Pitztal: Auf, über und unter dem Gletscher
So ein Krach schon früh am Morgen! Die ersten Skifahrer versuchen alle Jacken- und Helmluken gegen den Eiswind dicht zu machen, als gleich dreimal ein Donnerknall der Lawinensprengungen über den Gletscher hallt. Der Liftwart nimmt es hörbar gelassener als der neugierige Gast aus dem Flachland: Da sei eben doch noch viel Triebschnee in der Felsflanke über dem Gletscherbruch, „da heroben gehen wir immer auf Nummer sicher“. „Gletscherbruch“, „Felsflanke“, „da heroben“, ein paar Stichworte für eine erste Begegnung mit dem Pitztal. Denn heroben ist man hier, im Tiroler Oberland, tatsächlich. Bis auf dreitausendfünfhundert Meter reicht das Skigebiet, der Blick an klaren Tagen bis in die Schweiz und in die Dolomiten. Tirols höchster Gipfel, die Wildspitze, ist zum Greifen nahe – aber den treffen wir noch später.
Wen diese ganze hochalpine Herausforderung herzlich wenig schert, der kann sie ausblenden. Die Pisten sind auch in dieser Höhe komfortabel weit und gut gebügelt, Skihütten wie die Sunna Alm sind – hochmodern – aus Glas und Massivholz zusammengezimmert und das Après-Ski in Orten wie Mandarfen deutlich entspannter als in den umliegenden Tälern.
Doch wer ins Pitztal kommt, will sich mit der hochalpinen Winterlandschaft meistens näher einlassen. Das kann man auch in kleinen Schritten wagen. Gefahrlos und – wo nötig – von Bergführern gut behütet kommt man mit Gletscherhöhlen, Tiefschneehängen und sogar mit Eiswänden in Kontakt, und das sind Erlebnisse, die man sich gar nicht zugetraut hätte. Besonders eindrucksvoll: Sich über spiegelglattes Eis in eine Höhle unter einem Gletscher vorzutasten, ist ein Ausflug in eine Welt, die man unter dem endlosen Weiß der Hänge nie erwartet hätte ... und sie fängt ganz einfach neben der Piste an. Im Frühjahr, erklärt Raphael der Bergführer, verschwindet diese Höhle hinter einem Sturzbach aus Gletscherwasser. Jetzt, im Winter, kann man in das Dunkel unter den Eismassen eintauchen.
Skitouren gehen ist ohnehin Trendsport. Auf den Aufstiegsspuren entlang der Piste kann man hier wieder seine Sicherheit im Umgang mit Steigfellen und Pin-Bindungen finden und vielleicht die eine oder andere Spitzkehre probieren. Wenn die Ski wieder beruhigend gleichmäßig unter den Füßen klackern, kann man sich in der winterlichen Gebirgswelt umschauen: eine Eisflanke gleich links von der Piste, Gletscherspalten, Felskanten, auf die der Gipfelwind riesige Schneemauern gesetzt hat.
Die ersten Schritte hinaus in die wilde Schneelandschaft sind verlockend, doch so aufs Geratewohl macht man das hier oben besser nicht. Ist auch nicht nötig, es gibt mehrere markierte Skirouten, auf denen man einmal probieren kann, was denn die Bretter im unpräparierten Schnee so anstellen. Wer dann wirklich ins Gelände hinaus und in Richtung Gipfel will, für den bieten die Bergführer im Pitztal regelmäßig Gruppen-Programme. Einen dieser Profis für sich alleine zu mieten, ist bekanntlich sehr kostspielig. Ein halber Tag in der Gruppe wird dagegen schon um sechzig Euro angeboten.
Es gibt Touren, die führen so entspannt über flache Gletscherhänge, dass man genug Ruhe und Luft hat, im Anblick der weißen Weiten zu versinken. Es gibt aber auch die Tour auf die Wildspitze, den erwähnten höchsten Berg Tirols, und die ist im Winter ein alpines Abenteuer, das man auch als durchschnittlicher Skitouren-Geher wagen kann.
Zwei KURIER-Redakteure haben es gerade erst begeistert bestanden. Der Aufstieg ist mit Durchschnittskondition machbar und bei Sonnenschein fast schon bequem. Wenn allerdings in Gipfelnähe der Eiswind kommt, spürt man rasch, in welche beachtlichen Höhen man sich da vorgearbeitet hat. Die Abfahrt führt über endlos weite Gletscherhänge, um die sich rundherum die Dreitausender aufbauen wie eine Kulisse für diese Abenteuerspektakel eines bekannten Energiekracherl-Herstellers.
