Leipzig: Der Lockruf der Oboe d’amore
Im „Auerbachs Keller“, wo er sich Inspiration für seinen „Faust“ holte, ließ Johann Wolfgang von Goethe mit Begeisterung die Sau raus. Auch wenn der Dichterfürst kräftig-deftig zu zechen pflegte, eine Eloge soll er in total nüchternem Zustand angestimmt haben: „Mein Leipzig lob ich mir! Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute!“
Wie wahr. Gilt auch heute noch, wie ein Einkehrschwung ins gediegene Bach-Museum gegenüber der Thomaskirche beweist. Auf vierhundertfünfzig Quadratmetern wird auf klassische Art, aber auch in einer interaktiven Komponierstube einer Musikgröße gehuldigt, die im Mai vor 300 Jahren in Leipzig zum Musikdirektor aufgestiegen war.
Einige der bedeutendsten Orgelwerke von Johann Sebastian Bach entstanden in Leipzig, darunter auch „Dritter Teil der Clavier-Übung“. In seinen ersten Jahren schuf Bach sogar jede Woche eine neue Kirchenkantate. Im Museum lässt sich auch eine „Oboe d’amore“ bestaunen. Der Wahl-Leipziger griff ohne Berührungsängste auch zu neu entwickelten Instrumenten, mit denen sich liebliche Töne erzeugen ließen.
Bachs Retter
Bachs Musik lässt sich beim international renommierten Bachfest genießen, das heuer vom 8. bis 18. Juni Musikfans von nah und fern anlocken wird. Das Motto für die gut hundertfünfzig Veranstaltungen: „BACH for Future“. Dass Bach mit seiner mächtigen Kirchenmusik, den Passionen und dem „Weihnachtsoratorium“ überhaupt eine Zukunft hatte, hat auch mit einem weiteren Star zu tun, der Leipzig zu seiner Heimat machte: Felix Mendelssohn Bartholdy, Komponist, Pianist und Dirigent. „Der Mozart des 19. Jahrhunderts“ reanimierte quasi die Musik von Bach. Spannende Einblicke in das Leben und Schaffen des Musikers erhält man im Mendelssohn-Haus. Der Bogen spannt sich vom Interieur der Mietwohnung im ersten Stock bis zu den Erzählungen über Mendelssohns letzte Tage, die ihm 1847 schlugen, hoffnungslos überarbeitet und mitgenommen vom Schlaganfall seiner Schwester.
Als Musikstadt von Rang vergisst Leipzig natürlich auch nicht die Pflege des Erbes von Richard Wagner, einem weiteren großen Sohn der Stadt: Das Opernhaus hat sich speziell in den vergangenen Jahren zu einem viel beachteten Ort der Wagner-Interpretation entwickelt. Zwei entscheidende Jahre seines Lebens verbrachte auch Gustav Mahler in Leipzig. Beim hochkarätigen Mahler-Festival (11. bis 29. Mai) werden sämtliche zehn Sinfonien des 50-jährig in Wien verstorbenen Komponisten zu hören sein; performt von fast einem Dutzend großer europäischer Klangkörper, angefangen vom lokalen Gewandhausorchester.
Wer kleine, intimere Rahmen bevorzugt, sollte sich im romantischen „Gohliser Schlösschen“ verzaubern lassen. Musikalische Führungen in den Festsälen des ehemaligen spätbarocken Sommersitzes eines Leipziger Ratsbaumeisters samt einem mediterranen Garten mit Feigen-, Orangen- und Lorbeerbäumen klingen noch lange nach. Friedrich Schiller war in diesem „Schlösschen“, Statussymbol wohlhabender Kaufleute, gern gesehener Gast. Er kam freilich nicht zum Arbeiten, sondern zum Kegeln und Billardspielen. Die „Ode an die Freude“ dichtete er in unmittelbarer Nähe.
„New Berlin“
Und heute? Wo ist Leipzig denn hip, alternativ, avantgardistisch? Rein in die Straßenbahn 14, raus nach Plagwitz, in den Westen. Je näher man diesem „New Berlin“ kommt, desto großformatiger werden die Graffiti an den Häuserwänden, desto dichter die Konzentration an Krimskrams-Läden, Hummus-Bars, Kneipen und Kaffee-Manufakturen.
Ein Pflicht-Stopp: Die 1884 gegründete und unter Denkmalschutz stehende Baumwollspinnerei, einst die größte auf dem europäischen Festland. Nach dem Produktionsstopp zogen 1994 die ersten Künstler auf dem Gelände ein, mittlerweile bilden hundertzwanzig Ateliers sowie zwölf Galerien und Ausstellungsflächen einen einzigartigen „Kosmos der Kunst“. Ein Streifzug darin fördert ein Arthouse-Kino genauso zutage wie eine Hutmacherin oder ein Porzellan-Atelier mit Gefäßen „zur Aufbewahrung von Licht“.
Kreativität und neue Ideen werden großgeschrieben in der sächsischen 600.000-Einwohner-Metropole, die längst mehr ist als ein Hotspot der Messen, des Handels, der Musik und verblichener Geistesgrößen wie Schiller und Goethe. Das Zentrum mit seinen altehrwürdigen Bürgerhäusern, ikonischen Kirchen und prächtigen Flaniermeilen wie die Mädler-Passage erzählt auf einem Quadratkilometer mehr als tausend Jahre Geschichte, doch für Durchlüftung ist allzeit gesorgt. Seen, Auwald, Parks, Gartenanlagen und ein stimmiges Radwegnetz garantieren Lebensqualität. Auch wegen der Wasserkanäle, Leipzig weist übrigens mehr Brücken auf als Venedig. Darauf ein Ständchen mit der Oboe d’amore.
Anreise
Mit dem Zug kommt man von Wien nach Leipzig in sieben Stunden (mit einem Umstieg), oebb.at
Wohnen
Zum Beispiel im Zentrum der Altstadt im Seaside Park Hotel, seaside-collection.com
Essen mit Aussicht
Der Panorama Tower beherbergt Mitteldeutschlands höchstes Restaurant mit eigener Aussichtsplattform, panorama-leipzig.de
Kunst in der Fabrik
120 Ateliers und zwölf Galerien haben sich in der aufgelassenen Leipziger Baumwollspinnerei angesiedelt. Motto: From Cotton to Culture, spinnerei.de
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