Sowohl "Krowodn" als auch Österreicher

Heute leben laut Volkszählung noch knapp 20.000 burgenländische Kroaten im Osten Österreichs.
Auch die burgenländischen Kroaten wichen einst einem Krieg aus – und kamen nach Österreich. Heute sind auffallend viele aus der Minderheit Akademiker.
Von Uwe Mauch

Ihre Sprache ist einzigartig. Wie ein Fossil im Gestein hat sie sich über fünf Jahrhunderte in den Sprachinseln im und rund um das Burgenland weitgehend so erhalten, wie sie in ihrer alten Heimat Kroatien im Mittelalter gesprochen wurde.

Sowohl "Krowodn" als auch Österreicher
Burgenlandkroaten
Auch ihre Geschichte ist einzigartig: Ihre Vorfahren waren Migranten. Bald nach der ersten Türkenbelagerung Wiens 1529 folgten sie dem Ruf der Grafen Erdődy und Batthyány. So sollen sich 100.000 Kroaten aus dem heutigen Zentralkroatien und Nordbosnien auf den Weg nach Mitteleuropa begeben haben. In der Hoffnung auf ein besseres Leben abseits der Kriege mit den Osmanen.

Ob sich Angela Merkel heute an den Erdődys und Batthyánys orientiert? Immerhin ließen die Grafen ihre ausgedehnten Besitztümer im damaligen Westungarn von den kroatischen Bauern wieder aufbauen. Waren sie Wirtschaftsflüchtlinge oder ins Land gerufene Gastarbeiter? Egal, sie waren Menschen.

Endlich angekommen

Sowohl "Krowodn" als auch Österreicher
Burgenlandkroaten
Heute leben laut Volkszählung noch knapp 20.000 burgenländische Kroaten im Osten Österreichs. Auffallend viele haben ein Studium abgeschlossen und sind in angesehenen Berufen tätig. Die Liste der Prominenten aus der Volksgruppe reicht vom Unternehmer Paul Blaguss über die Fußballer Thomas Parits und Christian Keglevits, den Trainer Paul Gludovatz, den Komponisten Christian Kolonovits, den Ex-Bundeskanzler Fred Sinowatz, Boxlegende Hans Orsolics, Kickbox-Weltmeisterin Nicole Trimmel bis zu den drei Resetarits-Brüdern.

Längst hat sich im Land, nicht nur im Burgenland, die Erkenntnis durchgesetzt, dass die burgenländischen Kroaten keine zu verachtenden "Krowodn" sind, sondern dass sie einiges zur kulturellen Vielfalt beitragen. Dessen ungeachtet besteht in der Volksgruppe die Befürchtung, dass die Minderheit von der Landkarte (siehe Grafik) langsam verschwinden wird. Stephan Strommer, einer der sechs Porträtierten, meint stellvertretend für viele: "In meiner Kindheit war unsere Volksgruppe existenziell vom Aussterben bedroht, heute ist der Prozess eher schleichend. Ich gehe davon aus, dass wir am Verschwinden sind. Noch ein, zwei Generationen, dann wird es uns Kroaten kaum mehr geben."

Sowohl "Krowodn" als auch Österreicher
Burgenlandkroaten
Das lange erfolglose Ringen um Minderheitenrechte, gegen den hinhaltend eisernen Widerstand der burgenländischen Sozialisten wirkt bis heute. Stehen in einem Wirtshaus mehrere Kroatischsprachige mit einem, der ihrer Sprache nicht mächtig ist, wird automatisch Deutsch gesprochen. So könnte nach der erfolgreichen Integration schon bald die Assimilierung folgen. Wie sich diese auswirkt, zeigt ein Blick ins Marchfeld, wohin es die burgenländischen Kroaten einst auch gezogen hatte. Dort sind sie bereits Geschichte. Einige Namen wie Horvath erinnern immerhin noch an ihre Existenz.

Bleibt am Ende ein bisserl Folklore? Još Hrvatska ni propala! Noch leben die Kroaten! Auf Einrichtungen wie den zweisprachigen Schulen im Burgenland, dem zweisprachigen Kindergarten im Kroatischen Zentrum in Wien und den Kulturvereinen ruhen ihre Hoffnungen.

Sowohl "Krowodn" als auch Österreicher

Wohnhaft in Wien, ist er täglich im gesamten Verbreitungsgebiet der Wochenzeitung Hrvatske novine unterwegs. Die erscheint in Eisenstadt (Željezno). Petar Tyran, 59, ist ihr erfahrener Chefredakteur.

Sowohl "Krowodn" als auch Österreicher
„Scheißkrowodn habe ich als Kind oft gehört. Heute würde man Rassismus sagen“
Aufgewachsen ist der Journalist, der seit 33 Jahren lieber hinter als vor seiner Fotokamera auftritt, in Neudorf (Novo Selo). Doch erst während des Studiums der Anglistik, Slawistik und Philosophie hat er realisiert, welchen kulturellen Schatz er als Angehöriger einer Minderheit in sich trägt.

