Tourists taking photos of a sea lion.

Geschichte des Tourismus: Vom Luxus zum Massenphänomen

Immer unterwegs. Der Mensch war schon immer auf Reisen. Nur haben sich in der jüngeren Geschichte die Motive dafür verändert.

Er war aus gutem Haus, vornehm, unabhängig, ein pfeiferauchender Gentleman in karierter Reisekluft: Der Ur-Tourist muss zweifelsohne ein Engländer gewesen sein. So vermitteln es zumindest Romane und Reiseberichte aus dem 19. Jahrhundert. Jules Vernes berühmter Reisende Phileas Fogg, der in 80 Tagen für eine Wette um die Welt tourte, kommt ebenso aus Großbritannien wie Karl Mays Sir David Lindsay. Der spleenige Adelige wird von Kara Ben Nemsi im Nahen Osten immer wieder in Abenteuer verwickelt.

Dass gerade englische Männer in dieses Klischee gesteckt wurden, ist gar nicht so weit hergeholt. „Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein galt der Engländer als der Tourist schlechthin“, sagt der Historiker und Soziologe Hasso Spode. Und zwar aus gutem Grund, wie der Berliner Tourismusforscher in seinem neuen Buch „Traum Zeit Reise“ erläutert. Lange Zeit kamen die meisten Reisenden aus Großbritannien. Sogar die Bezeichnung für den Reisenden – Tourist – verdanken wir den Engländern.

Gar nicht positiv besetzt

Als das Wort um 1770 erstmals im Englischen auftauchte, war es alles andere als positiv besetzt. Der britische Ökonom Adam Smith bezeichnete mit tourists abfällig junge Männer aus reichem Haus, die nicht arbeiten „und eigentlich ihr Leben verschwenden“, betont Spode. Abgeleitet wird das Wort vom alten Begriff der Grand Tour. „Adelige schickten ihre Söhne monatelang durch Europa zum Zweck, sich zu bilden. Die jungen Männer sollten dadurch weltmännischer werden.“

 Als das Schimpfwort entstand, war es mit dieser Art adeliger Initialisierungsriten allerdings schon wieder vorbei. „Die jungen Leute fuhren aber trotzdem herum, auch wenn es nicht mehr zweckgebunden war.“ Als das Wort Tourist dann etwas später im Französischen und erst im frühen 19. Jahrhundert auch im Deutschen auftauchte, hatte sich seine Bedeutung zum Positiven verändert. „Die Touristen werden jetzt als reisende Engländer wahrgenommen – als wohlhabende Menschen, die sich etwas leisten konnten. Aber: In dem Moment, wo immer mehr Menschen Touristen werden, wird die Bedeutung wieder negativ.“ Spode resümiert: „Seit rund 150 Jahren ist Tourist ein Schimpfwort und ist es eigentlich bis heute geblieben.“

Gründe zum Reisen: Zuerst Nomaden, dann Handel

So jung Tourist und Tourismus auch sind – unterwegs waren die Menschen schon immer. „Zuerst als Nomaden, doch erst mit der Sesshaftwerdung konnte die Reise als ein Ausnahmezustand vom normalen Daheimbleiben überhaupt auftreten.“ Die frühen Reisenden hatten handfeste Gründe, sich in die Fremde zu wagen, etwa Händler, Vertriebene, „sogar die Pilger auf der Suche nach Seelenheil würde ich miteinbeziehen“.

Veränderungen brachte erst das 18. Jahrhundert, wo dem barocken Protz die Rückbesinnung auf die Natur, das Ursprüngliche entgegengesetzt wurde. „Da kommt die Idee auf, dass dieser eigentliche Urzustand etwas Gutes, Erstrebenswertes ist. Als der Mensch noch frei und bedürfnislos war.“ Nicht nur der Mensch, auch die Natur selbst wurde ästhetisch umgedeutet. Das lieferte ausreichend neue Inspirationen für die Kunst, die sich intensiv mit der Natur auseinandersetzte. Johann Wolfgang von Goethe zählte dazu, aber auch Caspar David Friedrich oder Jakob Alt. Diesem Aspekt widmet die Wiener Albertina gerade eine Ausstellung unter dem Titel „Fernweh. Künstler auf Reisen“ (bis 24.8.2025).

Die Fokussierung auf die Natur sieht Hasso Spode als „die Geburtsstunde des Tourismus“: „Die Wälder, die Berge, die Meeresküsten – alles, was man vorher als öde, schrecklich, hässlich empfunden hatte, wurde als schön empfunden – das verlorene Paradies, da wollte man wieder hin.“ Waren die Anfänge des Tourismus noch etwas Avantgardistisches, konnte er durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert in die Breite gehen. „Wichtigstes Werkzeug war die Eisenbahn, die das Reisen unheimlich verbilligte“, sagt Spode. Gleichzeitig brachte die Industrialisierung mit dem Bürgertum eine Mittelschicht hervor, die schon bald jedes Jahr verreiste.

Die Folge: Der Fremdenverkehr als Wirtschaftsfaktor entstand. „Man fuhr zum Baden an den Strand oder zur Sommerfrische in die Berge. Es gab Erholungs- und Badeurlaub. Es war um 1900 bereits alles da.“ Massentourismus kam allerdings erst nach den Weltkriegen in Mode. Doch die Verhaltensweisen von heute sind im Grunde die gleichen wie vor 120 Jahren. „Was sich geändert hat, sind die Destinationen – eine Globalisierung der Verhaltensweisen, die durch das Flugzeug möglich wurde.“

Vielleicht ist aus der Geschichte des Tourismus vor allem eins zu lernen: „Touristen sind immer auch ein bisschen Paradiessucher.“

Ingrid Teufl

Über Ingrid Teufl

Redakteurin im Ressort Lebensart. Gesundheit, Wellness, Lifestyle, Genuss. Seit 1997 beim KURIER, Studium Geschichte/Publizistik, Germanistik, Politikwissenschaften [Mag.phil.] Mag Menschen, Landschaften und Dinge, die gut tun, gut schmecken, gut riechen, neu sind.....und darüber schreiben.

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