Freundschaft zwischen zwei Buchdeckeln
Heute ist es eine globale Angelegenheit. Ganz ohne Selbstgedichtetes und Staub. Trotzdem kann jeder darin blättern und zusammen mit 100.700.000 anderen der Freund von Shakira sein: Facebook ist das Freundschaftsalbum des 21. Jahrhunderts. Modern ist, wer digital dokumentiert, wen er kennt, was er mag, was er hört, liest, isst.
Doch wer meint, dass der Austausch von Lebensweisheiten, Widmungen und guten Ratschlägen erst seit der Erfindung von Facebook im Jahr 2004 so richtig modern geworden ist, irrt. Freundschaftsbücher gibt es seit mehr als 450 Jahren. Und genauso lange schmücken sich Menschen mit den Einträgen von Promis: Es gibt Alben, in denen sich Galileo Galilei, Johannes Kepler, Gotthold Ephraim Lessing oder Johann Wolfgang von Goethe verewigt haben. Ludwig van Beethoven führte gar selbst ein Stammbuch.
Im Wiener Volkskundemuseum erinnert bis 22. November eine Ausstellung an Stammbücher und Poesiealben aus zwei Jahrhunderten (Denk an mich! www.volkskundemuseum.at).
Und weil Wittenberg eine berühmte Uni hatte, die Studenten aus ganz Europa anzog, erfasste der Stammbuch-Trend schon um 1540 andere Kreise und Länder. "Einer der Studenten war der österreichische Adelige Christoph von Teuffenbach", erinnert sich Kuratorin Witzmann. 1548 legte er sich ein Stammbuch zu und nahm es später auf seine Bildungsreise nach Frankreich und Italien mit. Nach seiner Studienzeit verstaubte es, wurde aber später auf einer Reise nach Konstantinopel reaktiviert.
Wer mit wem
Professoren, Juristen, Ärzte, Diplomaten hatten Stammbücher. Aber auch Kaufleute, wandernde Handwerker und Reisende verbreiteten die Sitte über weite Teile Europas – bis nach Skandinavien und auf die Iberische Halbinsel.
Kommt Ihnen bekannt vor? Gewisse Dinge ändern sich anscheinend nie.
"Ab 1550 kamen Illustrationen dazu, die von professionellen Malern gestaltet wurden. Man hat sich also verewigt und musste das Bild dazu zahlen. Das waren Kunstwerke, die bereits früh gesammelt wurden", erzählt die Kuratorin.
Frauensache
Lange war das Stammbuch fest in Männerhand, doch ab dem ausklingenden 18. Jahrhundert wurde es zur Frauensache – und zum Poesiealbum; Blumen, Verse, Schönschrift, schwärmerische Liebe, Locken und Haarstickereien inklusive. Die Pflege der Freundschaft galt als oberste Tugend. Das Biedermeier lässt grüßen. Poesiealben und Stammbücher sind für Volkskundler also auch aufschlussreiche Zeugnisse für politische und gesellschaftliche Veränderungen. "Texte und Illustrationen ließen eine idyllische Wunschwelt entstehen", meint Witzmann, ganz dem Biedermeier-Zeitgeist entsprechend. Das gefiel so sehr, dass im 19. Jahrhundert die erste Massenproduktion für Poesiealben entstand, vielfach handkoloriert und mit vorgedruckten Sprüchen.
Mit dem neuen Jahrhundert verschwanden Poesie, Kreativität und der Schwur auf die immerwährende Freundschaft. Die Alben wurden zur Domäne von Schulkindern, die Einträge weniger emotional: Statt persönlichen Gedichten gab es vorgefertigte Sprüche. Wer jetzt meint, dass das Stammbuch in der digitalen Welt vollends ausgedient habe, irrt: Es erlebt als Freundebuch derzeit in manchen Schulen Wiens einen regelrechten Boom – unter Buben wie Mädchen. Das hat man einfach. Wie die elfjährige Fanziska. Sie besitzt drei. Eines für jeden Lebensabschnitt (Kindergarten Volksschule, Gymnasium). Statt Gedichten werden in vorgedruckte Steckbriefe, Geburtsdaten, Lieblingsspeisen und Hobbys – "in Schönschrift" – eingetragen. Das ist so spannend, dass mitunter Abends daraus vorgelesen wird, erzählt Franziska. Und weil auch die Adressen drinnen stehen, erspart sie sich das Adressbuch.
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