Rot: Die Mutter aller Farben

Rot wirkt – ob bei sportlichen Wettkämpfen oder bei der Partnerwahl.
Das zeigte sich bereits in der griechischen Mythologie. Noch heute beeinflusst die Farbe unser Leben.

Seine Füße sollten die Erde nicht berühren: Als König Agamemnon aus Troja heimkehrte, ließ ihm seine Frau einen purpurfarbenen Teppich ausbreiten. Doch er zögerte, denn diese Ehre war den Göttern vorbehalten. Aischylos, Dichter und Verfasser der Tragödie "Agamemnon", wies schon um 458 v. Chr. auf die Bedeutung der Farbe Rot hin. Macht, Angst, Liebe und Zorn – kein Farbreiz ist vielfältiger. Seine Wirkung ist weit stärker als bisher vermutet. Aktuell berichten Wissenschaftler der Durham Universität, dass Männer in roten T-Shirts auf andere Männer dominanter und aggressiver wirken als blau oder grau gekleidete. Frauen lassen sich dagegen von roter Kleidung an Männern weniger beeindrucken, schreiben sie in den Biology Letters der britischen Royal Society. Was die Wahrnehmung der Dominanz anging, mache die Farbe des T-Shirts für sie keinen Unterschied. Sowohl Männer als auch Frauen hätten rot gekleidete Männer besonders oft für verärgert gehalten.

Allerdings fallen sie auf und bleiben in Erinnerung. Forscher der Universität Regensburg fanden heraus, dass sich Menschen Objekte, die rot oder gelb waren, auf längere Sicht am besten merken können. Den deutschen Farbforscher und Designer Axel Venn überrascht das nicht: "Rot ist die Mutter aller Farbigkeit. Die Wellenlänge von Rot ist einer der Hauptrezeptoren in unserem Auge."

Dass Frauen bei der Farbwahl stärker zu Rosa und Rot tendieren, ist laut Venn evolutionsbedingt. Für Sammlerinnen war es wichtiger, rote, reife Früchte von grünen, unreifen unterscheiden zu können, als für die Jäger. Denn es waren die Frauen, die ihre Männer mit süßen, roten – also reifen – Früchten versorgten. Im Hinblick darauf ist es nicht verwunderlich, dass zirka acht Prozent der Männer und nur 0,5 Prozent der Frauen eine Rot-Grün-Sehschwäche haben.

Sexuell attraktiv

Warum Rot vor allem auf männliche Tiere sexuell attraktiv wirkt, lässt sich ebenfalls evolutionär begründen – und im Zoo beobachten: Wenn weibliche Schimpansen oder Paviane fruchtbar sind, zeigen sie ihre Paarungsbereitschaft mit rot gefärbten Hinterteilen. Während der Eisprungphase schüttet ihr Körper vermehrt Östrogene aus, die den Blutfluss in bestimmten Körperregionen aktivieren. Die Männchen reagieren auf diese Signale dementsprechend. Ähnliches Verhalten konnten die US-Psychologen Andrew Elliot und Daniela Niesta bei Männern nachweisen: Sie bewerteten Fotos von Frauen mit roter Kleidung als besonders attraktiv und sexuell reizvoll.

Mit Macht und Ansehen verbunden, war Rot auch immer eine politische Farbe. Bereits die Senatoren in Rom trugen eine Toga mit Purpurstreifen. Ab dem 11. Jahrhundert ließ auch die römisch-katholische Kirche ihre Würdenträger in Rot kleiden. Die Bedeutung: Sie waren für den Glauben bereit, auch ihr eigenes Blut zu vergießen – Rot als Farbe des Blutes und damit auch als jene des Kriegs. Apropos: Als noch Mann gegen Mann gekämpft wurde, waren rote Uniformen besonders beliebt. So besiegten sardisch-französische Truppen bei der Schlacht von Magenta am 4. Juni 1859 die Österreicher in roten Uniformen. "Sie wurden damals von der Textilfirma Balsan ausgestattet, die Farbe wurde bewusst gewählt", sagt Axel Venn.

Nicht mehr im Krieg, aber im Wettkampf gewinnen noch heute Sportler in roten Trikots öfter als ihre Mitstreiter. Britische Anthropologen stellten fest, dass bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen rotgekleidete Boxer und Ringer häufiger gewannen als jene in blauen Dressen. Der Grund: Rot wirkt einschüchternd.

Das zeigt sich auch bei Vögeln. Die australische Verhaltensbiologin Sarah Pryke von der Macquarie University in Sydney setzte jeweils einen roten Finken zusammen mit einem schwarzen oder blauen in einen Käfig mit einem Futterautomaten. Statt um das Futter zu streiten, lösten die Vögel den Konflikt völlig unerwartet: Jene mit schwarzen oder blauen Federn versuchten wider Erwarten nicht, ihre rotgefiederten Artgenossen herauszufordern – sie ließen ihnen einfach den Vortritt. Zudem hatten sie eine um 58 Prozent höhere Konzentration des Stresshormons Corticosteron im Blut. Rot schafft es also auch, Konflikte zu vermeiden – wenn auch nur im Tierreich.

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