Prag: Auf den Spuren von Franz Kafka

Der Altstädter Ring in Prag
„Dieses Mütterchen hat Krallen …“ schrieb Franz Kafka über seine Heimatstadt. In der man zwischen Wenzelsplatz und Hradschin aufspüren kann, wann er Weltliteratur schrieb, die nie erscheinen sollte.

Am 2. August 1914 steht in Franz Kafkas Tagebuch: „Deutschland hat Russland den Krieg erklärt – nachmittags Schwimmschule.“ Für den schmächtigen Mann mit hypnotisierendem Blick gilt offenbar: Egal, ob die Welt in ihren Angeln ächzt, Sport muss sein – ob im Ruderboot auf der Moldau oder am Ufer in der Civil-Schwimmschule – deren Gebäude heute ein Restaurant beherbergt.

Die Civil-Schwimmschule in Prag

Die Civil-Schwimmschule in Prag

Der von Selbstzweifeln geplagte Nebenberufsschriftsteller ist damals 31 Jahre alt, frisch von seiner Verlobten Felice Bauer getrennt und beichtet seinen Eltern, er wolle eine Auszeit vom Hauptjob in der Versicherung nehmen, Prag verlassen und eine Weile vom Ersparten in Berlin oder München leben – als Fulltime-Schriftsteller.

Wäre es dazu gekommen, Tschechiens Hauptstadt hätte heute wohl deutlich weniger Kafka-Spuren und -Schauplätze. Aber Prag hat ja offenbar Krallen, die ihn halten.

Kafka zieht aus, aber nicht in die weite Welt, sondern nur bei seinen Eltern – raus aus der großbürgerlich-geräumigen Sechs-Zimmer-Wohnung im dritten Stock des Oppelt-Hauses. Es ist das mit Zuckerbäcker-Stuck, auskragenden Erkern und Dachturm verzierte Eck-Palais zwischen Altstädter Ring, Prags zentralem Platz und dem von Bäumen gesäumten Pracht-Boulevard „Pařížská“.

Prag: Auf den Spuren von Franz Kafka

In dessen Umgebung drängeln sich heute Cartier, Dior, Gucci und andere Top-Modemarken, aber auch so viele Kafka-Erinnerungsorte wie sonst nirgendwo in Prag. Los geht’s nur ein paar Schritte entfernt: Kafkas Geburtshaus, heute verziert mit einer – nun ja – seinem Profil allenfalls entfernt ähnelnden Skulptur. Kein Wunder, Künstler Karel Hladík schuf sie 1965 mit Blick auf das Antlitz eines Enkels von Kafkas Schwester …

Kaum zweihundert Meter entfernt springt das Kinsky Palais aus einem Gebäude-Ensemble hervor – vorne drin hatte Kafkas gesellschaftlich aufstrebender Vater seinen Galanterie-Laden, zu deutsch: Kurzwaren. Hinten im Palais ging Franz aufs Gymnasium. Einmal schräg über den heute durch Musikanten, Sightseeing-Polonaisen und Selfie-Touristen belebten Altstädter Ring: das Haus Minuta mit großflächiger Figurenmalerei auf der Fassade.

Der Vater

Hier wohnte Kafka als Junge, bat durstig eines Nachts immer wieder um Wasser und wurde dafür von seinem aufbrausenden, oft zornigen Vater bei klirrender Kälte auf einen der Umlaufbalkone verbannt – im Nachthemd.

Auf diesen sogenannten „Pawlatschen“ lohnt heute ein schattiger Stopp mit Erfrischung aus dem netten Café im ersten Stock, umringt von Seminar-Teilnehmern, die gerade zur Frischluft-Pause aus dem Unterrichtsraum „Franz Kafka“ strömen.

Innenhof mit Umlaufbalkon in Prag: Hier wohnte Kafka als Bub

Als Kind wurde Kafka hier auf den eiskalten Balkon verbannt. Heute genießt man kalte Getränke.

Abgesehen von solchen punktuellen Namens-Huldigungen wird Kafka in Prag normalerweise touristisch kaum vereinnahmt. Anders im Kafka-Jahr: Jetzt stehen seine Bücher in Schaufenstern, der stechende Blick seines bekanntesten Porträt-Fotos schaut Prag-Besucher vielerorts an und der Shop des Kafka-Museums versucht, alles zu Geld zu machen, wo Kafkas Name oder Konterfei draufpasst. 

