhalten hat", sagt der Anthropologe und kann jetzt trotzdem nachweisen, dass moderne Menschen hier so früh wie nirgendwo sonst in Europa gesiedelt haben.
Indiz
Ach ja: Wer sich fragt, woher die Forscher wissen, wie Klima und Vegetation vor 43.500 Jahren waren – 150 verschiedene Schnecken-Spezies machen es möglich. War es wärmer, breiteten sich wärmeliebende Arten aus und umgekehrt. Viola: "In der relevanten Schicht fand man Schnecken, die kalte, offene Steppen bevorzugen." Der Ort sei also auch ein Klima-Archiv, zudem zeige sich dort der kulturelle Wandel wie nirgendwo in Mitteleuropa über einen derartig langen Zeitraum.
Willendorf II
Nach unregelmäßig stattfindenden Ausgrabungen in den folgenden Jahrzehnten, die insgesamt neun Fundstellen zutage gebracht hatten, gruben österreichische Forscher mit einem internationalen Team zuletzt wieder von 2006 bis 2011, und zwar an der Fundstelle „Willendorf II“, wo auch die berühmte Venus entdeckt wurde. Was diese Stelle heute attraktiv macht, ist ein fünf Meter tiefes Profil aufgeschlossener Löss-Ablagerungen, die einen Zeitraum von gut 35.000 Jahren umfassen. Die ältesten Schichten sind bis zu 60.000 Jahre alt, das obere Ende bilden Schichten im Alter von rund 24.000 Jahr
Klima-Archiv
Dieses Profil ist für die Forscher ein „Klimaarchiv“. Um den jeweiligen Klimatyp und die vorherrschende Vegetation zu einer uralten Schicht zu bestimmen, charakterisierten sie den Bodentyp, suchten nach speziellen Formen etwa für extreme Kälte, analysieren die Mikrostrukturen im Boden und sammelten darin vergrabene Schnecken. Denn die verschiedenen Schneckenarten und -Unterarten reagieren sehr stark auf Änderungen in der Temperatur und der Feuchtigkeit, und sind daher ein guter Hinweis auf das Klima der vergangener Zeiten, erklärte Philip Nigst.
Die Forscher stellten unter anderem auch fest, dass sie hier eine Tundra-ähnliche Steppe mit lichten Nadelwäldern und für eine Eiszeit recht mildes Klima vorfanden. Die Fundstücke lagern im Naturhistorischen Museum Wien, allerdings im Tiefenspeicher, so Nigst. Ähnliche Fundstücke früherer Ausgrabungen aus der selben Schicht seien auch in der Ausstellung zu bewundern.
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