Um in diese Cinemascope-Gebirgslandschaften zu tauchen, sind nicht zwingend Tourenski notwendig. Schneeschuhe, vom örtlichen Verleih schnell und mühelos besorgt, tragen jeden, der bereit ist, sich bergauf ein bisschen abzumühen, erstaunlich weit in diese einsame Winterwelt. „Oft wundert die Leute, wie weit und einsam es hier ist, sobald die letzte Liftstütze hinter der Bergkante verschwunden ist“, erzählt Raphael.
Er ist einer der erfahrenen Bergführer im Pitztal und lässt sich ständig neue Ausflüge und Abenteuerangebote einfallen, um die Touristen in Gruppen hinaus in diese Gebirgslandschaft zu locken. Das sei nicht immer einfach, erzählt er über Erfahrungen mit jenen, die es dann eigentlich doch lieber sehr bequem haben.
Für die ist der Sepp mit seinem Café „DAS 3440“ die beste Anlegestelle. Der Sechzigjährige mit dem markanten Schnurrbart führt das Lokal auf der Bergstation – es ist das höchste Lokal in ganz Tirol – mit einer sofort unübersehbaren Souveränität. Der Faszination des 360-Grad-Rundumblicks, den die kühne Konstruktion aus Metall und Glas bietet, kann sich ohnehin kaum jemand entziehen.
Und wenn das ein paar demonstrativ gelangweilte Teenager trotzdem schaffen, bekommen sie vom Sepp einen freundlichen, aber eben auch sehr deutlichen Hinweis, kurz einmal das Handy aus der Hand und aus dem Blick zu nehmen: „Dann merken die, wie weit weg sie hier von ihrer Welt sind – ganz real und nicht auf Instagram.“
Umweltfreundliche Anreise
Die Zug-Anreise ins Pitztal ist komfortabel und unschlagbar schnell. Der schnellste Zug von Wien nach Imst braucht weniger als fünf Stunden, vom Bahnhof fährt der öffentliche Bus zu mit dem Zug getakteten Zeiten durchs ganze Tal. Wer sich die Schlepperei ersparen will, bucht den Haus-zu-Haus- Gepäcktransport dazu. oebb.at
Unterkunft
Das Hotel „Mittagskogel“ in Mandarfen, gegenüber der Gondelbahn, ist ein familiär geführtes Hotel mit guter Küche. Wer sich ein paar Meter bergauf in der zuge- hörigen Pension einquartiert, ist ab 70 Euro (Halbpension) dabei. mittagskogel.at
Abenteuer in Gruppen
Die Bergführer-Vereinigung Pitztal organisiert in der Saison ein alpines Wochenprogramm in Gruppen, mit Halbtagestouren ab 60 € und Ganztagstouren ab 100 €. Das Angebot reicht von einer Einführung ins Skitouren-Gehen inklusive leichter Halbtagestour bis zu einer Skitour auf die Wildspitze. Für Fans kurzer Aufstiege und langer Tiefschneehänge auch Freeride-Ausflüge. Ebenso werden Schneeschuh- Wanderungen und Eisklettern für Anfänger geboten. bgf-vereinigung.com
Auskünfte
pitztal.com
Zwei Tipps für sportliche Abwechslung
Eisklettern: Wer diesen Sport nur aus dem Fernsehen kennt, empfindet ihn als eine Disziplin für lebensmüde Akrobaten. In der Pitztaler Taschachschlucht kann man das aber auch als blutiger Anfänger gemeinsam mit einem örtlichen Bergführer in der Gruppe (60 Euro) halbtags probieren – es ist gar nicht so schwer und, gut angeseilt, völlig sicher
Zur Eishöhle: Das Pitztal bietet fürs Schneeschuhwandern unzählige Möglichkeiten in allen Höhenlagen und Schwierigkeitsgraden. So kann man direkt von der Langlauf- loipe am Rifflsee über ein weites Hochtal aufsteigen, bis man den Tiroler K2 (der heißt so!) direkt vor sich hat. Oder man entdeckt unweit der Talstation der Gletscherbahn eine wilde Welt: die Eishöhlen, die sich am Ende der Gletscher öffnen.
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