Warum aus Medea keine Mutter Beimer wurde

Warum aus Medea keine Mutter Beimer wurde
Die heute gehypten „Bad Moms“ gab es schon in der Antike. Ein Blick auf die mediale Kulturgeschichte der Mutter.

Mütter sind an allem schuld. An Ehetragödien, Essstörungen, Karies und an jeder Art von Komplexen. Warum? Mütter sind meistens da. Wenn nicht, ist das Drama umso größer. Wir sehen ja, was dabei herauskommt, wenn Mütter alle Verantwortung hinter sich lassen, um selbst Spaß zu haben: Blockbuster wie Bad Moms zeigen es vor.

Nicht erst seit Sigmund Freund (dessen Mutter ihn „Sigi, mein Gold“ nannte) kennen wir das Dramapotenzial der Mutter. Der Vater der Psychoanalyse, soll über den Anblick seiner nackten Mutter derart erschüttert gewesen sein, dass er den Ödipuskomplex erfand.

Die oft erzählte Geschichte von Ödipus’ Mutter Iokaste, die in zweiter Ehe versehentlich ihren Sohn heiratete, ist eines der ersten großen Mutter-Dramen der Literaturgeschichte. Ähnlich einzustufen wäre die Story von Medea: Gut gemeint, dennoch daneben. Die Mutter, die ihre Kinder umbringt, ist die Bad Mum schlechthin. Lobenswerterweise warben sowohl Dramatiker Franz Grillparzer als auch Schriftstellerin Christa Wolf um Verständnis für Medea. Allein, der Ruf war nicht zu retten, als Muttertier wie Mutter Beimer gilt sie nicht. Helga Beimer war 35 Jahre bis zum Ende der Lindenstraße der Inbegriff der aufopfernden Gattin und Mutter. Doch wie das meist so ist mit dem Aufopfern: Es nützt wenig. Ihr „Hansemann“ verließ seine „Taube“ für eine andere und das mit den Kindern war auch eher naja.

Fürsorgliche Tyrannin

Der Typ übersorgsame Mutter ist eine häufige Spezies in der Kunst. Die verhätschelnde und zugleich terrorisierende Mutter hat uns große Romane wie jene von Philip Roth beschert, in denen die Helden seitenweise um die Emanzipation von der dominanten Mutter kämpfen. Davon kann auch Obermafioso Tony Soprano ein Lied singen: Seine tyrannische Mutter Livia, ein wirkliches Herzerl, ist mitverantwortlich für seine häufigen Besuche beim Psychiater.

Wie schlimm das mit der kontrollsüchtigen Mutter ausgehen kann, verdeutlicht Stephen Kings Horror-Schocker Carrie. Die von religiösem Fanatismus getriebene Mutter bringt ihre Tochter zum Äußersten. In der Verfilmung von Brian De Palma kam literweise Schweineblut zum Einsatz.

Sohn als Partnerersatz

Abnabelungsschwierigkeiten können auch weniger blutrünstig ausgehen. Schriftsteller Erich Kästner hatte ein besonders enges Verhältnis zu seiner Mutter Ida Kästner, die sich sehr für den Sohn engagierte, ihn aber auch vereinnahmte. Doch immerhin hatte Kästner auch Beziehungen zu anderen Frauen. Journalistin Luiselotte Enderle verbrachte auch von Berufs wegen Jahrzehnte an seiner Seite. Ihr widmete er eine der bezauberndsten Figuren seiner Bücher: Luiselotte Palffy, die Mutter des Doppelten Lottchens, eine der ersten Working Mums der Literatur. Und auch der Sohn als Partner-Ersatz (wie Erich für Ida) kommt mehrfach vor, etwa Anton Gast in Kästners Pünktchen und Anton.

Das ist auch Thema des grandiosen Filmdramas Mommy des jungen frankokanadischen Regisseurs Xavier Dolan, wo Anne Dorval eine überforderte Alleinerzieherin spielt.

Das genaue Gegenteil, nämlich eine klassische Vertreterin der Mutter als Familienmanagerin, war Katia Mann, die Frau des Schriftstellers Thomas Mann und Mutter der gemeinsamen sechs Kinder. In Briefen nannte sie ihren Gatten „Rehlein“, unterschrieb mit „deine Häsin“ und geizte ebenso wenig wie er mit harschem Urteil über den Nachwuchs. Die erklärten Lieblinge waren die Ältesten Erika und Klaus, Tochter Monika fand die Mutter „dumpf“.