"Bereichernd ist in jedem Fall, dass die meisten von uns zwischen mehreren Idiomen switchen können", erklärt Tyran. "Ich zum Beispiel beherrsche neben dem örtlichen Idiom das normiert-kodifizierte Burgenländisch-Kroatisch, dazu die kroatische Standardsprache, außerdem Hochdeutsch und dazu den einen oder anderen österreichischen Dialekt."

In seiner Kindheit war es für seine Landsleute weit weniger lustig: "Auch mich haben sie öfter ,Scheißkrowod‘ geschimpft. Heute würde man Rassismus dazu sagen. Aber ich habe den Leuten verziehen. Viele sind gescheiter geworden."

Sie studiert Mathematik und Bosnisch-Kroatisch-Serbisch in Wien. Nach dem Studium möchte sie als Lehrerin arbeiten. Sie könnte sich auch vorstellen, in einer zweisprachigen Schule im Burgenland zu unterrichten. Erklärt Yvonne Omischl, 23, bevor sie am Freitagnachmittag – so wie viele ihrer burgenländischen Landsleute – Wien möglichst schnell den Rücken kehrt.

Sowohl "Krowodn" als auch Österreicher
„Um halb acht beginnt die Probe. Ich spiele Tamburizza, singe und tanze auch“
Ziel ist ihre Heimatgemeinde Schachendorf (Čajta). Und der Grund für ihre Eile ist allzu verständlich: "Um halb acht am Abend beginnt die Probe unseres Tamburizzavereins. Ich spiele dort Tamburizza, singe und tanze auch. Man bekommt das bei uns im Burgenland schon von klein auf mit. Ich habe mit sechs Jahren spielen gelernt."

Ihr macht das gemeinsame Musizieren nach wie vor Spaß: "Ich mag die Lieder und die Leute, die meine Freunde sind."

Außer Frage steht für sie auch, "dass wir jetzt den Flüchtlingen helfen". Schachendorf mit seinen 850 Einwohnern hat schon während des Kriegs im ehemaligen Jugoslawien mehrere Familien aus Bosnien und Kroatien aufgenommen. Die Studentin erklärt stolz: "Die sind heute bei uns voll integriert."

Als Schüler ist er zwischen dem Haus seiner Großeltern in Neudorf (Novo Selo) bei Parndorf und der Wohnung seiner Eltern in Schwechat ständig hin und her gependelt. Studiert hat er dann in Wien, und zwar an der Höheren Graphischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt.

Sowohl "Krowodn" als auch Österreicher
„Die zweite Sprache ist hilfreich, auch wenn den Dialekt nicht jeder versteht“
Nach seiner Ausbildung hat Phillip Hauck-Tyran, 26, in Wien als Druck- und Medientechniker und Grafiker zu arbeiten begonnen. Gemeinsam mit fünf Freunden führt er am Neubaugürtel das "Wiener Handwerk", eine Kreativagentur samt Café und einem gleich mehrfachen Migrationshintergrund.

Seine Erfahrung als Angehöriger einer Minderheit ist mehr als positiv: "Die zweite Sprache ist hilfreich, auch wenn den Dialekt meiner Oma nicht jeder versteht und mir junge Kroaten zu verstehen geben, dass das herzig klingt." Kommt die Sprache auf den bevorstehenden Nationalfeiertag und seine eigene Identität, sagt der Kreative ohne Umschweife: "Ich fühle mich in erster Linie als burgenländischer Kroate und als Wiener."

Auch zur aktuellen Flüchtlingsdebatte bezieht Phillip Hauck-Tyran klar Stellung: "Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch das Recht hat, dort zu leben, wo es ihm beliebt."

Nach der Matura ist sie von Stinatz (Stinjaki) nach Wien übersiedelt, um an der Akademie für Angewandte Kunst zu studieren. Heute arbeitet Anita Stoisits, 49, als freischaffende Kostümbildnerin vor allem für Film und Fernsehen.

Sowohl "Krowodn" als auch Österreicher
„Wurde unseren Eltern signalisiert, dass sie ihre Sprache besser vergessen“
Stoisits erinnert sich nicht mit Freude daran, was ihren beiden Töchtern erspart bleibt: "Zu meiner Zeit war Kroatisch ein Freigegenstand. Vonseiten der regierenden Sozialisten wurde unseren Eltern deutlich signalisiert, dass sie ihre Sprache besser vergessen, wenn sie in diesem Land was werden wollen."

