Vergessene Kinderspiele: Wie der Pflock zur Konsole wurde

„Pflöckeln“ in den 1950er-Jahren: Ein Bub versucht, mit seinem Pflock den seines Mitspielers zu treffen und umzuwerfen.
Bevor es PCs gab, schlugen Kinder Pflöcke in den Boden oder hüpften von der Hölle in den Himmel.

Räuber & Gendarm" oder "Blinde Kuh" haben überlebt. "Pfitschigogerln" ist gerade dabei, in jene Vergessenheit zu geraten, in der "Pflöckeln" oder "Zehnerln" schon versunken sind. Ihnen allen ist etwas gemein: Es sind alte Spiele, die ohne oder mit einfachen Mitteln fast jederzeit und überall spielbar waren. So lange Familien wenig hatten, wurden sie von älteren Kindern an jüngere weitergegeben, wie es heute nur mehr mit Computer- und Videospielen passiert.

Die Historikerin Inge Friedl glaubt, dass in der Spiel-Evolution zwischen Schulhof und Konsole einiges verloren ging: "Die Bedeutung der alten Spiele kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Sie sind komplexe Trainingseinheiten für Gehirn, Koordination und Motorik." Die Gründe für das Aussterben vieler alter Kinderspiele ortet sie im Mangel an Spielkameraden und Raum zum Spielen.

Im Buch "Alte Kinderspiele – einst und jetzt" sammelte sie die beliebtesten Spiele – von Jungscharlagern und der Gstettn, aus Bauernstuben und Kindheitstagen.

Armer, schwarzer Kater

Alle Kinder sitzen im Kreis. Ein Kind, der "Kater", geht auf allen vieren von einem zum anderen, kniet nieder und miaut. Dabei schneidet es Grimassen, spricht mit verstellter Stimme und versucht, den Sitzenden zum Lachen zu bringen. Dieser muss den Kater streicheln und drei Mal "Armer schwarzer Kater" sagen. Schafft er das, geht das Tier wieder weiter. Wenn dies dem Sitzenden aber nicht gelingt, ist er der nächste Kater.

Das einfache Zehnerln

Vergessene Kinderspiele: Wie der Pflock zur Konsole wurde
Buch Kinderspiele S. 91, Böhlau Verlag, einmalige Verwendung, honorarfrei, Ball an die Wand
Jeder Spieler stellt sich in einem Abstand von ein bis drei Metern vor einer Wand auf. Der Erste wirft den Ball an die Wand, fängt ihn wieder auf und klatscht währenddessen in die Hände. Zuerst ein Mal, dann zwei Mal, bis zehn Mal. Wenn der Ball zu Boden fällt, ist der nächste Spieler dran. Wenn ein Kind wieder an der Reihe ist, spielt es dort weiter, wo es aufgehört hat.

Der Plumpsack geht um

Kinder sitzen oder stehen im Kreis. Außen herum geht ein Kind mit dem Plumpsack – einem Taschentuch mit Knoten – und sagt: "Dreht euch nicht um, der Plumpsack geht um, er geht um den Kreis, dass niemand was weiß, und wer ihn will haben, muss Schläge ertragen". Danach lässt er hinter einem Kind den Plumpsack fallen und geht weiter. Sobald jemand dies bemerkt, muss er sich schnell das Taschentuch schnappen und dem anderen Kind nachlaufen. Dieses muss die Runde möglichst schnell fertig laufen und sich in die Lücke im Kreis setzen. Schafft es das, ist das andere Kind der neue Plumpsackträger. Wird der Spieler aber vorher erwischt, muss er wieder mit dem Plumpsack weitergehen.

Himmel und Hölle

Vergessene Kinderspiele: Wie der Pflock zur Konsole wurde
Buch Kinderspiele S. 112, Böhlau Verlag, einmalige Verwendung, honorarfrei, Credit: Ing. Hans Königsecker, Linz; Himmel und Höll: Mädchen hüpft beidbeinig
Das Spielfeld wird mit Kreide auf Asphalt gemalt: Ins erste Feld wird "Hölle" geschrieben, in die anderen Felder Zahlen von eins bis neun. Im letzten Feld befindet sich der "Himmel". Ausgangspunkt für den Spieler ist aber die "Hölle". Er wirft den Stein ins erste Feld und überspringt es mit einem Bein und hüpft ins zweite Feld. In Doppelfeldern kann man mit beiden Beinen auftreten. Im Himmel angekommen, dreht man um und springt zurück ins erste Feld. Dort hebt man den Stein auf und springt zurück in die Hölle. Zweite Runde: der Stein wird ins zweite Feld geworfen. Der Spieler springt mit einem Bein ins erste Feld, überspringt das zweite und hüpft weiter ins dritte Feld. So geht es Runde für Runde – der Stein wird nacheinander ins nächste Feld geworfen. Wer etwas falsch macht, muss unterbrechen und warten, bis die anderen Kinder fertig sind. Erst dann darf er wieder weitermachen. Wer zuerst alle neun Runden in den Himmel schafft, hat gewonnen.

