Wikinger in Irland: Sie sind gekommen, um zu bleiben

2,4 Meter hohe Bronzefiguren vor der Kathedrale von Waterford im Südosten Irlands: Strongbow heiratet Aoife – ihre Drachenbrosche zeigt ihr Wikingererbe.
Wikinger gründeten die wichtigsten Städte Irlands, trieben internationalen Handel und sind noch heute allgegenwärtig - ein Besuch in Waterford.

Es ist das Land der Kelten und Hochkönige, das Land der St.-Patrick’s-Day-Umzüge und der Pubkultur. Wikinger kommen in der Geschichte Irlands, wie man sie im Ausland kennt, kaum vor. Umso überraschender ist es, wenn man in Waterford, einer 60.000-Einwohner-Stadt an der Südküste, plötzlich vor einem Wikingergraffiti steht. 

Wenige Meter entfernt verrenken sich Touristen. Sie wollen das Knarr, den Nachbau eines Wikingerschiffes, mit auf das Selfie bekommen. Die Touristen sind auf einer Tour durch das „Viking Triangle“, das Wikingerdreieck. Jene sechs Hektar Land, auf denen die Wikinger Waterford vor 1.200 Jahren gründeten.

Reginalds Tower

Der Reginaldsturm ist das älteste vollständig erhaltene Gebäude Irlands.

Die erste Stadt Irlands begann als Hafen

Das macht Waterford zur ältesten Stadt Irlands, erzählt Tourguide Jack Burtchaell. In Dublin waren die Wikinger zwar früher, gibt Jack bereitwillig zu, doch sie zogen bald wieder ab – um später wiederzukommen. Cork, Limerick, Wexford, sie alle wurden von Wikingern gegründet. Aber Waterford war zuerst da.

Gold, Vieh und Sklaven

Vor der „Wikingerinvasion“ lebte die Bevölkerung in Familienverbänden in Ringforts oder in Siedlungen rund um Klöster oder Kirchen, bis die Wikinger Ende des 8. Jahrhunderts auf der Suche nach Gold, Vieh und Sklaven die Küste plünderten.

853 kam Ragnarr mit seiner Flotte den Zusammenfluss der Flüsse Barrow, Nore und Suir hinauf. Wo die „drei Schwestern“, wie die Flüsse genannt werden, eine geschützte Stelle bildeten, baute er seinen Hafen – gut zu erreichen und zu verteidigen.

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Waterford im Jahr 1160: Die damalige Stadt ist heute als "Wikingerdreieck" bekannt

Erstmals kamen die Wikinger nicht für einen Raubzug, sondern um zu bleiben. Sie nannten ihre Siedlung Veðrafjörður, Waterford. Das altnordische Wort heißt so viel wie Wetterfjord, windiger Fjord oder Fjord der Hammel. Heute ist die Übersetzung Winterhafen gebräuchlicher, auch, um am Interesse an Serien wie „Vikings“ oder „Game of Thrones“ touristisch mitzunaschen, wie manche mit einem Augenzwinkern behaupten.

Die Besucher haben inzwischen ihre Selfieversuche vor dem Wikingerboot aufgegeben und sind weitergezogen. Sie haben den Blick auf das Herzstück des Wikingerdreiecks freigegeben – den Reginaldsturm, benannt nach Ragnarr.

Reginald's Tower wacht seit über 1.000 Jahren über die Stadt

 Von den Befestigungsanlagen der Wikinger, aus Eiche errichtet, später durch Stein ersetzt, sind noch sechs Türme vorhanden. Der wichtigste, der Reginaldsturm, ist das älteste vollständig erhaltene Gebäude Irlands. Der Turm thront seit 1022 am Ufer der Suir und kann besichtigt werden. Eine Ausstellung gibt Auskunft über seine Geschichte.

Waterford, die Uneinnehmbare

Etwa als Waterford als erste irische Stadt im 15. Jahrhundert mit Artillerie beschossen wurde. Die Einheimischen schossen vom Turm aus mit Kanonen zurück, wehrten den Angriff ab. „Urbs Intacta Manet Waterfordia“, Waterford bleibt die uneinnehmbare Stadt, ist bis heute das Motto der Stadt.

Als Oliver Cromwell 1649 versuchte, die Stadt einzunehmen, biss auch er sich am Turm die Zähne aus, während er im nahe gelegenen Wexford ein Gemetzel anrichtete. „Die Geschosse prallten einfach ab“, sagt Jack mit Blick auf den Turm und lacht. Doch selbst der trutzige Steinturm konnte nicht verhindern, dass Cromwells Schwiegersohn ein Jahr später vollendete, woran sein Schwiegervater gescheitert war. Waterford fiel.

Kanonen und Buchteln

Jack führt vorbei an der Ruine der „französischen Kirche“, benannt nach aus Frankreich geflüchteten Hugenotten. Waterford nahm sie auf, im Gegenzug schenkten sie Waterford das Blaa. Das beliebte Germgebäck schaut aus wie eine Buchtel, ist viereckig und wird mit Butter oder belegt mit Speck und Würstel am liebsten zum Frühstück gegessen.

Mit Jack geht es weiter zum Mittelaltermuseum. Der dortige Weinkeller legt Zeugnis ab über die Zeit, als Waterford die Weinhauptstadt Irlands war und sich am Import eine goldene Nase verdiente. Auch hierfür haben die Wikinger den Grundstein gelegt. Denn Ragnarr und seine Nachfolger verschifften ihre Waren bis in den Nahen Osten. Expertise, von der Waterford später noch profitierte.

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Paul Rick, Tourguide im Irish National Heritage Park

Als Maria unterm Kreuz Pfeiffe rauchte ... 

Gleich neben dem Mittelaltermuseum ist das „Wake Museum“ einen Abstecher wert, auch wenn es nichts mit Wikingern zu tun hat. Dafür erfährt man, dass die Iren glaubten, Maria habe unter Jesus' Kreuz Pfeife geraucht. Starb jemand, griffen deshalb auch die Iren zur Pfeife – und zu reichlich Alkohol. Hielten junge Männer und Frauen gemeinsam Totenwache, waren überhastete Hochzeiten kurz danach nicht unüblich.

Zum Abschluss führt Jack in die Christ Church Cathedral und erzählt und von Strongbow (ja, nach ihm wurde die Cidermarke benannt) und Prinzessin Aoife. Er, der normannische Ritter, eroberte Waterford auf Wunsch des ortsansässigen Königs von Leinster. Nach drei Tagen Belagerung bekam er zum Dank die Hand der Königstochter und heiratete sie umgehend. Damit bekamen die Normannen im 12. Jahrhundert ihren ersten Stützpunkt in Irland und legten den Grundstein für die englische Eroberung. Vor der Kirche sind Strongbow und Aoife als Bronzeskulpturen verewigt. Um den Hals trägt die Prinzessin eine Drachenbrosche, ein hiberno-nordisches Artefakt.

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Zwanzig Kilometer von Waterford entfernt ist die Copper Coast einen Abstecher wert. 

Offiziell ging die Invasion schon rund hundert Jahre vor Aoifes Hochzeit zu Ende. In Wirklichkeit haben die Wikinger Irland nie verlassen. Denn auch jetzt ist noch – vor allem im Südwesten Irlands – nordische DNA bei vielen Einheimischen nachweisbar und viele Nachnamen haben nordische Wurzeln. Und in Waterford kurbeln sie wie eh und je die Wirtschaft an.

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