Sie haben einen Traum

Sie haben einen Traum
Vier Menschen, ein Ziel: die Bühne. Junge Schauspielstudenten sprechen gemeinsam mit ihren prominenten Vorbildern über den Traum vom Spielen, die Angst vor Zurückweisung und die Bedeutsamkeit erfahrener Mentoren.

Zwischen 500 und 600 junge Menschen versammeln sich jedes Jahr im Frühsommer vor dem Schönbrunner Schlosstheater. Rezitieren Verse. Üben Auftritte. Warten. Etwa 15 von ihnen werden ihrem Traum am Ende des Tages einen großen Schritt näher sein: Zwölf Personen schaffen es in die Schauspielklasse am Max Reinhardt Seminar, bis zu drei weitere in den Studienzweig Regie.

Michaela Saba, Lukas Watzl, Marie-Luise Stockinger und Luka Vlatkovic haben einen der begehrten Plätze an der 1929 gegründeten Schauspielschule im 14. Wiener Bezirk ergattert. "Das Tolle an diesem Haus ist, dass man sich nie alleine fühlt. Es ist immer jemand da, der einem hilft", sagt der 24-jährige Watzl. Er ist im dritten Jahr, eines hat er noch vor sich. Dann darf er sich in die lange Liste der prominenten Absolventen einreihen: Oscar-Preisträger Christoph Waltz hat hier studiert, "Vorstadtweib" Gerti Drassl, ORF-Legende Robert Hochner, Fernsehclown Heinz Zuber. Senta Berger, Erika Pluhar und Elisabeth Orth waren Jahrgangskolleginnen. Paulus Manker folgte seinem Vater Gustav ans Seminar. Der berühmte Nachname dürfte ihm – genauso wie Franziska Hackl oder Josephine Bloéb – nicht geholfen haben: Alle Vorsprechen sind anonym.

Lehrende Vorbilder

Die Burgschauspieler Roland Koch, Regina Fritsch und Nicholas Ofczarek haben nicht am Max Reinhardt Seminar studiert, unterrichten aber dort. Ihren Schützlingen helfen sie bei der Rollen- und Sprachgestaltung. Aber nicht nur das: Sie sind Mentoren, Tröster, Vorbilder. "Zu wissen, dass erfahrene Schauspieler wie Nicholas auch Angst haben, ist beruhigend", sagt Lukas Watzl über seinen Lehrer Ofczarek. Marie Stockinger weiß, dass sie Roland Koch jederzeit anrufen kann, wenn die Panik vorm Vorsprechen zu groß wird. Michaela Saba bewundert Regina Fritschs Ruhe. Und Luka Vlatkovic hat von seinem Idol Karl Markovics vor allem eines gelernt: dass man an der Zulassungsprüfung am Max Reinhardt Seminar scheitern und trotzdem eine phänomenale Karriere hinlegen kann.

Im Akademietheater:

"Das Schlangennest" von Copi, 17. April, 20.00 Uhr, mit Luka Vlatkovic uvm.

Tickets: www.burgtheater.at

Auf der Probebühne der Josefstadt:

"Clockwork Orange", 22., 25. und 26. April, 20.00 Uhr;

"Tod im Freibad", musikalischer Abend, 24. April, 20.00 Uhr, mit Marie-Luise Stockinger uvm.;

"Lulu" (ab 18) von Frank Wedekind, 6., 9. und 10. Mai um 20.00 Uhr, mit Marie-Luise Stockinger, Lukas Watzl, Luka Vlatkovic uvm.

Tickets: www.josefstadt.org

KURIER: Herr Watzl, warum ist Nicholas Ofczarek ein Vorbild für Sie?

Watzl: Haben Sie ihn schon einmal spielen sehen? (lacht) Man kann viel von ihm lernen, vor allem in seinem Unterricht. Weil er nicht nur ein toller Schauspieler, sondern auch Lehrer ist. Er unterrichtet mit sehr viel Leidenschaft. Und gleichzeitig mit einer großen Genauigkeit. Das ist faszinierend.

Ofczarek: Ich lerne wahnsinnig viel von meinen Studenten. Wenn ich am Abend eine Probe oder eine Vorstellung habe, bin ich seltsamerweise besser. Weil die eigenen Sinne geschärft sind und ich mir selbst gegenüber ausformuliere, worum es gehen könnte. Ich kenne ihre Nöte und Ängste, deswegen sehe ich das mit einem liebevollen Auge. Bei mir selbst gelingt mir das weniger.

Herr Ofczarek, Sie sind Lukas’ Rollenlehrer. Was macht ihn aus?

Ofczarek: (überlegt) Dass er einen Riss hat. Das ist wie im Museum: Ein großartiges Gemälde hat immer einen Riss, eine Imperfektion. Wir alle haben die Sehnsucht, perfekt zu sein, aber ein Riss macht eine Person aus, schafft eine Aura. Man muss auch nicht genau wissen, worin der Riss besteht. Er ist ganz einfach da.