Ihr Mann ist Oberösterreicher. Es sei daher eine bewusste Entscheidung gewesen, die Kinder in den zweisprachigen Kindergarten des Kroatischen Zentrums in der Schwindgasse zu geben: "Das war für sie die einzige Chance, in einer zweisprachigen Umgebung aufzuwachsen. Heute ist es für mich ein schönes Gefühl, dass sie beide Sprachen beherrschen. Sie haben damit einen leichteren Zugang zu allen slawischen Sprachen, und sie tun sich auch mit Englisch und Französisch nicht sehr schwer. Ich persönlich bin zu Hause mit viel Singen und viel Musik aufgewachsen. Das musische Gefühl hat mich ganz sicher auch als Künstlerin geprägt."

Sie hat Theaterwissenschaft an der Universität Wien studiert. Derzeit arbeitet sie im Filmcasino in Margareten. Ihre Familie lebt schon in vierter Generation in Wien, erzählt Lydia Novak, 29. Dennoch hat sie im ganzen Burgenland weiterhin viel Verwandtschaft: von Sigleß (Cikleš) bis Stinatz (Stinjaki).

Sowohl "Krowodn" als auch Österreicher
„Mein Dorf ist das Servitenviertel, und ich sehe mich in erster Linie als Wienerin“
Selbst beschreibt sie sich in erster Linie als Wienerin, was ihr aber auch nicht so wichtig ist: "Mein Dorf ist das Servitenviertel. Und ganz ehrlich: Mir geht die Diskussion, die wie vielte Generation einer ist, auf die Nerven." Daher meint sie: "Ich bin Migrantin in 25. Generation."

Zur Flüchtlingsdebatte sagt Novak: "Wenn man wirklich möchte, dass sich die Menschen bei uns integrieren, soll man nicht von Integration reden und in Wirklichkeit Assimilation im Auge haben. Uns Kroaten gibt es schon so lange, weil wir uns unsere Sprache und Kultur gegen viele Widerstände bewahren konnten. Man muss die Menschen so reden lassen, wie sie es daheim gelernt haben. Ich habe deshalb so schnell im Kindergarten Deutsch gelernt, weil wir zu Hause Kroatisch gesprochen haben und ich auf einer Muttersprache aufbauen konnte."

Er absolviert derzeit ein Doktoratsstudium an der TU Wien. Daher teilt Stephan Strommer, 29, den Weg vieler Burgenländer: Woche für Woche pendelt er zwischen Wien und Oslip (Uzlop) nahe Eisenstadt hin und her. Der junge Elektrotechniker sagt, dass er die Wochenenden am Liebsten in Oslip verbringt, wo er aufgewachsen ist und wo er bis heute zu Hause ist.

Sowohl "Krowodn" als auch Österreicher
„Freitags fahre ich heim nach Oslip. Ich fühle mich als Österreicher, als Europäer“
Stichwort eigene Identität: "Ich fühle mich als Österreicher, als Europäer, bin auch stolz, ein burgenländischer Kroate zu sein. Ich singe gerne, tanze gerne. Dafür lebe ich, dafür stehe ich." Als Kind habe er sich öfters gefallen lassen müssen, "dass wir ,Scheißkrowodn‘ sind, speziell von Erwachsenen aus den Nachbardörfern, wenn wir gegen deren Kinder Fußball gespielt haben". Das sei heute zum Glück anders: "Weil die meisten Menschen den Mehrwert der Mehrsprachigkeit erkannt haben. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass Kroatien heute Mitglied der EU ist. Das ist emotional nicht so weit entfernt wie das ehemalige Jugoslawien."

Als Angehöriger einer Minderheit sieht er Flüchtlinge, die nach Österreich kommen, als mehr als nur gleichwertig an.

Kroatische Minderheit

Im 16. Jahrhundert siedelten sich 100.000 Kroaten im Burgenland an. Heute zählen die burgenländischen Kroaten (kroat. gradišćanski Hrvati) neben Slowenen, Ungarn, Slowaken, Tschechen sowie Roma und Sinti zu den sechs in Österreich anerkannten ethnischen Minderheiten.

Kroatische Kulturzentren

Für die Volksgruppe der Kroaten im Burgenland ist die Kulturna zadruga, kurz KUGA, in Großwarasdorf (Veliki Borištof) schon seit vielen Jahren ein wichtiger Ort für Veranstaltungen: www.kuga.at. Für die Kroaten, die in Wien wohnen bzw. arbeiten, ist das Kroatische Zentrum in der Schwindgasse im 4. Bezirk zentral. Hier ist der zweisprachige Kindergarten eingerichtet, hier finden auch viele Kulturevents statt: www.hrvatskicentar.at

Info: Kroatischer Ball, Am 23. Jänner 2016 findet der 69. Wiener Kroatenball (Hrvatski Bal) statt. Im Parkhotel Schönbrunn sind auch Freunde der burgenländischen Kroaten herzlich willkommen. Karten- und Tischreservierungen: 01 / 504 63 54, kontakt@hrvatskibal.at

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