Wie das Hirn Gefühle produziert

Abstract design made of human head, key symbol and fractal design elements on the subject of encryption, security, digital communications, science and technology Bildnummer: 52274831 Wahrnehmung, Gehirn, Sinne, Sinnesorgane
Unsere Emotionen entstehen durch hochkomplexe Abläufe und Milliarden Neuronen.

Der Duft von Vanille zum Beispiel. Über Jahrzehnte hat er sich in die Seiten des handgeschriebenen Kochbuchs der Mutter eingegraben. Daraus entsteht in Sekundenbruchteilen ein ganzes Universum aus Stimmen, Gesichtern, Bildern und Gefühlen.

Die Psychologin Beate Handler beschäftigt sich intensiv mit Sinnes- und Genusstraining. Sie erklärt: „Unser Gehirn besitzt die Fähigkeit, die verschiedensten Informationen zu verarbeiten, zu kombinieren, abzuspeichern und wieder abrufbar zu machen.“ Angewiesen ist unsere Schaltzentrale dabei allerdings auf seine „Zulieferer“ – unsere fünf Sinne. Man teilt sie nach ihren Funktionen in Nah- und Fernsinne sowie höhere und niedere Sinne. Sehen gilt als höherer Sinn und Fernsinn, während Tasten als niederer Sinn und Nahsinn gilt.

Beim Vanille-getränkten Kochbuch ist eindeutig der Geruchssinn für die Erinnerungskaskade verantwortlich. Er gilt als unser ältester Sinn. „Es gibt nichts, das sich mehr ins Gedächtnis einprägt als Gerüche“, weiß Handler. „Der Hauch eines vertrauten Geruches löst eine Flut von Erinnerungen aus. Es entsteht ein vollständiges Bild mit allen Aspekten.“

Was einfach klingt, ist tatsächlich das Zusammenspiel eines riesigen Netzwerkes, das aus mehr als zehn Milliarden Neuronen besteht. Neuropsychologin Gisela Pusswald von der MedUni Wien präzisiert: „Grundprinzip aller Wahrnehmungen sind Neuronen, Nervenimpulse und Synapsen.“

Elektrische Impulse

„Von der Aufnahme der Reize, etwa durch die Augen, bis zur Wahrnehmung durchlaufen die Informationen als elektrische Impulse einen komplizierten, langen Weg durch das Gehirn.“ Die Informationen werden mehrmals verschaltet, mit anderen Informationen assoziiert und verknüpft. Am Ende erkennen wir etwas und erleben visuelle Bilder. Dazu kommen Emotionen, die mit Wahrnehmungen eng verknüpft sind. „Am Gefühlserleben sind im Gehirn viele Areale beteiligt“, erklärt Pusswald. „Sie sind Reaktionsmuster, ausgelöst durch spezifische Personen, reale oder imaginierte Objekte. Wir erleben sie als Gefühle.“ Die können sich auch über körperliche Reaktionen zeigen: Bauchweh vor Prüfungen, rote Wangen bei Aufregung oder Herzklopfen bei Gruselfilmen.

Oft reicht übrigens ein reduzierter Einsatz der Sinne, zum Beispiel ein bestimmter Ausdruck. Pusswald: „Wir glauben zu ‚wissen‘, ob unser Partner gut oder schlecht drauf ist. Eine Zornesfalte auf der Stirn oder ein sturer Blick sagt manchmal mehr als tausend Worte.“

Lesen Sie morgen als Serien-Abschluss, wie Kinder die Welt wahrnehmen und entdecken lernen.

Kostete Michael Watson schwach gewürztes Huhn, fühlte er „zu wenig Spitzen“. Der Maler ging als „Mann, der Formen schmeckt“ in die Forschung ein, weil er Geschmack als etwas Haptisches empfand: als Gewicht, Material, Temperatur und eben Form. Er gehört damit zu den geschätzt 2000 bis 25.000 Menschen, deren Wahrnehmungen an verschiedene Sinnesorgane gekoppelt sind. Man könnte auch von einer erweiterten Sinneserfahrung sprechen.

Das Phänomen heißt Synästhesie und tritt am häufigsten als „Farbenhören“ auf. Dabei nehmen Synästhetiker bestimmte Buchstaben immer in einer Farbe wahr.

Zwar ist diese Wahrnehmung außerhalb der Norm seit 300 Jahren bekannt, sie wird jedoch erst seit den 1980er-Jahren intensiv beforscht. Die Ursachen sind unklar. Der US-Neurologe Richard Cytowic vermutet, dass synästhetische Wahrnehmungen vom limbischen System, dem Sitz der Emotionen, gesteuert werden. Eine andere Theorie besagt, dass direkte Nervenverbindungen bestehen – beim Farbhören zum Beispiel zwischen Hör- und Sehzentrum.

Da Synästhesie in Familien gehäuft auftritt, dürfte sie vererbbar sein. Sie kann aber auch durch Krankheiten wie Schizophrenie, Epilepsie oder durch Verletzungen des Gehirns ausgelöst werden. Neuropsychologin Gisela Pusswald von der MedUni Wien: „Im klinischen Kontext sprechen wir dann von einer fehlgesteuerten Erregungen oder einer fehlgesteuerten Reizverarbeitung.“

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