Sie haben viele Nestroy-Rollen gespielt. Sehen Sie in Lukas einen potenziellen Nachfolger?

Ofczarek: Er wäre ein hervorragender Nestroy-Spieler. Lukas bringt die notwendige Aggression mit. Nestroy war ein Anarchist, der soziale Missstände nicht einfach hingenommen hat. Ohne die Triebfeder der Aggression wäre diese Form von Komik nicht möglich.

Nicholas Ofczarek ist im Ensemble des Burgtheaters. Der große Traum eines Jungschauspielers?

Watzl: Natürlich. Ich werde ja schon nervös, wenn ich da hineingeh’. Das ist so ein Mythos, der da aufgebaut wird.

Ofczarek: Das war bei mir auch so. Ich wurde mit 23 engagiert. Ein halbes Jahr lang hab’ ich mich nicht in die Kantine getraut. Der Portier hat mich auch nicht hineingelassen. Erst später habe ich erfahren, dass er einen Motorradunfall hatte und an einer leichten Amnesie litt. (lacht) Mittlerweile ist das mein Arbeitsplatz, ich geh’ einfach hinein. Wenn sich eine Premiere nähert, bekommt das Haus für mich wieder eine magische Energie.

Wird die Angst nicht weniger?

Ofczarek: Nein. Man weiß, dass sie ein ständiger Begleiter ist. Angst ist auch für etwas gut, sie ruft einen zu einer gewissen Wachsamkeit auf. Angst kann aber auch enorm behindern. Dann gilt es, sie zu kanalisieren und nicht zu verdrängen. Die Erfahrung lehrt einen mit der Zeit, sie anzunehmen und damit umzugehen.

Watzl: Ohne Angst wär’s vielleicht fad.

Ofczarek: Also ganz ehrlich – ich hätt’s gern fader. Es hört nie auf, dass man nicht weiß, wie es genau geht. Du fängst immer wieder von vorne an, kennst die Rolle nicht, hast neue Kollegen.

Warum wollen Sie trotz dieser Ängste Schauspieler werden, Herr Watzl?

Watzl: Ich hab’ vorher Soziologie studiert. Das war interessant und spannend, doch letztlich war es mir zu wenig praktisch. Ich konnte mir nicht vorstellen, mein Leben lang an einem Schreibtisch zu sitzen. In dieser Zeit habe ich begonnen, ins Theater zu gehen. Irgendwann war ich jeden Tag dort, weil mich das Zusehen so fasziniert hat.

Ofczarek: Diese Frage kann man eigentlich nicht beantworten. Ich bin Schauspieler geworden, weil ich mich verkleiden wollte. Damit ich ja nicht ich bin. Nicht, weil ich die Welt verändern oder Geschichten erzählen wollte. Mittlerweile verkleide ich mich immer noch ganz gern, aber jetzt mache ich es, um mit anderen Menschen zu interagieren, und letztlich auch, um mich selbst kennenzulernen.

Herr Ofczarek, was wollen Sie Ihren Studenten mitgeben? Kann man Schauspiel überhaupt lehren?

Ofczarek: Man kann begleiten. Es kommt auch auf den Jahrgang an: Am Anfang muss man eine Struktur geben – in der kann man sich dann frei bewegen, mit Haltegriffen. Später ist es wichtig, dass man lernt, dieses Gerüst selbst zu bauen. Weil es eben auch im Beruf so ist. Es wird nicht mehr so inszeniert wie früher, dass der Regisseur ein Regiebuch hat und genaue Anweisungen gibt. Was man im besten Fall mitgeben kann, ist ein Handwerk. Eines der wichtigsten Dinge, die man erlernen kann, ist Sprechen. Und, dass man sich in dem geschützten Raum einer Schauspielschule einmal selbst erfährt. Herausfindet, was man nicht kann, und beginnt, eine gesunde Souveränität zu entwickeln. Talent kannst du niemandem beibringen.

Claus Peymann hat Sie 1994 an die Burg geholt. War er ein Mentor, so wie Sie heute einer sind?

Ofczarek: Er hat mir Vertrauen geschenkt und mir Rollen gegeben, aber nicht als väterlicher Begleiter, sondern knallhart. Ich fühlte mich oft allein gelassen. Deswegen mache ich den Job des Lehrers so gerne – weil der Weg, den ich gegangen bin, nicht unbedingt ein rosiger war. Ich möchte, dass meine Schüler den Beruf angstfreier erlernen.

Watzl: Ich weiß: Wenn ich etwas brauche, ist Nicholas für mich da. Ich bin ganz frisch, woher soll ich manche Dinge wissen? Das kann man nicht googeln. Man muss jemanden kennen, den man fragen kann. Sonst kommt man halt alleine drauf, aber das wäre wahrscheinlich sehr viel mühsamer.

Lesen Sie morgen: Luka Vlatkovic und Karl Markovics

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