Warum aus Medea keine Mutter Beimer wurde

Die Mutter als Familienmanagerin: Katia Mann

Mehr als kritisch soll auch Schauspielerin Joan Crawford Adoptivtochter Christina gesehen haben. In ihrer Autobiografie Meine liebe Rabenmutter beschreibt Christina eine misshandelnde Borderline-Mutter. Das Buch wurde 1981 mit Faye Dunaway verfilmt, ihr irrer Rabenmutter-Blick bleibt in Erinnerung, als psychologische Studie ist der drastische Film aber ungeeignet.

Dass man es mit Stars in der Familie mitunter schwer hat, berichtet ebenfalls Marlene Dietrichs Tochter Maria Riva und auch Romy Schneiders Mutter Magda wird wenig Gutes nachgesagt. Jamie Lee Curtis soll ihrer Mutter Janet Leigh nicht sehr nahegestanden haben. Immerhin hatte sie genug Humor, deren berühmte Dusch-Szene aus Psycho nachzustellen. Apropos: Der Film ist ein wunderbares Beispiel für notorische Abnabelungsschwierigkeiten in einer problematischen Mutter-Sohn-Beziehung. Protagonist Norman Bates kann den Verlust der Mutter derart schlecht verarbeiten, dass er deren bereits mumifizierte Leiche im Schaukelstuhl aufbewahrt. Man muss nicht so weit gehen.

Drama auf der Southfork-Ranch

Ebenfalls sehr dramatisch ging es auf der Southfork-Ranch zu, wo Dallas-Mama Miss Ellie als Familien-Coach werkte. Marke: streng, aber gütig. Leider war ihr Blick auf die zerstrittene Bande von Liebe getrübt, selbst ihrem Oberfiesling JR konnte sie nie lange böse sein.

Mit dem Konsequenzen ziehen tut sich auch Marge Simpson schwer. Höchstens ein „Hrmmm…“ entkommt ihr angesichts der Ausfälle von Mann und Sohn. Tatsächlich versteht niemand, warum sie Homer, diesen Donuts futternden Trottel, geheiratet hat und auch Sohn Bart gibt kaum Anlass zur Freude. Wenigstens Genie-Tochter Lisa macht Hoffnung für nachfolgende Generationen.

Mutter mit genialer Tochter ist auch Lorelai Gilmore, die mit Yale-Studentin Rory in den Gilmore Girls eines der liebenswürdigsten Mutter-Tochter-Gespanne der Fernseh-Geschichte gab. Ein klassisches Beispiel für ein ambivalentes Mutter-Tochter-Verhältnis bietet das Filmdrama Zeit der Zärtlichkeit. Shirley MacLaine und Filmtochter Debra Winger streiten den ganzen Film hindurch und am Ende heulen alle.

Warum aus Medea keine Mutter Beimer wurde

Shirley MacLaine (re) und Filmtochter Debra Winger in "Zeit der Zärtlichkeit"

Achtung, Spoiler: Die Mutter bleibt ohne Kind zurück. Wir kennen das auch von Pedro Almodovars Film Alles über meine Mutter sowie von Marsha Normans beklemmendem Drama Nacht, Mutter. Klassiker des Genres ist Brechts Mutter Courage. Umgekehrt ist das Kind ohne Mutter der Märchen-Stoff schlechthin. Schlimmer nur ist die Ersatzmutter, auch Stiefmutter genannt, wobei nicht jede so böse ist wie die von Schneewittchen.

Das spannendeste Genre ist jenes, in dem Kinder entdecken, dass ihre Mutter auch nur ein Mensch ist. Der erinnernde, kritische Blick auf die Mutter nach deren Tod gehört zu den Höhepunkten der österreichischen Literatur: Peter Handkes Wunschloses Unglück.

Aktuell bieten die Romane von Elena Ferrante, insbesondere Lästige Liebe, spannende Rückschau auf eine Mutter, von der man zu wenig wusste. Und wer Ferrante mag, sollte auch Elsa Morante neu entdecken. Sie beschreibt jenen Archetyp, den vor allem die Kinder, und hier besonders die Söhne gerne sehen: Die Mutter als geschlechtsloses Wesen, bei dem niemand auf die Idee kommt, dass es „den Körper einer Frau besitzt“.

Ein Muttertier eben.

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