Tallinn: Warum die alte Stadthalle ein Lost Place ist

Tallinn Linnahall Stadthalle von innen bei den Garderoben im Foyer
Die alte Stadthalle in Tallinn verfällt und erzählt von der sowjetischen Vergangenheit Estlands. Ein "Lost Place", den man besuchen sollte.
Von Lea Moser

Zusammenfassung

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  • Die Tallinna Linnahall, ehemals W.-I.-Lenin-Palast, ist ein verlassenes Sowjetbauwerk unter Denkmalschutz, das nicht renoviert wird.
  • Estland hat eine bewegte Geschichte von der Sowjetunion zur EU, mit der Linnahall als Zeitzeugnis der 1980er Jahre.
  • Besichtigungen sind nur mit geführten Touren möglich, doch das imposante Gebäude bietet von außen beeindruckende Aussichten.

Dieser Ort ist verloren. Von den Decken tropft Wasser, die Fensterscheiben sind eingeschlagen und in wenigen Lampen flackert das Licht. Die Schilder am Eingang sind verblichen, zwischen den Betonplatten wächst Gras.

Die Tallinna Linnahall (Stadthalle) hieß früher W.-I.-Lenin-Palast für Kultur und Sport. Und sie fährt alle Geschütze der Sowjetarchitektur auf: bombastische Ausmaße, Helikopter-Landeplatz und schmuckloser Brutalismus. Gebaut wurde die Stadthalle (mit fast fünftausend Sitzplätzen) für die Olympischen Sommerspiele 1980. Heute kommt niemand mehr zu Sportevents oder Kinovorführungen in die Stadthalle. Die Nummern der Garderoben leuchten noch grün, Jacken hängen keine mehr an den Haken. Die Halle ist sich selbst überlassen. Sie wird weder abgerissen – Denkmalschutz – noch renoviert. Keiner scheint zu wissen, wie mit dem Ungetüm der Vergangenheit umzugehen ist.

Ein Gebäude als Zeitzeuge

Estland war seit den 1940er-Jahren Teil der UdSSR. Am Abend des 23. August 1989 hielten sich etwa zwei Millionen Menschen in einer sechshundert Kilometer langen Menschenkette an den Händen – von Estland bis Litauen. Im November desselben Jahres sangen Tausende in Tallinn die verbotene estnische Landeshymne. Das Liederfest ging als „Singende Revolution“ in die Geschichte ein. Die Zeit ist vorbei, Estland seit 2004 Teil der EU und die Bedrohung durch Russland hat ein neues Gesicht bekommen, ist aber nie verschwunden. Wer Linnahall betritt, steht plötzlich wieder mitten in den 1980er-Jahren. Als hätte man die Zeit eingefroren, als wäre der Zusammenbruch des Regimes erst vorgestern passiert. Von außen nagt die Natur am bröckelnden Gebäude, drinnen hat man ein Stück Zeitgeschichte konserviert.

Das Besondere an diesem absonderlich-magischen Ort: Man spaziert durchs Foyer, vorbei am Kartenbüro und den Garderoben, und taucht plötzlich in die Alltagsgeschichte der Menschen ein. Ohne museale Verzerrung und ohne Erklärtaferl. Betreten kann man die Halle heute nur noch mit geführten Touren (die leider nur auf Estnisch oder Russisch angeboten werden). Wer Glück hat, stolpert in eine Ausstellung, für die manchmal die Türen geöffnet werden. Aber auch von außen ist der Betonriese eindrucksvoll, man kann herumspazieren und von oben hat man die beste Aussicht aufs Meer. Ein unwirkliches Überbleibsel einer Zeit, die gar nicht so lange vergangen ist, wie es sich anfühlt.

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