Sind die Finnen doch nicht so ausgezeichnet?

PISA-Wettrennen: Spinnen die Finnen oder sind sie tatsächlich so gut?
Viele Faktoren machten die Schüler Skandinaviens top. Warum sie jetzt nur noch "gut" sind.

In keinem anderen europäischen Land erbringen Schüler so gute Leistungen wie in Finnland. Die PISA-Studie belegt das regelmäßig aufs Neue. Bildungshungrige aus Österreich sind deshalb in den Norden gepilgert, um das Geheimnis des Schulerfolgs zu entschlüsseln.

Was sie dort sahen, erstaunte sie: Die bei uns ideologisch umstrittene Gesamtschule ist dort seit den 1990ern Realität. Zudem sind die Schulen in ihren Entscheidungen viel autonomer. Finnland-Pilger kamen deshalb zum Schluss, dass Österreich sich dies zum Vorbild nehmen müsse.

Doch vielleicht hat der Bildungserfolg ganz andere Ursachen. Zu dieser Vermutung kommt jedenfalls die Studie des Briten Gabriel H. Sahlgren von der London School of Economics. Er wollte wissen, warum die Finnen innerhalb von nicht einmal zehn Jahren massiv schlechter wurden – um genau 25 Punkte (siehe Grafik). "Das ist statistisch schon relevant", sagt Claudia Schreiner vom Bildungsinstitut bifie, das für Österreich die PISA-Studien durchführt. Experten sagen, dass das dem Lernerfolg eines Jahres entspricht.

Frontalunterricht

Der Brite Sahlgren hat für den Leistungsabfall mehre Gründe ausgemacht. So hätte zu Beginn der PISA-Tests im Jahr 2000 noch das alte Schulsystem nachgewirkt. Dies war geprägt von autoritären Lehrern und Frontalunterricht. Zudem sei das Land in vielen Bereichen wie der Industrialisierung oder dem Ausbau eines Sozialsystems "Spätentwickler". In Phasen des Aufbruchs sind die Anstrengungen – nicht nur– der Schüler besonders groß. Sind die Menschen gesättigt, so ist auch ihre Leistungsbereitschaft geringer. Nach wie vor hoch ist hingegen das Ansehen der Pädagogen, was historische Gründe hat. Denn Lehrer spielten eine wesentliche Rolle bei der Entstehung des Nationalbewusstseins in einer Zeit, als Finnland noch ein Teil Russlands war – erst 1918 wurde der Staat unabhängig.

Heißt das, ein Blick nach Finnland lohnt nicht? "Nein", sagt Bildungspsychologin Christiane Spiel. "Man kann sich immer anschauen, was woanders besser läuft. Allerdings kann man nie Systeme eins zu eins in andere Länder übertragen. Denn jedes Land hat seine eigene Kultur." Vorbild ist Finnland bei der Chancengerechtigkeit. Das bestätigt auch Claudia Schreiner: "Das Elternhaus ist dort weniger entscheidend für den Schulerfolg." Spiel kennt den Grund: "In Finnland werden Lernschwächen viel früher diagnostiziert und auch behandelt. Dazu gibt es Unterstützungspersonal wie Logopäden, Sozialarbeiter oder Psychologen." Dass dieses Unterstützung auch Österreichs Schülern helfen würde, ist hier über die Parteigrenzen hinweg unbestritten. Nur finanzieren will dieses Personal niemand.

Finnische Direktoren können Personal auch besser aussuchen – mehr Autonomie heißt das Zauberwort. Die wünscht sich Spiel auch für Österreich: "Denn wo ich anerkenne, dass Pädagogen Profis sind, die ihr Handwerk verstehen, und wo ich ihnen Verantwortung gebe, dort sind sie auch erfolgreich. Autonomie muss natürlich Hand in Hand gehen mit einer guten Lehrer- und Direktorenausbildung." Die Finnen haben da einen Vorteil: Weil Lehrer ein angesehener Beruf ist, können sie wählen – nur die Besten werden zum Studium zugelassen. "Das wirkt sich auf Qualität und Arbeitshaltung der Pädagogen aus."

Burn-out

Der Schulerfolg macht die finnischen Jugendlichen allerdings nicht glücklich. Laut einer UNICEF-Studie sind sie weit mehr gestresst als in anderen Ländern. "In Finnland ist das derzeit ein großes Thema", weiß Spiel. "Viele sind Burn-out-gefährdet." Das könnte damit zu tun haben, dass die Jugendarbeitslosigkeit sehr hoch ist: "Die Jugendlichen realisieren, dass ihre schulische Anstrengung nichts bringt." Hier könnten die Finnen von Österreich lernen. Die duale Berufsausbildung bewahrt hier – noch – viele Junge vor der Arbeitslosigkeit.

Sind die Finnen doch nicht so ausgezeichnet?

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