Schuljahr neu organisieren

Schuljahr neu organisieren
Im April und Mai ist die Dichte an Schularbeiten und Tests besonders hoch. Experten fordern, das Schuljahr neu zu organisieren

Jedes Jahr um diese Zeit dieselbe Situation: Eine Schularbeit jagt die andere, Schüler kommen in den Monaten Mai und Juni mit dem Lernen für Prüfungen und Tests kaum mehr nach. Die Eltern stöhnen, den Lehrern reicht’s.

Jetzt reicht’s auch den Bildungsexperten des Landes – sie fordern eine Reorganisation des Schuljahres – inklusive einer Neugestaltung der Ferien. "Die Arbeitsdichte ist für Schüler und Lehrer in diesen Monaten enorm", stellt etwa Ilse Schrittesser, Lernforscherin an der Uni Innsbruck, fest. "Es wäre höchst an der Zeit, dass es während der gesamten Schulzeit weniger Leerläufe gibt – wie zum Beispiel zu Schulbeginn oder zu Jahresende." Stattdessen müsste bereits von der ersten Stunde effizient unterrichtet werden.

Kommunikationszentrum

Die Lernforscherin nennt dazu internationale Positiv-Beispiele – etwa Finnland oder Kanada: "Die Schüler sind dort auch deshalb im Schnitt besser, weil die Schule eine Art Kommunikationszentrum ist, an dem sich die jungen Menschen länger aufhalten und so mehr Zeit haben, Gelerntes zu festigen."

Dieter Braunstein, Direktor der AHS Alt­erlaa in Wien hat an seiner Schule bereits am Zeit-Management gefeilt: "Unterricht und Phasen wie Projekt- oder Skiwochen werden übers Jahr gleichmäßiger verteilt. Deshalb legen wir solche Exkursionen eher in die Mitte der Semester. Die Prüfungen sind nicht so geballt. Damit wir am ersten Schultag mit dem Unterricht gleich starten können, hat unser Schulgemeinschaftsausschuss (SGA) beschlossen, dass die Wiederholungsprüfungen alle in der letzten Ferienwoche stattfinden. Das ist auch für die Lehrer entspannter, weil sie in der ersten Woche nicht schon gleichzeitig unterrichten und prüfen müssen." Am Beginn der Umstellung war nur eine knappe Mehrheit der Pädagogen dafür – mittlerweile sind es 75 Prozent, weil sie die Vorteile für sich erkannt haben.

Vereinheitlichung

Elternvertreter wie Susanne Schmid aus dem Burgenland wünschen sich deshalb, "dass der Nachzipf an allen Schulen in die letzte Ferienwoche verlegt wird." Als Mutter hat sie zudem festgestellt, "dass es eigentlich besser wäre, drei statt zwei Schularbeiten pro Halbjahr zu machen. Schreibe ich jetzt einen Fünfer, ist die Katastrophe da und der Schüler hat unter Garantie eine Entscheidungsprüfung – auch wenn es diese offiziell nicht mehr gibt."

Eine "Revolution" im Klassenzimmer fordert Schülervertreterin Eleonora Kleibel von der AKS (Aktion Kritischer Schüler). Sie zweifelt am Sinn von Schularbeiten: "Da wird Wissen nur punktuell abgefragt. Der Stoff wird schnell gelernt und genauso schnell wieder vergessen. Das ist überhaupt nicht sinnvoll. Gescheiter wäre es etwa, wenn Schüler ein Portfolio erstellten oder im Rahmen von Referaten ihr Wissen präsentieren. So wird in vielen Ländern Wissen erfolgreich überprüft."

Weiterer Vorschlag: "Wir brauchen in allen Schulen eine Art Klassenvorstands-Stunde. Diese ließe sich dazu nutzen, Organisatorisches zu regeln und das Miteinander in der Klassengemeinschaft zu fördern. Das alles passiert derzeit während des Unterrichts." Wertvolle Zeit, die verloren geht.

Zeugnis

Schuljahr neu organisieren
KURIER-Family-Coach Martina Leibovici-Mühlberger.

Die "Bulimie des Lernens" – Wissen eintrichtern, ausspucken – prangert KURIER-Family­coach Martina Leibovici-Mühlberger an – und unterstützt damit die Schülervertreterin: "Das punktuelle Abfragen bei Schularbeiten dient nur dazu, dass die Schule Datensätze hat, die eine Zeugnisnote rechtfertigen. Das hilft vielleicht dem Lehrer, dem Schüler bringt das nichts."

Im Gegenteil: "Junge Menschen verbinden derartiges Lernen nur mit Stress, nicht mit Lust. Sie konzentrieren sich ausschließlich auf den Stoff, der zur Schularbeit kommt. Sie schauen nicht nach rechts und nach links und interessieren sich auch nicht für Zusammenhänge. So entsteht bereits bei jungen Menschen eine negative Arbeitshaltung."

Neu geregelt müssten auch die Ferien werden: "Neun Wochen Sommerferien sind für österreichische Kinder zu lang. Hätten sie da weniger freie Wochen und stattdessen eine Woche Herbstferien, wäre das Schuljahr um einiges entspannter", sagt Ilse Schrittesser. "Die nordischen Länder haben oft noch länger Sommerferien, weil sie die langen Tage ausnutzen wollen. Die Schule ist in Skandinavien generell anders organisiert als bei uns."

Mehr Prüfungen

Doch eine Reform der Schule geht wohl kaum ohne die Lehrer. Wäre eine Reform mit ihnen zu machen? AHS-Gewerkschafter Gerhard Riegler meint, "dass die Schulen sowieso schon jetzt entscheiden können, wann der Nachzipf ist."

Aber: Die derzeitigen Gesetzte lassen keinen entspannteren Ablauf des Schuljahres zu. "Die erste Schularbeit kann zum Beispiel kaum vor Oktober stattfinden, weil der Lehrer nur Stoff abfragen kann, der auch im laufenden Schuljahr durchgenommen wurde."

Die Re-Organisation scheitere zudem am Personalproblem. Der Lehrermangel werde eine bessere Organisation des Schuljahres in den nächsten Jahren noch verschärfen: "Die Direktoren wissen zu Beginn des Schuljahres ja gar nicht, ob und welche Lehrer sie überhaupt zur Verfügung haben." Mit der Reform der Oberstufe werde den Stress für die Schüler sogar noch mehr, ist der AHS-Gewerkschafter überzeugt: "Dann habe ich nach jedem Semester ein Zeugnis. Bisher gibt es nach dem ersten Halbjahr ja nur eine Schulnachricht."

Sprechstunde: Den KURIER-Schüleranwalt erreichen Sie jeweils am Dienstag, von 8 bis 10 Uhr, und am Freitag von 15 bis 16 Uhr unter 0664/60 700 30000.

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