Wer der Wissenschafter des Jahres ist
Schuld an allem war Urmel aus dem Eis. "In dem Kinderbuch von Max Kruse kommt der Naturkundeprofessor Habakuk Tibatong vor, der den Tieren das Sprechen beibringt", erzählt Wolfgang Neubauer. Und beschloss nach Lektüre schon mit sechs Jahren, "dass ich Professor werden wollte. Damals hatte ich keine Ahnung, was das bedeutet." Mit elf konkretisierte er seinen Berufswunsch: Archäologe – das war es!
Gestern wurde Neubauer, der mit Hightech-Methoden der Zukunft die längst versunkene Vergangenheit erforscht, zum "Wissenschafter des Jahres 2015" gekürt. Eine Auszeichnung, die vor allem an jene Wissenschafter vergeben wird, die es schaffen, ihre Forschungsergebnisse spannend und verständlich Normalsterblichen zu vermitteln. Daher ist die Ehrung für Neubauer auch "etwas Besonderes. Nicht nur eine Auszeichnung, weil ein Archäologe etwas entdeckt hat, sondern dafür, dass die Forschungsergebnisse die Öffentlichkeit erreichen", sagt der Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie im KURIER-Interview.
Zerstörungsfrei
Am Beispiel Stonehenge lässt sich gut erklären, was Neubauers Forschung besonders macht: Mit einem Mini-Traktor flitzt der Archäologe über sein Forschungsgelände. Unter dem fahrbaren Untersatz: ein eigens entwickeltes Magnetometer, Bodenradar, 3-D-Laser-Scanner und magnetische Sensoren, die Abweichungen vom Erdmagnetfeld zeigen. Alles dient nur einem Zweck: den Boden zu durchleuchten und verborgene Altertümer sichtbar zu machen – berührungsfrei, zerstörungsfrei, schweißfrei.
Die Kombination von Archäologie und Computer war in den frühen 1980er-Jahren totales Neuland. Damals begann Neubauer, 1963 als Kind österreichischer Gastarbeiter in der Schweiz geboren, zu studieren. Informatik interessierte ihn schon im Gymnasium, die Kombination mit Archäologie war noch nicht vorgesehen. Er begann ein Studium irregulare in Wien.
Da hatte er seine ersten Berufserfahrungen längst hinter sich: "Ich habe mit 15 begonnen, Ausgrabungen zu machen." Trotzdem waren seine Interessen breit gestreut: "Ich hätte fast die Aufnahmeprüfung ins Reinhard-Seminar gemacht und begann ein Publizistikstudium", erzählt Neubauer, der in der Schweiz auch als freier Journalist arbeitete, sich im Eventmanagement versuchte und in Hainburg engagierte.
Die computergestützte Archäologie aber ließ ihn nie mehr los. Neubauer begann, sich mit geophysikalischer Prospektion zu beschäftigen – "weil ich keine Ahnung hatte, was das sein sollte." Ehe er eine Schaufel in die Hand nahm, durchleuchtete der Jung-Archäologe den Boden und modellierte am Computer, was er fand. Neubauer wurde von Konferenz zu Konferenz weitergereicht, um seine innovativen Methoden zu präsentieren.
Rasch formierte sich ein kleines Team um Neubauer. Der junge Wissenschafter begann, viel zu publizieren, "auf Englisch, was in der Archäologie lange unüblich war. Irgendwann war unsere Arbeit wie eine Parallelwelt zur normalen Archäologie".
Privat
Dazwischen hat der passionierte Hobbykoch Zeit gefunden, Vater von fünf Kindern zu werden – "vier Buben, ein Mädchen und alle mit derselben Frau", erzählt er.
Fragt man den Archäologen nach seinem schönsten Erfolg, nennt er weder Stonehenge noch Carnuntum, sondern Schwarzenbach in der Buckligen Welt, wo er vor vielen Jahren mithalf, der südlichsten Gemeinde Niederösterreichs am Ende der Welt auch eine wirtschaftliche Perspektive zu geben.
Neubauer gebar die Idee, die örtliche prähistorische Wallanlage, die völlig unerforscht war, nicht nur auszugraben, sondern auch das dortige Keltendorf wieder aufzubauen – genau so, wie es einmal war. "Auf einem Keltenfest, bei dem die Gemeinde auf 500 Besucher hoffte, tatsächlich aber 5000 kamen, wurde den Leuten erklärt, dass Forschung spannend ist, Forscher ganz normale Leute sind und Forschung wichtig für die Zukunft von Europa ist", sagt der Archäologe. Das Projekt gefiel so gut, dass es sogar von der EU gefördert wurde. Und das Keltenfest entwickelte sich zur Dauereinrichtung.
Methoden der Zukunft
Von einem ist Neubauer fest überzeugt: "Die neuen Methoden werden in der Zukunft die Archäologie bestimmen. Denn man wird Grabungen nicht länger finanzieren können. In Stonehenge gab es unzählige, großflächige Grabungen – und sie haben vieles nicht gefunden. Jetzt weiß man, dank unserer Arbeit, wo man suchen muss."
Ein anderes Projekt wies er zurück: Als Nicholas Reeves, der hinter dem Grab von Tutanchamun weitere Kammern und eventuell sogar die letzte Ruhestätte der Nofretete vermutet, Neubauer um Mithilfe bat, lehnte der dankend ab. Die Methoden des österreichischen, virtuellen Archäologen wären ideal für die Erkundung eventueller Hohlräume im Tal der Könige geeignet. Doch Neubauer nahm Abstand, "weil die ganze Aktion schwer an der Grenze zwischen seriös und nicht seriös liegt."
Kommentare