Schreiben mit links: "Ein Akt der Befreiung"

Schreiben mit links: "Ein Akt der Befreiung"
Eine Lehrerin erzählt, wie sie bei ihren Töchtern und sich feststellte, dass ihre dominante Seite nicht die rechte ist. Und was sich dadurch änderte.

Ihre Füllfeder gleitet nicht schnell, dafür zielsicher über das linierte Papier des Schreibhefts. Ihre Schrift ist nicht schön im herkömmlichen Sinn, aber sie ist lesbar und darüber hinaus das Zeugnis eines längeren Lernprozesses. Denn sie war schon Sonder- und Heilpädagogin und Mutter von drei Töchtern, als sie beschlossen hat, künftig mit der linken Hand zu schreiben.

Schreiben mit links: "Ein Akt der Befreiung"
"Yes, we can!", erklärt Andrea Hayek-Schwarz mit stolzem Lächeln. "Am Tag, an dem der Linkshänder Barack Obama in Washington angelobt wurde, habe ich begonnen, zu meiner dominanten Hand zurückzukehren." Und ja, sie konnte das tatsächlich! Heute schreibt sie wie selbstverständlich mit links.

Rechtsunsicherheit

Hayek-Schwarz zählt damit zu jenen 15 Prozent Menschen weltweit, die Linkshänder sind und tatsächlich mit der linken Hand schreiben. Und es wird weiterhin gemutmaßt, dass jeder zweite Mensch als Linkshänder geboren wird.

Sie zählt zu jener Generation Linkshänder, die von ihren Eltern und Lehrern überredet bzw. angehalten wurde, auf die rechte Hand umzuschulen. Wollten Menschen wie sie mit der Linken grüßen, wurden sie gemaßregelt. Wollten Menschen wie sie mit der Linken schreiben, wurden sie nachhaltig korrigiert. Mit teils fatalen Folgen. Weil der natürliche Bewegungsimpuls im Gehirn umgeleitet werden muss, kommen Linkshänder schnell einmal durcheinander. Die Betroffene erinnert sich: "Ich hatte vor dem Umlernen oft das Gefühl, dass ich ein Stück neben mir stand."

Linksgerichtet

Heute werden Linkshänder nicht mehr zum Umlernen gezwungen. Liest man. Richtig gefördert werden sie aber auch nicht. Liest man ebenso. Das Beispiel der Familie Hayek-Schwarz zeigt, dass es noch immer Linkshänder gibt, die bewusst oder unbewusst nicht ihre angeboren dominante Hand verwenden.

"Meine älteste Tochter war bereits neun", erzählt die Lehrerin. "Da bin ich aus allen Wolken gefallen." Die Tochter zeigte sich sehr interessiert in der Schule, tat sich aber beim Schreiben schwer. Man ging zum Optometristen. Der stellte – wie vermutet – eine leichte Sehschwäche fest, gleichzeitig auch ihre Linkshändigkeit. "Nach der Rückkehr zur linken Hand hat sie keine weiteren Probleme mehr gehabt."

Ihre Älteste ist nicht die Einzige in der Familie. Sensibilisiert für das Thema, fand die Lehrerin heraus, dass alle drei Töchter keine Rechtshänderinnen sind. Und dass auch ihr Mann und sie selbst geborene Linke sind. Was dazu führte, dass sie und zwei Töchter von rechts auf links umgelernt haben.

Inzwischen hat Hayek-Schwarz in München eine Ausbildung zur Linkshänder-Beraterin absolviert. "Weil mir aufgefallen ist, dass sich nicht nur meine Mädchen schwer taten, und weil es in Österreich nur wenige Institutionen gibt, an die sich Linkshänder wenden können."

Von rechts auf links

Vor zwei Jahren hat sie gemeinsam mit Betroffenen und Kollegen in Wien den Verein LinkeHand gegründet. Ziel des Vereins: "Wir wollen linkshändig begabte Menschen fördern und ihnen Raum zum Erfahrungsaustausch bieten."

Ein Schwerpunkt ist die Früherkennung bei Kindern. Zudem bietet der Verein Hilfe für jene an, die eine Um- und Rückschulung ins Auge fassen. "Damit ist immer auch ein gewisses Risiko verbunden", erklärt die Pädagogin. "Doch ich bereue den Wechsel nicht. Für mich war das ein Akt der Befreiung."

Die Händigkeit ist angeboren und kann nicht ohne Folgen verändert werden. Trotzdem kommt es immer noch vor, dass linkshändig begabte Kinder durch Nachahmung, Beeinflussung und Anpassung im Laufe der ersten Lebensjahre Rechtshänder werden. Das kann unter anderem zu Konzentrations- und Gedächtnisschwächen, zu Schwierigkeiten beim Schreibenlernen und geringerer Belastbarkeit führen.

Mögliche Anzeichen für eine Linkshändigkeit: Das Kind ...

... verwendet bis zum Kindergarteneintritt überwiegend die linke, danach mehr die rechte Hand.

... nimmt auch weiterhin Gegenstände mit der linken Hand und reicht sie an die rechte Hand weiter.

... zeigt wenig Interesse zu basteln und zu malen.

... gibt beim Grüßen nicht die Hand.

... hat eine unregelmäßige Schrift und keine Lust zu schreiben.

... kann sich für die Schule schwer motivieren, kann sich im Unterricht nur kurz konzentrieren, ist leicht ablenkbar und öfter nervös.

Auch beim heutigen Linkshändertag geht es um Früherkennung. Der Tag wurde im Jahr 1976 von einem Betroffenen, dem Amerikaner Dean R. Campbell, ausgerufen, um auf die Bedürfnisse der Linkshänder aufmerksam zu machen. Infos über Linkshänder-Beratung hier oder auch unter 0680 / 214 66 44

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