Schüleranwalt: Kinder brauchen Hilfe, keine Strafe

Schüleranwalt: Kinder brauchen Hilfe, keine Strafe
Viele Schulschwänzer sind mit ihrem Leben überfordert. Sie brauchen dringend Unterstützung, sagen Experten.

Rund 1500 Verfahren gibt es derzeit, weil Jugendliche die Schule schwänzen. Tendenz steigend. Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz möchte die Eltern mehr in die Pflicht nehmen. Sie sollen bei Schulpflichtverletzungen der Kinder höhere Strafen als bisher bezahlen. Für Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann (Uni Wien), ist diese Forderung „eine Frechheit.“ Warum? „Das Gerede von den bildungsfernen Schichten stimmt so nicht. Wir wissen aus Studien, dass z. B. gerade Migranten in der Volksschule noch hoch motiviert sind. Die wollen lernen. Wir schaffen es aber erfolgreich, ihnen in der Unterstufe diese Motivation auszutreiben. Und dafür sollen sie jetzt auch noch bestraft werden? Das kann nicht sein.“

Er nennt ein Beispiel aus einer Studie, die zeigt, wie Kinder demotiviert werden: „Ein Mädchen soll einen Zeitungsbericht vorlesen. Da sie aber noch nie einen in Spalten gedruckten Text gesehen hat, liest sie wie gewohnt in Zeilen. Die Lehrerin hat das Kind hierauf für dumm erklärt. Sie glaubt nicht mehr an das Kind. Die Folge: Dessen Selbstvertrauen ist weg. Aber genau das ist nötig, damit ein Kind die Schule erfolgreich schafft.“ Die Forschung zeige, dass das gelingen kann.

 

Ganztags

Eleonore Kleibel von der SP-nahen Aktion kritischer Schüler (AKS) fordert deshalb „Hilfe statt Strafen“. In Österreich sei „Schule immer noch zu sehr Aufgabe der Eltern. Die könnten sich aber z. B. Nachhilfe oft nicht leisten. Abhilfe würde eine Ganztagsschule schaffen, in der jeder die nötige Hilfe bekommt, um den Anschluss nicht zu verpassen.“ Das allein würde aber nicht reichen. „Wir brauchen gut ausgebildete Psychologen und Sozialarbeiter, die den Schüler unterstützen, wenn es Probleme gibt.“

 

Sprechen

Ähnlich sieht das die VP-nahe Schülerunion. Für Obmann Jim Lefebre „können Strafen nur der letzte Schritt in einer langen Reihe von Maßnahmen sein.“ Fehlt ein Kind häufig unentschuldigt „sollte in einem Gespräch zwischen Eltern, Lehrern und Schülern die Gründe dafür erforscht werden.“ Dann erst könne man die Hilfe anbieten, die das Kind braucht und ihm auch nützt.

„Leider haben wir zu wenig gut ausgebildetes Personal an den Schulen, die diesen Kindern helfen können“, meint eine Wiener Beratungslehrerin: „Viele kommen mit einem Rucksack voller Probleme und Sorgen in die Schule. Zu Hause erleben sie Drogen- und Alkoholsucht, Gewalt oder einen Rosenkrieg. Unter den Kindern selbst wird der Ton immer rauer. Wie sollen sie da einen Kopf für die Schule haben? Sie haben niemanden, bei dem sie sich ausweinen können. Hier muss Hilfe an der Schule angeboten werden – den Eltern und den Kindern.“ Dort, wo es solche Angebote gibt, „werden diese gerne angenommen.“

Eine Wiener Volksschuldirektorin sieht das Problem nicht nur bei den Familien. „Es ist auch eine falsche Haltung, die Lehrer vermitteln. Schüler erleben häufig, dass es eigentlich egal ist, wenn Stunden ausfallen.“ Ein Beispiel: „An einer Mittelschule mit sehr hohem Migrantenanteil gibt es so gut wie keine katholischen Kinder. Dennoch fällt der Unterricht aus, weil Schulmesse ist. Wie sollen die Schüler da eine andere Haltung zum Schulbesuch entwickeln, wenn sie die Lehrer nicht haben?“

 

Zu lasch

Eine Lehrerin kritisiert die Behörden: „Dort, wo Eltern ihre Kinder vorsätzlich nicht in die Schule schicken, ist von den Jugendämtern und den Schulbehörden zu wenig Druck da.“ Sie berichtet von einem Fall: „Ein Bub hat so gut wie nie die Schule besucht. Immer, wenn die Direktion Druck auf die Eltern machte, meldeten diese ihr Kind an einer anderen Schule an. Als eine Direktorin das bemerkte, wollte sie eine erneute Ummeldung verhindern. Doch der Bezirksschulinspektor gab klein bei. Der Bub wechselte die Schule.“ Karlheinz Fiedler, 20 Jahre Direktor einer Kooperativen Mittelschule in Wien, weiß, „dass es bei Kindern mit österreichischem Pass sehr schwierig ist, Druck auszuüben. Anders bei Nicht-Österreichern: Da reicht ein Anruf beim Finanzamt. Dieses fordert eine Schulbesuchsbestätigung. Wird diese von der Schule nicht ausgestellt, wird sofort die Familienbeihilfe gestrichen.“ Für Fiedler ist das „eine Ungleichbehandlung.“

Begründung des Familienministeriums: „Die Beihilfe darf nicht gestrichen werden, um Eltern zu bestrafen. Das wäre verfassungswidrig.“ Die Schulbesuchsbestätigung von Ausländern sollte nur eingefordert werden, „um klarzustellen, dass das Kind auch wirklich in Österreich lebt.“

Politik: Schulschwänzen verhindern

Fünf Eckpunkte Bildungsministerin Claudia Schmied will mit einem Maßnahmenpaket Dauerschwänzen verhindern: Eltern-Schüler-Lehrer-Gespräche sollen bis zur 9. Schulstufe verpflichtend sein. Direktoren müssen Eltern und Schüler über die Schulpflichtverletzung informieren. Schulpsychologie und Schulsozialarbeit sind ebenfalls gefordert. Sie müssen enger mit Jugendwohlfahrt und Schulbehörden zusammenarbeiten.

Strafe Die Höchststrafe für Schulpflichtverletzungen soll von 220 auf 440 Euro angehoben werden. Staatssekretär Sebastian Kurz wollte gar 1500 Euro.

 

Kontakt zum Schüleranwalt

Schüleranwalt: Kinder brauchen Hilfe, keine Strafe

Der Schüleranwalt hilft bei Schulproblemen: Ungerechte Noten, zu viele Schüler in der Klasse oder Legasthenie – das Expertenteam des Schüleranwalts weiß Rat. Fragen können per eMail an schueleranwalt[at]kurier.at gerichtet werden. Oder in der Telefonsprechstunde (Di., 8 bis 10 Uhr und Fr., 15 bis 16 Uhr) 0664/60 700 30 000.

 

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