Umso mehr Spaß macht es, diese selbst zu entdecken, wie bei einer Schnitzeljagd – etwa im Hotel Century, etwas abseits des Zentrums. Unübersehbar groß prangt Kafkas Unterschrift im großzügigen Foyer an der sich steil nach oben windenden Treppe. Diese hastet der Doktor der Rechtswissenschaften ab 1908 jeden Morgen hoch, stets zu spät dran auf dem Weg in sein Büro bei der damals hier residierenden „KuK Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt“. Kafka ist „Concipist“, stuft Firmen in Gefahrenklassen ein und schreibt Sicherheitsvorschriften für die Arbeit mit Holzhobelmaschinen oder in Steinbruchbetrieben. Die Kafka-Suite und Schaukästen mit historischer Schreibmaschine und hingeskribbelten Skizzen des Schriftstellers erinnern im heutigen Hotel Century daran.

Anreise Mit dem Zug von Wien in vier Stunden. oebb.at

Übernachten
– Falkensteiner Hotel: in der Nähe vom Hauptbahnhof und  Hradschin, 2022 neu eröffnet.  DZ/F ab ca. 148 €. falkensteiner.com/prague
– Century Hotel Old Town: im Gebäude der Versicherung, für die Kafka arbeitete,  mit Kafka Suite (Zimmer 214). DZ/F ab 146 €. 
century-old-town-hotel-prague.hotel-ds.com/de

2 Kafka-Denkmäler gibt es in Prag. Den kopflosen Mann und den  fast elf Meter hohen „Kafka-Head“

Kafka-Museum  Dort läuft ein spannender Film, der Prag zur Zeit Kafkas zeigt. kafkamuseum.cz/de/

Reiseführer „DuMont direkt Prag“ mit Infos über das literarische Prag

Auskunft prague.eu/de

Prag und die Literatur

„Ein schreckliches Doppelleben“, notiert Kafka 1911 im Tagebuch, tagsüber Versicherungsbeamter, nachts Schriftsteller. Am 23. September 1912 erscheint er – mal wieder – nicht zur Arbeit, entschuldigt sich mit „kleinem Ohnmachtsanfall“. Eine Ausrede. Er hatte die Nacht durchgeschrieben: seine beklemmende Novelle „Das Urteil“ – in einem Rutsch von Anfang bis Ende.

Trotz solcher Fehltage bei der Arbeit und offenherziger Liebesbriefe auf Geschäftspapier an seine Verlobte – Franz Kafka gilt in der AUVA als so unabkömmlich, dass er weder in den Ersten Weltkrieg ziehen, noch die ersehnte Auszeit in einer anderen Stadt nehmen darf und also in Prag bleiben muss, der Stadt mit Krallen. Immerhin, seine Arbeit dauert nur von 8 bis 14 Uhr, danach bleibt Zeit für Mittagsschlaf mit anschließendem Turnen („nackt, bei offenem Fenster“, wie er seiner Verlobten schreibt) und ausgiebigen Stadtspaziergängen über Prags damals gerade entstehende Boulevards sowie in seine liebste Grün-Oase, den auch heute wirklich lauschigen Chotek-Park.

Cafe Arco in Prag

Cafe Arco

Gemeinsam mit dem Postbeamten und Schriftsteller-Kollegen Max Brod trifft Kafka Journalisten wie Egon Erwin Kisch und Schriftsteller wie Franz Werfel im „Café Arco“, an dessen Fassade heute ein großes Kafka-Bild hängt. Hinter der beschmierten Schaufensterscheibe erinnern verstaubte Zeitungen, Stühle und Tische an die Blütezeit des Arco – heute leider eine schmucklose Polizei-Kantine.

Vielleicht eine logische Weiterentwicklung, denn Arco-Betreiber Josef Suchánek regiert sein Café schon zu Kafkas Zeiten mit dreiundzwanzig strengen Benimm-Regeln und Polizei-Spitzel-Methoden: Wer ihm meldet, dass ein Gast aus der Zeitung Seiten rausreißt, bekommt hundert Kronen Belohnung, der Täter Hausverbot.

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