„Und, was machst du jetzt so?“

Klassentreffen erinnern an ein vergangenes Lebensgefühl – und längst vergessene Frisurentrends
Warum ein Wiedersehen mit ehemaligen Mitschülern das Leben verändern kann

Es gibt Menschen, denen ein bevorstehendes Wiedersehen mit ihren ehemaligen Mitschülern tagelang Bauchschmerzen verursacht. Sie suchen nach Ausreden und Ausflüchten, um der Frage „Und, was machst du jetzt so?“ zu entkommen.

„Und, was machst du jetzt so?“
Sabine Maschke
Sabine Maschke kennt viele gute Gründe, warum es sinnvoll ist, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Die Sozial- und Erziehungswissenschaftlerin beschäftigt sich mit Alltagsphänomenen, die Menschen beeinflussen und weiterbringen. Dazu gehören auch Klassentreffen. Maschke ist überzeugt, dass diese Zusammenkünfte Menschen anregen, ihr eigenes Leben zu reflektieren. „Sie haben die Chance, sich selbst zu betrachten. Auch im Spiegel der anderen. Aus der Vielzahl der Geschichten ergeben sich neue biografische Skripten – Anregungen, die wir in unser Leben mitnehmen können.“ Manche nutzen das Treffen, um Bilanz zu ziehen: „Sie stellen fest, dass es noch viele Möglichkeiten gibt, Weichen neu zu stellen. Es sind oft Kleinigkeiten und wenn man die verändert, ändert sich das Leben insgesamt.“

Neben Chancen zur Veränderung sind Klassentreffen vor allem eines: Erinnerungen. An Verrücktes, Peinliches und an das Lebensgefühl einer vergangenen Epoche. Seit gestern Abend lässt der Privatsender RTL seine Zuseher in nostalgischen Schulerinnerungen schwelgen. In der Sendereihe „Back to School – Gottschalks großes Klassentreffen“ treten Prominente gegen ihre ehemaligen Schulkollegen an und müssen ihr Wissen in verschiedenen Fächern beweisen.

Klassentreffen haben also Konjunktur. Internetportale bieten die Suche nach Mitschülern und Lehrern an. Der Anbieter stayfriends.at hat mit 626.200 Mitgliedern die meisten Anhänger Österreichs. Auf klassentreffen.at sind 223.858 ehemalige Schüler registriert, die mittels Steckbrief ihre früheren Klassenkollegen suchen können.

Gefühle wachrufen

Für Maschke entspringt das Suchen dem Bedürfnis, wichtige Dinge, die wir erlebt haben, bewahren zu wollen. „Je älter wir werden, desto mehr überlegen wir, was überhaupt bewahrenswert ist.“ Dass wir mit Wehmut auf die hinter uns liegenden Zeiten zurückblicken, verwundert sie nicht. „In den Begegnungen mit den Kindern und Jugendlichen von früher wollen wir die alten Gefühle, das teils Unbeschwerte, Frische und Lebendige wachrufen – all das, was vor der ‚Gewöhnung‘ und unserer schnelllebigen Zeit liegt.“

Die Sozialwissenschaftlerin sieht im Auffrischen alter Erlebnisse das Ritual, eine gemeinsame Geschichte zu finden, über die man sich verständigt. Das stärkt den Zusammenhalt. „Schule bedeutet so etwas wie Heimat. Das kann Kraft geben, wenn man sich einem Leben stellen muss, das von Ungewissheit geprägt ist.“

Dass bei Klassentreffen geprotzt und geprahlt wird, ist laut Maschke ein Klischee. Dennoch gibt es eine Altersphase, in der man sich misst. „Nach 15 bis 20 Jahren will man wissen, was hat der andere geschafft. Was habe ich bisher erreicht, und reicht mir das?“ Denn: „Die Treffen hängen oft mit markanten Zeitpunkten zusammen, in denen wir Entwicklungsaufgaben meistern müssen, zum Beispiel Krisen.“ Auch das kann Anstoß sein, über sein Leben zu reflektieren.

Bei tiefen Kränkungen, mache ein Wiedersehen weniger Sinn, weil man ein zweites Mal verletzt werden könnte. „Menschen, die zum Beispiel Internate besucht haben und dort sexuellen Missbrauch erlebt haben, würde ich davon abraten.“ In weniger schweren Situationen können Gespräche zu neuen Wahrheiten führen. „Manche nutzen es, um etwas wiedergutzumachen oder sich zu entschuldigen.“ Oft lohnt es sich, Bauchschmerzen in Kauf zu nehmen. Klassentreffen können auch ein Wendepunkt sein.

„Und, was machst du jetzt so?“
Buchtipp:Klasse(n) treffen von Sabine Maschke, Scoventa Verlag, 19,90 Euro

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