Pfitschigogerln

Eine Art Tischfußball, bei dem am Ende des Tisches ein Tor aufgezeichnet oder mit Stäbchen gelegt wird. Als Ball fungiert eine kleine Münze, die in der Tischmitte liegt. Zudem bekommt jeder Spieler eine weitere eigene Münze. Nun muss einer nach dem anderen seine Münze auf den Tisch legen und versuchen, sie mit einem Kamm oder Lineal so weit zu schnippen, dass sie die kleine Münze in der Mitte des Tisches ins Tor bugsiert. Pro Spieler gibt es fünf bis zehn Versuche, je nach Vereinbarung. Der Spieler, der die meisten Tore macht, gewinnt.

Pflöckeln

Vergessene Kinderspiele: Wie der Pflock zur Konsole wurde
„Pflöckeln“ in den 1950er-Jahren: Ein Bub versucht, mit seinem Pflock den seines Mitspielers zu treffen und umzuwerfen.
Jeder Mitspieler bekommt einen zirka 40 Zentimeter langen Holzpflock. Dann stellen sich alle im Kreis auf. Der Erste wirft seinen Pflock so fest in die Erde, dass er stecken bleibt. Jeder andere Spieler versucht seinen Pflock so zu werfen, dass zwar der eigene stecken bleibt, aber die der Gegner umfallen. Derjenige, dessen Pflock getroffen wird und umfällt, scheidet aus. Das Spiel geht so lange weiter, bis nur mehr ein Spieler übrig bleibt.

BUCHTIPP: Inge Friedl „Alte Kinderspiele – einst und jetzt“ Böhlau Verlag, 24,90 €

Jede Zeit hat ihre Spiele. Früher spielten Kinder mit dem, was sie hatten: miteinander. Mit aufkommendem Konsum und Wohlstand entwickelte sich eine individuellere Spielekultur, das Brettspiel, daheim, mit der Familie. Heute ist das liebste Spielgegenüber die Konsole, womit sich der Bedarf an Mitspielern in der Regel auf zwei reduziert hat. Schwer zu bewerten ist das Online-Spielverhalten, wo man zwar auch mit echten Menschen spielt, diese aber nicht sieht.

Die Stimmung in den USA der 1960er-Jahre führte nicht nur zum Entstehen der Hippiekultur, sondern sorgte auch für einen wichtigen Schritt in der Evolution des Spiels: Man suchte Spiele ohne Sieger und Verlierer, bei denen viele spielen können – und das Mit- vor dem Gegeneinander steht. Auf dieser Idee wurden die „New Games“ – „Neue Spiele“ entwickelt. Zum Beispiel „Menschen Memory“: Zwei Personen werden jeweils einem Tier zugeordnet und spielen dieses, einer muss herausfinden, welches Paar zusammengehört.

Ziel ist, dass Spiele nicht als Wettkampf ausgetragen werden: der „Gegner“ wird als Partner wahrgenommen. Das soll laut Spielpädagogen den Zusammenhalt fördern und das Selbstvertrauen stärken, nicht jeder kann damit umgehen, zu verlieren. Ähnlich funktionieren Kooperationsspiele, sie stärken die Zusammenarbeit. Bei „Total verknotet“ stellen sich etwa Kinder in Kreisform auf und halten einander an den Händen. Sie bilden einen Knoten, indem sie über die Arme anderer steigen oder unter ihnen hindurch kriechen. Dann versucht sich die Gruppe zu entknoten, ohne die Handfassung zu lösen.

Was all diese Spiele gemeinsam haben: Es können fast unendliche viele Spieler mitmachen. Und vieles ist ohne Material, einfach zum Losspielen.

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